Da löste sich der dritte Schuß aus dem Mörser. Und diesmal lag der Schuß im Ziel. Die schwere Kugel fuhr durch die Reling der Galerie und zischte durch eins der Fenster in die Kammer Drakes. Holz splitterte, Trümmer wirbelten durch die Luft und fetzten die Karten vom großen Tisch in der Mitte des Raumes, die kostbare Wandtäfelung aus Mahagoni zerplatzte.
Das Triumphgeschrei der Spanier wurde übertönt vom Donnern der Breitseite, die sich in diesem Moment auf Befehl Drakes löste. Die Stangenkugeln fauchten zur „Sevilla“ hinüber – und trafen verheerend.
Bugspriet und Blinde wurden von ihnen sofort zerschmettert. Andere trafen den Mörser und zerfetzten seine Bemannung, das schwere Geschütz wurde aus seiner Bettung gerissen, eine bereitgelegte Pulverladung entzündete sich und ging als riesige Stichflamme hoch.
Die Männer auf dem Geschützdeck brüllten vor Begeisterung, dann fuhren auch schon die nassen Wischer in die heißen Rohre, Dampf wallte auf, Segeltuchkartuschen verschwanden in den Mündungen der Geschütze und wurden verdämmt. Gehacktes Blei wurde hineingestoßen, wieder verdämmt, dann schwere Eisenkugeln bei den anderen Geschützen. Und wieder ertönte Drakes Kommando: „Feuer!“
Donnernd löste sich die zweite Breitseite der „Golden Hind“, das gehackte Blei zerfetzte eins der Boote, die die „Selvilla“ schleppten. Männer schrien, andere sprangen einfach über Bord und versuchten die „Sevilla“ schwimmend zu erreichen. Doch auch die Kugeln hatten inzwischen ihr Ziel gefunden. Zwei von ihnen trafen den Fockmast der „Sevilla“ und zerschmetterten ihn zwei Yards über Deck.
Der Fockmast neigte sich, Rahen und Spieren krachten herab, dann begruben Fock und Marssegel die Back und die Toten, die dort bereits lagen, unter sich. Laufendes und stehendes Gut fiel außenbords, der schwere Mast durchschlug das Schanzkleid an der Steuerbordseite der „Sevilla“.
Bei der „Golden Hind“ pullten die Männer wie verrückt, um die Drehung des Schiffes, das weiter und weiter nach Backbord herumschwang und damit gleichzeitig auch außer Schußposition geriet, zu stoppen.
Das gewaltige Donnern einer weiteren Breitseite ließ sie zusammenzucken. Erschrocken rissen sie dann jedoch die Köpfe hoch, während sich um sie herum das Meer in eine Hölle riesiger, emporschnellender Wasserfontänen verwandelte, deren Wassermassen sie fast unter sich begruben.
Undeutlich erkannten sie die Silhouette der anderen Galeone, die inzwischen, im Eifer des Gefechtes von ihnen unbemerkt, auf Schußposition herangeschleppt worden war.
Die erste Breitseite hatte noch etwas zu kurz gelegen, aber die zweite?
Zu allem Überfluß schwang in diesem kritischen Augenblick auch die „Selvilla“ herum, jeden Moment mußte sich die „Golden Hind“ vor den Mündungen ihrer tödlichen zwölf schweren Geschütze, über die sie an jeder Rumpfseite verfügte, befinden.
Drake sah das alles vom Achterkastell aus, als er ein weiteres Mal Feuer kommandierte, und sich die Backbordgeschütze der „Golden Hind“ abermals entluden. Die Kugeln, mit denen die neun Neunpfünder an der Backbordseite geladen worden waren, trafen wieder voll. Sie durchschlugen das Schanzkleid der „Sevilla“ an Steuerbord, rissen einige der feuerbereiten Zwanzigpfünder aus ihren Brooktauen und katapultierten sie quer über das Geschützdeck nach Backbord hinüber. Die schweren Geschütze erfaßten mit ihren Lafetten einige der Männer, zermalmten alles, was ihnen in den Weg geriet. Eins von ihnen zerquetschte ein Pulverfaß, dessen Inhalt sich an einer brennenden Lunte entzündete.
Eine berstende Explosion erschütterte die „Sevilla“ – eine riesige Stichflamme schoß zu den Segeln des Großmastes empor, verwandelte sie in Sekundenschnelle in lodernde, züngelnde Brände, die sich im Nu auch auf andere Teile der Takelage ausdehnten.
Die Männer flohen aus dem Geschützdeck. Durch die Hitze, die die inzwischen ebenfalls brennenden Decksplanken verbreiteten, lösten sich die Ladungen der übrigen Geschütze. Es war, als sei auf der „Sevilla“ von einer Sekunde zur anderen die Hölle ausgebrochen.
Genau in diesem Moment, in dem das Feuer bereits gierig weiter und weiter um sich griff, in dem die Flammen auch schon zum Besan hinüberleckten, kam plötzlich Wind auf.
Drake sah, wie sich die Segel der „Golden Hind“ blähten, er spürte, wie sich sein Schiff plötzlich unter dem Druck der Segel nach Steuerbord überlegte.
„Steuerbord brassen!“ überschrie er den allgemeinen Lärm und warf gleichzeitig einen Blick auf die bereits bedrohlich nah herangeglittene, inzwischen lichterloh brennende Galeone. Er hörte das Prasseln der Flammen, die lauten Kommandos, und sah, wie die Entermannschaften in die Wanten kletterten und die Musketenschützen sich hinter den Schanzkleidern der „Sevilla“ verteilten.
Er konnte sich jetzt nicht um die Männer im Boot kümmern, aber er hoffte, daß sie die Situation rasch erfassen und an Bord entern würden. Das Boot konnten sie in diesem Moment nicht auffieren, es mußte irgendwo an der Bordwand belegt und mitgeschleppt werden, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wieder warf Drake einen gehetzten Blick zur „Sevilla“ hinüber, während die „Golden Hind“ bereits Fahrt aufnahm. Es war wirklich allerhöchste Zeit gewesen, und dann sah er, wie sich von der anderen Galeone, deren Segel sich soeben auch mit Wind füllten, eine weitere Breitseite löste. Deutlich registrierte er die Mündungsblitze, die Wolken aus Pulverdampf, die vor den Stückpforten wie riesige Bälle standen und immer weiter wuchsen. Und dann geschah es – die Breitseite traf. Einige der zwanzigpfündigen Kugeln zischten knapp drei Yards hoch über das Achterkastell, auf dem er stand. Andere schlugen mit einem infernalischen Knall, der die ganze „Golden Hind“ bis in ihre letzten Verbände erschütterte, in die Bordwand ein. Irgendwo schrien Männer auf, ein Teil des Steuerbordschanzkleides zerplatzte förmlich, eine der Stückpforten wirbelte davon und schlug klatschend in die See.
Die „Golden Hind“ luvte an und gehorchte dem Ruder. Drake gab dem Mann am Kolderstock präzise Anweisung. Sorgfältig achtete er darauf, daß sein Schiff nicht vor die Geschütze der brennenden spanischen Galeone geriet, denn das wäre aus dieser kurzen Entfernung von nur noch knapp hundert Yards ihr Ende gewesen.
Thomas Moone hastete zum Achterkastell empor. Noch im Laufen wischte er sich Schweiß und Pulverdampf aus dem Gesicht.
„Da, Sir!“ brüllte er aufgeregt und deutete nach achtern. Drake fuhr sofort herum, er kannte Moone schon lange. Wenn dieser sonst so bedächtige Mann derart aus dem Häuschen geriet, dann mußte das eine ernste Angelegenheit sein.
Er sah es Sekunden später: ein verhältnismäßig kleines Schiff, rahgetakelt – nur das trapezförmige Großsegel an einer Gaffelrute. Drake kannte diesen Schiffstyp, er wußte, wie schnell und wie ungeheuer manövrierfähig diese Segler waren. Da half einem weit größeren Schiff nicht einmal mehr die stärkere Bewaffung.
Wieder stieß er eine Verwünschung aus. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ganz abgesehen davon, daß ihm nun auch die andere Galeone auf den Pelz zu rücken begann. Sie war ein verdammt rankes und schnelles Schiff, mit dem ebenfalls nicht zu spaßen sein würde. Schon diesem Gegner zu entkommen, hätte ihm und seinen Männern und der „Golden Hind“ alles abverlangt. Und jetzt auch noch dieser verfluchte Schnellsegler, gegen den die „Golden Hind“ bestenfalls eine lahme Ente war! Nein, gegen diesen Don hatten sie keine Chance, wenn die Kerle zu kämpfen verstanden, wenn sie ihr Schiff beherrschten und von ihren Geschützen etwas verstanden!
Drake dachte an die Treffer, die die „Golden Hind“ vor einigen Minuten kassiert hatte.
Er sah Thomas Moone nur an, aber der schüttelte den Kopf.
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