„Ja.“
„Dann weiß ich nicht, über was du dir Sorgen machst.“
„Darüber, daß es noch kälter werden kann“, sagte der schwarze Goliath.
„Ist das alles?“
„Ganze Welt ist verdreht. Wohin segeln wir?“
„Mit raumem Wind nach Ostnordost.“
„Und dort liegt Thule?“
„Hasard vermutet es.“
„Ganzes Welt verkehrt und verrückt“, murmelte der Gambia-Mann.
„Batuti, soll ich dem Seewolf melden, daß du gern umkehren würdest?“ fragte Dan sanft.
Batuti riß die Augen weit auf und starrte sein Gegenüber entsetzt an. „Himmels willen, nein! Was soll Seewolf von Batuti denken? Nein, spielt sich gar nix ab! Kein Wort, verstanden, Dan? Batuti ist kein Meuterer. Geht mit Crew durch dick und dünn, auch wenn der Steven abfriert!“
„Na also“, sagte Dan lachend. „So gefällst du mir schon besser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Kerl wie du jetzt schon die Hosen voll hat.“
Batuti mußte jetzt auch grinsen. Er bückte sich etwas, zupfte an seinem Beinkleid herum und meinte: „Voll nicht. Nur zu dünn.“
„Mit anderen Worten, du brauchst ein Fell, um dir ein Paar nähen zu lassen?“
„Ja. Vom weißen Bär.“
„Na, dann laß uns hoffen, daß wir bald einen Eisbären erwischen“, sagte Dan O’Flynn.
Batuti stieß ihn mit dem Ellenbogen an und deutete auf den Profos, der nach wie vor angestrengt durch seinen Kieker spähte. „Profos ist auch scharf auf Bären, will Jagd auf ihn machen.“
„Genau.“
„Wie nennen Eskimos den Eisbär?“
„Nanoq.“
„Nanoq und Nanohuaq.“
„Nanohuaq, das ist ein besonders großes Exemplar.“
„Und daraus kann man vier Paar Hosen schneidern, hat Hendrik Laas gesagt.“ Batuti hatte sich zusehends beruhigt und sprach wieder korrektes Englisch.
Dan, der immer noch unverwandt auf des Profos’ breiten Rücken sah, mußte plötzlich wieder grinsen.
„Na, vielleicht segelt uns Meister Petz ja auf einer Eisscholle entgegen“, sagte er.
Hasard stand dicht neben Siri-Tong an der vorderen Querbalustrade des Achterdecks und blickte ebenfalls zu seinem Profos.
„Sieh ihn dir an“, sagte er. „Er ist wirklich beinah besessen von dem Wunsch, als erster einen Eisbären zu sichten. Da ich es als wahrscheinlich ansehe, daß wir bald auf die Küste von Grönland stoßen, könnte es ja auch tatsächlich passieren, daß wir einen solchen Burschen sichten.“
„Ist Grönland selbst nicht viel wichtiger für uns?“ fragte sie.
„Ja, natürlich.“
„Aber der gute Edwin glaubt erst daran, daß es die weißen Bären gibt, wenn er sie wirklich gesehen hat, nicht wahr?“
„Das hat er ja nun schon x-mal gesagt.“
Sie lachte hell auf. „Aber war denn das Fell, das Hendrik Laas ihm geschenkt hatte, nicht der beste Beweis für die Existenz von Nanoq?“
„Du weißt doch, was für ein Seemannsgarn unser Carberry spinnt.“
„Ja.“
„Nun, und er glaubt eben auch von anderen Leuten, daß sie ihm im wahrsten Sinn des Wortes ‚einen Bären aufbinden‘. So sehr er sich über das Geschenk gefreut hat, er nimmt bislang immer noch an, daß Hendrik Laas irgendwie maßlos übertrieben oder schlichtweg geschwindelt habe.“
„Und du? Glaubst du daran?“
„Daß es weiße Bären gibt? Ja, ich bin ziemlich sicher.“
Sie entblößte ihre perlweißen Zähne. „Er ist schon ein Dickschädel, unser Profos, das muß ich sagen. Aber andererseits finde ich es uneigennützig von ihm, daß er aus dem weißen Fell Mützen, Jacken und Hosen für die Zwillinge hat schneidern lassen – und für mich diese Mütze.“ Sie tippte spielerisch mit den Fingern gegen den Rand ihrer neuen Kopfbedeckung. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt und darunter verborgen und den Kragen ihrer Biberfelljacke so weit hochgeschlagen, daß er die gesamte Halspartie verhüllte. Sie sah hinreißend aus. „Armer Profos“, fuhr sie fort. „Wegen uns hat er auf seine kostbaren Eisbärhosen verzichtet. Na, vielleicht kriegt er ja auch noch welche.“
„Bedaure ihn bloß nicht zu sehr.“
„Bist du – eifersüchtig?“
„Auf Carberry?“ Hasard lächelte. „Um Himmels willen, nein. Aber lassen wir das.“
Er wandte sich dem Backbordniedergang zu und stieg zum Quarterdeck hinunter. Siri-Tong folgte ihm, bemüht, nicht auf dem harten, gefährlich glatten Belag der Planken auszurutschen.
Hasard suchte das Ruderhaus auf, trat neben den Rudergänger Pete Ballie, wandte diesem den Rücken zu und überprüfte noch einmal, was er auf seiner handgefertigten Karte eingetragen hatte. Siri-Tong erschien im offenen Schott.
Er drehte sich zu ihr um und sagte: „Wenn alle Daten einigermaßen präzise sind, müßten wir noch heute die Westküste Grönlands erreichen. Spätestens bis zum Dunkelwerden.“ Er lächelte plötzlich und berichtigte sich: „Nein – spätestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem es eigentlich dunkel werden müßte.“
„Du vertraust also deiner Skizze?“
„Sie vereint in sich all das, was ich bisher über Grönland und Thule vernommen habe. Falls wir unseren Streifzug durchs Eismeer zu einem guten Abschluß bringen, ist sie eines Tages wahrscheinlich die genaueste Karte, die jemals über dieses Gebiet angefertigt wurde.“
„Vermutlich ja.“
„Nur die Beschaffenheit der Regionen nordwestlich von Labrador und der großen Bucht westlich von Labrador ist für mich nach wie vor ein einziges großes Fragezeichen.“
„Auch jene Küste werden wir noch erkunden“, sagte sie.
„Du bist jetzt also zuversichtlich?“
„Ja. Dein Forscher- und Entdekkergeist muß mich wohl angesteckt haben.“
„Vielleicht habe ich einen Fehler begangen, als ich mich nach dem Verlassen der großen Bucht nicht gleich nach Westen gewandt habe. Aber die Windverhältnisse waren dagegen.“
„Es wäre wirklich zu mühselig, gegen diesen Wind zu kreuzen“, bestätigte sie ihm. „Und außerdem wäre es ja wohl eine grobe Unterlassung, dem sagenhaften Thule keine Visite abzustatten. Dort gibt es kein Gold, wie Hendrik Laas gesagt hat, aber einen Menschenschlag, den kennenzulernen es sich lohnt.“
„Ich muß dich wirklich angesteckt haben.“
„Aber es ist keine Krankheit.“
„Was denn?“
„Im Moment kann ich nur das eine sagen“, erwiderte sie. „Alles, was wir in dieser seltsamen Ecke Welt bisher erlebt haben – die Geschichte mit Cyril Auger und dessen Flaschenpost, mit den Karibu-Jägern, den Indianern am Ufer der Bucht, die Stürme, die Abenteuer, die Erlebnisse mit dem Wal – all das hat mich nur neugieriger gestimmt. Ich würde jetzt auch nicht mehr aufgeben.“
Er blickte sie ernst und offen an und sagte: „Ich danke dir.“
Vier Glasen nach Beginn der Abendwache, die wie gewöhnlich um vier Uhr nachmittags einsetzte, war es soweit. Bill, der Moses, beugte sich ein wenig fröstelnd und mit einem Gefühl, als habe er schwere Eisklötze an Armen und Beinen hängen, über den Rand der Segeltuchverkleidung des Großmarses und brüllte: „Deck, Deck, Land Steuerbord voraus in Sicht! Sir, wir haben’s geschafft!“
Er trat auf der Stelle und schlug die Arme vor der Brust zusammen, um der Kälte Herr zu werden. Dann mußte er sich wieder an der Umrandung festhalten, um nicht die Balance auf dem luftigen Posten zu verlieren. Die Gefahr, abzustürzen und sich auf dem Hauptdeck das Genick und sämtliche Knochen im Leib zu brechen, war noch größer als die Aussicht, im Großmars zum Klumpen zu frieren.
An Oberdeck wurden Kieker auseinandergezogen und ans Auge gehoben – oder einfach nur die bloßen Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen abgeschirmt.
Hasard und Siri-Tong standen an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks. Sie spähten beide durchs Spektiv und konnten im Rund der Optik jenen schmalen grauweißen Streifen erkennen, der sich im Osten über die Kimm geschoben hatte.
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