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© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-259-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Philip Hasard Killigrew schlug die Augen auf, reckte sich und gähnte herzhaft. Damit kehrte er aus den wenigen Stunden tiefen Schlafes und der Abgeschiedenheit, die er sich gegönnt hatte, in die Wirklichkeit zurück. In seine Welt – das waren die rollenden und stampfenden Bewegungen der „Isabella III.“, das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand, das Knarren der Rahnen und Blökke, das Trampeln nackter Füße übear Deck und die rauhen Kommandos, die die Männer seiner Crew zurückriefen. Und da war der Gedanke an Francis Drake und dessen Galeone „Golden Hind“. Seit Tagen klüste die Seewolf-Mannschaft mit allen Segeln nordwärts, ohne auch nur eine Mastspitze der gesuchten Galeone gesichtet zu haben.
Der Seewolf glitt von der Koje. Er wusch sich und kleidete sich vollständig an. Er verließ die Kapitänskammer, trat auf die Kuhl und blinzelte gegen die Sonne an. Die „Isabella III.“ stand unter vollem Zeug, an Deck herrschte immer noch derart sengende Hitze, daß man sich auf den Holzplanken fast die Fußsohlen verbrannte.
Hasard drehte sich um und entdeckte schräg über sich Ben Brighton, seinen Bootsmann und ersten Offizier. Ben lehnte sich mit verschränkten Armen auf die Brüstung der Quarterdeckgalerie und sagte: „Ausgeruht, Sir? Wir befinden uns ein paar Meilen querab von Guayaquil, Ecuador.“
„Bald haben wir den Äquator erreicht.“
„Man spürt das körperlich.“
„Ben, der Kutscher soll die Trinkwasserrationen erhöhen, sonst liegt den Männern die Zunge bald wie ein ausgetrockneter Schwabberlappen im Mund.“
„Aye, aye.“
Hasard stieg aufs Achterdeck und steckte die Nase in den handigen Südwind. Es war der 26. Februar 1579. Ein wolkenloser Nachmittag näherte sich seinem Ende. Die vergangenen Tage hatten nicht unerheblich an den Kräften der Männer gezehrt. Sie hatten großes Glück mit dem Wetter gehabt – keine Rede konnte von einer Flaute sein, wie sie sie vor einem Jahr in den äquatorialen Windstillen vor der Ostküste des Kontinents erlebt hatten, die sie vor der Durchquerung der Magellanstraße hatten passieren müssen. Ununterbrochen klüsen, das brachte sie ein gutes Stück vorwärts und wegen der ungewöhnlichen Schnelligkeit der Zweimastgaleone wahrscheinlich näher an Drake heran. Das hieß aber auch hart arbeiten und sich kaum Verschnaufpausen gönnen, denn der Wind purrte die Männer ständig an die Brassen und Schoten und verlangte ihnen ihr volles seemännisches Geschick ab.
Da der Seewolf jetzt mit einer vollständigen Crew von sechsundzwanzig Mann fuhr, hatte er zwei Wachen einteilen können, die sich auf Deck ablösten. Zu der ersten, die um diese Stunde wieder die Aufgaben der zweiten Wache zu übernehmen hatte, zählte auch er. Ben Brighton hatte bislang seinen Platz an Deck eingenommen.
Jetzt meldete er sich ab und erklärte: „Keine besonderen Vorkommnisse, Hasard.“
„Gut, dann bis später, Ben.“
Brighton marschierte über die Kuhl davon und nahm seine Leute mit. Sie drückten das Querschott im Vordeck auf und verschwanden über den Niedergang im dunklen, einigermaßen kühlen Bereich des Vorschiffes. In einer der Kammern lag ein übel zugerichteter Mann, auf dessen Unterstützung an Deck sie vorläufig nicht bauen konnten. In Trujillo hatten sie ihn aus den mörderischen Fängen des Miguel Pedro de Vaca befreit – Edwin Carberry, den Profos von der „Golden Hind“. Das unerschütterliche Rauhbein. Den bulligen Kerl mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, der während seiner ersten und einzigen handgreiflichen Auseinandersetzung mit dem Seewolf zwei Zähne verloren und diesen dann zu achten begonnen hatte. Carberry lag jetzt in einer Koje und kurierte unter Flüchen und Verwünschungen seine Wunden aus. Man hatte sie ihm unter der Folter beigebracht. Obwohl er ein harter Brocken und derb im Nehmen war – an dieser Art von Schmerzen hatte selbst ein Bursche wie er schwer zu kauen.
Carberry war in einer etwas stürmischen Nacht von Bord der „Golden Hind“ geraten. Wie das hatte passieren können, wußte er bis heute selbst nicht. Aber eins hatte er Hasard versichern können: daß er nämlich nicht von selbst außerbords gegangen, sondern von irgend jemandem hinterhältig übers Schanzkleid gestoßen worden war.
Er hatte sich achtern am nachgeschleppten Beiboot festgehalten, aber der Unbekannte hatte die Vorleine gekappt. Carberry war allein im Stillen Ozean zurückgeblieben. Die ganze Sache war für ihn ein doppelter Schicksalsschlag gewesen. Erstens hatte er sich als Schiffbrüchiger in einer ausweglos erscheinenden Lage befunden und allenfalls auf ein Schiff der Spanier hoffen können, das ihn aufnahm – also keineswegs rosige Aussichten! Zweitens hatte es ihn tief getroffen, daß einer der Männer von Bord der „Golden Hind“, vielleicht einer seiner Leute, ihm etwas Derartiges angetan hatte. Dabei hätte er für jeden von ihnen seine Hand ins Feuer gelegt, selbst für den ewig nörgelnden Mac Pellew, den Miesgram vom Dienst!
Der Profos hatte eine Insel erreicht und war zusammengebrochen. Indianische Fischer vom Stamm der Chimus hatten ihn gefunden und nach Huanchao, einem der beiden Häfen von Trujillo, gebracht. Damit hatte der arme Carberry ein schlechtes Los gezogen, denn er wurde von spanischen Soldaten festgenommen, verhört und später gefoltert. Miguel Pedro de Vaca, dem die Provinz Libertad unterstand und der diese Art der peinlichen Vernehmung angeordnet hatte, hatte vermutet, daß der bullige Mann zu „El Draque“, also Drake, gehörte. Carberry hatte eisern geschwiegen, doch de Vaca hatte seine Wut an ihm ausgelassen.
Denn Drake hatte sich bei den Spaniern im Neuen Land einen Namen gemacht – durch seine berüchtigten Raids und Landunternehmen wie beispielsweise auf der Mocha-Insel oder im Hafen von Callao, wo er in der Nacht des 15. Februar die Ankertrossen mehrerer spanischer Kauffahrer hatte kappen lassen. Carberry war dabei einer der Hauptakteure gewesen, aber das hatte er de Vaca wohlweislich verschwiegen. Er hatte die Zähne zusammengebissen und so viel von sich gegeben wie ein drei Tage totes Krokodil. Und wenn der Seewolf nicht gewesen wäre, hätte er dabei sein Leben gelassen.
Hasard hatte durch die Chimus vom Schicksal Carberrys erfahren. Zu nächtlicher Stunde war er mit seiner verwegenen Crew in Trujillo eingedrungen und hatte den Profos befreit. Dabei hatten sie auch noch Goldbarren und Edelsteine mitgehen lassen.
Ed Carberry hatte dem Seewolf wenigstens den ungefähren Kurs von Drakes Schiff mitteilen können. Hasard und seine Männer hatten also gehofft, irgendwann in, diesen Tagen die Konturen der vertrauten Galeone an der Kimm zu sichten – vergebens. Ihre Vorfreude war bereits wieder gedämpft worden. Keine Spur vom alten Francis Drake – und das trotz des ausgezeichneten Windes! Hasard gingen diese Dinge noch einmal durch den Kopf, während er am Backbordschanzkleid auf dem Achterdeck verweilte und den Blick über die türkisfarbene See schweifen ließ. Plötzlich vernahm er ein Geräusch und registrierte Unruhe im Bereich des Fockmastes. Er wandte sich um und schaute hoch. Im Vormars hockte Jean Ribault, einer der ehemaligen Karibik-Piraten, der wegen seiner scharfen Augen durchaus Dan O’Flynn Konkurrenz machen konnte – das heißt, er hing halb über der Segeltuchverkleidung und gestikulierte aufgebracht. Dann, ganz überraschend, ergab sich eine Serie von kleinen Vorfällen: Batuti erschien auf dem Achterdeck und gab durch eine verzweifelte Gebärde zu verstehen, daß etwas nicht in Ordnung war. Der Kutscher tauchte mit einem Mal ebenfalls auf, schimpfte und fuchtelte mit einem Tonkrug herum.
Hasard stemmte die Fäuste in die Seiten. Seine eisblauen Augen funkelten. „Heraus mit der Sprache. Was ist passiert?“
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