Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-441-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Bill, sechzehn Jahre alt, schwarzhaarig, Schiffsjunge auf der „Isabella VIII.“ und im allgemeinen ziemlich reaktionsschnell, fiel aus allen Wolken. Im ersten Moment glaubte er tatsächlich, bei Sam Roskills Ausruf handele es sich um einen Witz. Es wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß die Seewölfe ihn kräftig auf den Arm nahmen.
Darum grinste Bill – und reagierte nicht, als Sam auf die beiden soeben hinter der Außenhaut der Galeone hochklimmenden Gestalten sah, eine Hand hochriß und schrie: „Bill, Batuti – in Deckung, das sind Piraten!“
Für Bill war es einfach zu unwahrscheinlich, daß die zwei Männer in den ehrwürdigen Gewändern von Lama-Mönchen Galgenstricke sein sollten. Hatten sie nicht Gebetsfahnen auf dem Sand des Flußufers ausgebreitet und vom Wind forttragen lassen, hatten sie nicht durch Gesten zu verstehen gegeben, daß sie die „Isabella“ segnen wollten? Und hatte nicht gerade er, Bill, darauf gedrängt, die Männer an Bord zu holen, weil sie sich sonst beleidigt fühlen konnten?
Reingefallen – Bill hatte eben doch noch zu wenig Erfahrung und war ein bißchen zu gutgläubig, um das raffinierte Täuschungsmanöver der zwei Kerle auf Anhieb zu durchschauen.
Aber was sollte da Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, sagen? Er war den beiden ja auch auf den Leim gegangen. Und das ließ ihn fuchsteufelswild werden.
Beinahe wäre es den beiden vermeintlichen buddhistischen Mönchen tatsächlich gelungen, die acht Männer der Galeone zu überrumpeln – wenn nicht Sam Roskill aus einem ganz triftigen Grund aufmerksam geworden wäre.
Sam hatte auf Hasards Anweisung hin mit Blacky zusammen die Galeone des Seeräubers Vinicio de Romaes geentert, als die „Isabella“ in der entscheidenden Schlacht gegen Khai Wang und seine „Fliegende Schwalbe“ gelegen hatte.
Sam und Blacky hatten Fong-Ch’ang, den Freund der Seewölfe, aus einer tödlichen Situation befreit, de Romaes besiegt und Nakamura in die Flucht geschlagen – und daher erkannte Sam jetzt natürlich sofort das Gesicht von Nakamura, dem Japaner, wieder. Da nutzte auch die Kopfbedeckung nichts, die sich Nakamura wie Tijang, der Uigure, zur zusätzlichen Vermummung übergestülpt hatte.
Plötzlich herrschte an Bord der „Isabella“, an der sich kurz zuvor noch ein so beschauliches Leben abgespielt hatte, heller Aufruhr.
Im Gegensatz zu Bill reagierte Batuti gedankenschnell.
Er wirbelte herum, packte Bill am Arm und riß ihn zu sich heran. Er beförderte den Jungen an sich vorbei, ließ ihn wieder los, und Bill raste wie vom Katapult geschnellt auf den fluchenden Ferris Tucker, auf Gary Andrews und Old Donegal Daniel O’Flynn zu.
Will Thorne und Stenmark standen etwas weiter rechts und griffen in diesem Augenblick wie die Kameraden zu den Waffen.
Bill sauste zwischen Ferris Tucker und dem alten O’Flynn hindurch, glitt aus und rutschte auf dem Hosenboden über die blitzblank gescheuerten Planken der Kuhl auf das Steuerbordschanzkleid zu. Er hatte die Planken an diesem Morgen selbst geschrubbt, während Ferris Tucker und die anderen sechs Männer mit dem Reparieren des Fockmastes, dem Takeln der neuen Blinde und anderen Ausbesserungsarbeiten beschäftigt gewesen waren. Es war eine Ironie des Schicksals, daß Bill den Erfolg seiner Plackerei im wahrsten Sinne des Wortes körperlich zu spüren kriegte.
Er überrollte sich, dann wurde sein Körper vom Schanzkleid gestoppt.
Batuti hatte seinen Morgenstern gezückt.
Sam Roskill hatte seine Pistole aus dem Gurt gerissen. Er spannte den Hahn, stieß die Miqueletschloß-Waffe vor und brachte sie in Anschlag auf Nakamura.
Nakamura und Tijang hatten unter ihre bodenlangen Ischangs gegriffen. Ihre Masken fielen, ihre Züge verzerrten sich, plötzlich hielten sie schwere Säbel in den Fäusten. Sie hatten diese Waffen auf dem Gut des Landwirts in den Lushan-Bergen erbeutet. Grausam hatten sie auf dem Anwesen gewütet, und genauso gnadenlos wollten sie nun gegen die Erzfeinde, die Seewölfe, vorgehen.
„Hunde!“ schrie Nakamura in seiner Muttersprache. Er war außer sich vor Zorn. „Jetzt lernt ihr, was es heißt, einen Nakamura zu erniedrigen!“
Natürlich verstand ihn keiner der Seewölfe. Selbst Tijang, der Uigure, hatte Schwierigkeiten, den Japaner in diesem Moment zu begreifen, denn er beherrschte die Sprache der Leute von Zipangu nicht – doch das spielte hier weiß Gott keine Rolle mehr.
Sam Roskill konnte sich aber auch so in die Gedankenwelt des Japaners versetzen. Sie hatten ihn von Bord seines Schiffes gejagt, und er hatte nicht geruht, bis er eine Gelegenheit gefunden hatte, Rache an den Gegnern zu üben.
Erstaunlich, wie Nakamura ein paar Überlebende der Schlacht um sich geschart, wie er sich quer über die Halbinsel Shantung durchgeschlagen hatte und dann wieder auf die Spur der Seewölfe gestoßen war. So gesehen, hatte er eine echte Leistung vollbracht – nur leider heiligte der Zweck keineswegs die Mittel.
Nakamura stürmte auf die Feinde los, Tijang war mit heiserem Gebrüll neben ihm.
Sam feuerte seine Pistole ab. Dumpf brach der Schuß, eine weiße Qualmwolke puffte hoch – und Nakamura war nicht getroffen, weil er sich durch einen Sprung zur Seite befördert hatte.
Sam fluchte und warf die Pistole mit dem Miquelet-Schloß weg. Sie polterte auf die Planken. Sam zog sein Entermesser und bremste den Angriff des Japaners.
Kein anderer Seewolf setzte eine Schußwaffe ein. Sam hatte im ersten Entsetzen die nächstbeste Waffe aus dem Gurt gerissen, die er zu fassen bekam, und die war nun mal seine Pistole gewesen.
Aber jetzt – verdammt noch mal, sie hatten doch auch ihren Stolz und wollten sich später nicht etwa damit brüsten, zwei zwar zu allem entschlossene, aber nur mit Säbeln und Dolchen bewaffnete Gegner mit gezielten Schüssen niedergestreckt zu haben.
Diese Auseinandersetzung verlangte nach Stich- und Hiebwaffen, und entsprechend verhielten sich Philip Hasard Killigrews Männer jetzt. Sie begegneten Nakamura und Tijang mit mehr Fairneß, als diese jemals verdient hätten, aber auch das zählte zu den Prinzipien, die der Seewolf seiner Crew mit Erfolg beigebracht hatte.
Tijang entging Batutis niederzukkendem Morgenstern um ein Haar. Er stürzte sich direkt auf Ferris und wurde von diesem mit einem Säbel in Empfang genommen, der dem des Uiguren in Länge, Stärke und Schärfe kaum nachstand.
Sam Roskills Schuß hatte den Affen Arwenack geweckt. Der Schimpanse hatte auf der Back ein Nickerchen gehalten, jetzt fuhr er hoch, schwang sich aufs Schanzkleid und hastete auf die Fockwanten der Backbordseite zu. Im Dahinturnen angelte er sich einen Belegnagel, dann hatte er die Webeleinen erreicht und klomm erstaunlich schnell darin empor, um aus der Höhe auf seine Art in den Kampf einzugreifen.
Nakamura duellierte sich inzwischen mit Sam Roskill.
Nakamura stieß Schreie aus, die jedem Samurai zur Ehre gereicht hätten. Roskill konnte das nicht beeindrucken. Er war ein kampferprobter Mann, ein mit allen Wassern gewaschener ehemaliger Karibikpirat, schlank, frech und draufgängerisch.
Glaubte er allerdings, mit dem Japaner leichtes Spiel zu haben, so hatte er sich getäuscht. Nakamura erwies sich als guter Fechter – und er würde sich nicht noch einmal die Waffe aus den Händen schlagen lassen wie auf der Galeone von de Romaes. Er setzte alles daran, Sam mit einem Streich zu fällen.
Bill war inzwischen wieder auf den Beinen und schaute zu Batuti, der mit rollenden Augen und erhobenem Morgenstern dem Uiguren nachrückte. Tijang, ein muskulöser, stumpfsinniger Mensch, dem das Ausdrücken irgendwelcher Gefühle völlig abging, drosch mit dem Säbel auf den rothaarigen Schiffszimmermann ein, als wäre die Waffe ein Knüppel. Ferris geriet ernsthaft in Bedrängnis. Er fluchte, wie Carberry es besser nicht gekonnt hätte, wich zurück und hatte Mühe, sich gegen den wuchtigen Kerl zu behaupten.
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