Sein Gesicht verschloß sich und wurde finster.
„Wenn sie das wollen, werden wir ihnen die Freude natürlich nicht verderben. Sie sollen ihren Spaß haben. In einer halben Stunde wissen wir mehr.“
Die „Isabella“ blieb auf demselben Kurs. Etwas später war die Karavelle klar und deutlich zu sehen. Sie trieb mit nur zwei Segeln vor dem Wind, hatte aber etwas nach Steuerbord gedreht, wie Hasard erkannte. Außer den beiden Schiffen war weit und breit nichts zu sehen. Blieb die „Isabella“ auf dem jetzigen Kurs, dann mußten sie zwangsläufig aufeinander zulaufen.
„Laß das Schiff gefechtsklar machen, Ben!“ befahl der Seewolf. Er blickte wieder durch das Spektiv.
„Aye, aye! Schiff klarmachen zum Gefecht“, brüllte er. „Sand und Wasser an Deck. Die Stückpforten bleiben noch geschlossen, die Kerle sollen annehmen, wir sind völlig unwissend.“
Edwin Carberry, der Profos mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, wirkte fast beleidigt, als er erwiderte: „Das Schiff ist gefechtsklar, Ben. Es ist nur eine Kontrolle erforderlich. Wir werden es diesen lausigen Kakerlaken schon zeigen!“
Natürlich, sie waren, seit sie hier im Mittelmeergebiet fuhren, immer gefechtsklar, denn die unangenehmen Überraschungen rissen so gut wie nie ab. Deshalb war auch wirklich nur eine Kontrolle nötig.
Um unliebsamen Zwischenfällen vorzubeugen, bewaffneten sich Batuti und Big Old Shane mit ihren verheerenden Brandpfeilen, die weiter schossen, als jede Culverine ihre Kugeln verfeuern konnte.
Der Kutscher brachte Sand nach oben, ein paar Pützen Wasser für die Wischer wurden gemannt und an Deck Schalen mit glühender Holzkohle aufgestellt, damit Batuti und Shane ihre Brandpfeile sofort schußfertig hatten.
Unterdessen holte die „Isabella“ immer mehr auf.
Durch das Spektiv sah Hasard Kerle einer bunt zusammengewürfelten Mannschaft, die geschäftig hin und her eilten, ihre Aktivität aber geschickt zu verbergen versuchten.
„Sechs Rohre auf jeder Seite“, sagte er zu Ben Brighton, „vorn und achtern starre Geschütze, keine Drehbassen. Scheint ein tollkühner Haufen zu sein. So wie es aussieht, wollen sie uns vorbeilaufen lassen, uns dabei eins mit dem Heckgeschütz verpassen und uns anschließend mit einer Breitseite beharken.“
„Ein paar der Kerle lungern an den Brassen herum“, sagte Ben Brighton. „Die haben innerhalb kürzester Zeit alles Zeug an den Masten. Und andere lauern hinter dem Schanzkleid. Es werden immer weniger Kerle, wie es aussieht.“
Brighton starrte verwundert den Seewolf an, denn er glaubte nicht richtig zu sehen, als sich auf dem sonnengebräunten Gesicht plötzlich ein Lächeln breit machte.
„Weshalb lachst du, Hasard?“ fragte er verwirrt.
Der Seewolf winkte ab. „Nichts Besonderes. Ich dachte nur daran, daß wir dringend einen neuen Besan brauchen.“
„Ja, aber – aber ausgerechnet jetzt …“, meinte Ben. Er begriff nicht, auf was Hasard hinaus wollte.
„Gerade jetzt“, sagte Hasard. „Wie sieht es da drüben aus, Dan?“ rief er zum Großmars hinauf.
„Die Kerle laden hinter dem Schanzkleid die Musketen!“ schrie Dan herunter. „Und die Lunten glimmen auch schon!“
„Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. So, und nun werden wir diesen Halunken mal einen Denkzettel verpassen.“
Daß die „Isabella“ überlange Kanonenrohre hatte, ahnte zu dieser Zeit auf der Karavelle noch niemand. Wohl hatten sie die überlangen Masten gesehen und wußten, daß der Rahsegler eine Menge Zeug tragen konnte und dementsprechend schnell lief. Nur die Rohre sah noch niemand, und so erhoffte man sich leichte und schnelle Beute.
Al Conroy, der Waffenmeister an Bord der Galeone, zündete die Lunten aus den Töpfen mit glühender Holzkohle an. Die Männer standen auf dem Sprung. Geladene Musketen waren verteilt, die Brandpfeile, Entermesser, Morgensterne und Pistolen lagen bereit, und noch immer gab sich jeder den Anschein eines friedlichen Mannes. Sollten sie nur kommen, diese lausigen Mittelmeer-Piraten, sie würden die Hölle auf Erden erleben.
Die „Isabella“ näherte sich nun sehr rasch der Karavelle. Der Abstand betrug noch etwa fünfhundert Yards, als Hasard seine Befehle gab.
„Drei Strich nach Steuerbord abfallen, Pete“, sagte er zu dem Mann am Ruder. „Stückpforten hoch und Feuer frei für die vordere Drehbasse. Schießt ihm den einen Mast weg, aber laßt den anderen stehen! Sobald die Drehbasse geschossen hat, eine volle Breitseite!“
Die Stückpforten flogen in dem Augenblick hoch, als auf der Karavelle eine Gestalt hinter dem Schanzkleid auftauchte. Eine Hakenbüchse wurde über das Schanzkleid geschoben, eine andere erschien zwischen den Speigatten.
Zwei Schüsse krachten. Die Kugeln verschwanden wirkungslos in der See. Der Crew rang das nur ein müdes Grinsen ab.
Al Conroy senkte die Lunte auf die vordere Drehbasse, nachdem er das Geschütz peinlich genau ausgerichtet hatte. Knisternd fraß sich die Glut der Lunte durch den Zündkanal zum Zündkraut. Die Ladung explodierte schlagartig und raste zum Gegner hinüber.
Dort schlug es wenige Sekunden später brüllend und fauchend ein.
„Treffer!“ schrie Conroy und riß die Arme hoch.
Aber schon folgte der nächste Befehl zum Feuern.
Die Breitseite wummerte los. Acht Culverinen spuckten ihren tödlichen Hagel zu der Karavelle.
Jeder Schuß saß. Zwei Siebzehnpfünder zerfetzten den Mast, der sich hoch in die Luft hob, als wolle er tanzen, und dann über Bord ging. Spieren flogen an Deck herum, das stehende Gut auf der Backbordseite raste wie wildgewordene Schlangen durch die Luft und riß ein paar Männer von den Beinen.
Innerhalb kürzester Zeit herrschte bei den Piraten das perfekte Chaos an Bord.
Ein Geschütz wurde abgefeuert, die Kugel klatschte weit vor der „Isabella“ in die See und versank.
„Klar zum Entern!“ rief der Seewolf.
Die „Isabella“ schwang leicht nach Backbord und näherte sich der angeschossenen Karavelle. Ein paar Piraten lagen schreiend und fluchend unter den zerfetzten Segeln und konnten sich nicht befreien.
Auf der Galeone wurde alles klargemacht zum Entern. Ein paar Männer waren damit beschäftigt, die Schothörner mittels der Geitaue zu den Rahen aufzuholen, um dem Schiff einen Teil seiner Geschwindigkeit zu nehmen.
Enterhaken, Morgensterne, Beile, Messer und Pistolen lagen bereit.
Ferris Tucker schwang sein Mordinstrument, die riesige Axt. Fender wurden außenbords angebracht, um den Anprall zu mildern. Und dann war es soweit.
Die Schüsse aus den Culverinen und der Drehbasse hatten ausgereicht, die Piratencrew zu zermürben. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, daß an große Gegenwehr nicht zu denken war. Nur ein paar von ihnen stellten sich zum Kampf, ein großer Teil war verletzt oder versuchte noch immer, sich von dem Segel und dem laufenden und stehenden Gut zu befreien.
Carberry warf den Enterhaken hinüber, als die beiden Bordwände sich berührten, ein zweiter und ein dritter Enterhaken hakten sich hinter dem Schanzkleid fest. Taue wurden belegt und spannten sich straff, als sie die langsamere Karavelle mitzogen.
Tucker sah sich einem wild aussehenden Kerl gegenüber. Er war dicklich, hatte eine spiegelblanke Glatze und einen wüsten Schnauzbart. Mit einem Morgenstern rückte er auf Tucker zu, schwang ihn hoch über seinen Schädel und zielte nach dem Kopf des rothaarigen Riesen.
Noch bevor Ferris Tucker mit seiner Axt zuschlagen konnte, jagte Batuti dem Schnauzbart einen Pfeil in die Brust.
Tucker schnappte sich den nächsten Mann. Der Seewolf säbelte gerade einen mit dem Degen nieder. Dan brüllte „Ar-we-nack“, und das gab anscheinend den Ausschlag, dazu kamen die vier Toten, die blutend an Deck lagen.
Ein scharfes Kommando ertönte in das Arwenackgebrüll hinein. Entermesser und Pistolen fielen auf Deck. Die Piraten drängten sich auf der Backbordseite ans Schanzkleid und hoben die Arme.
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