Alles, was wesentlich über 24 Stunden lag, kam einer Rufschädigung des Rennens gleich!
Vor allem die ersten 600 Meilen waren schwierig. Eine hohe Polizeidichte verhinderte, dass es richtig zur Sache gehen konnte. Aber dafür war es später ab der Grenze von North Dakota möglich, dass die Fahrzeuge so richtig zeigen konnten, was unter ihren Motorhauben steckte.
Pittkin zündete sich eine Zigarre an.
Da dies eine geschlossene Gesellschaft und keine öffentliche Veranstaltung war, verstieß er damit nicht einmal gegen die strengen Antiraucher-Gesetze, die es inzwischen überall in den USA gab. Mit der Havanna zwischen den Lippen stützte er sich auf den Handlauf der Balustrade und blickte hinab in den Saal. Alle schienen sich gut bei Kaviar und Champagner zu amüsieren. Noch bildeten die Markierungen für die teilnehmenden Fahrzeuge auf der Leinwand kleine Knotenpunkte, die immer dort entstanden, wo eine Interstate den 75. Längengrad nach Westen schnitt. Jeder dieser Punkte war mit einer Nummer Startnummer versehen, sodass alle im Saal mitverfolgen konnten, an welcher Position sich ihr Geheimfavorit gerade befand.
Außerdem wurde natürlich eine regelmäßig aktualisierte Rangfolge eingeblendet. Unten an den Tischen gab es Computerterminals, auf denen weitere Einzelheiten abrufbar waren.
Wer sich noch im letzten Moment dazu entschließen wollte, eine Wette einzugehen, konnte das online erledigen. Die Quoten wurden auf einem Leuchtband eingeblendet.
Aber es würde nicht lange dauern, bis sich das Feld ein wenig auseinanderdividierte und sich die ersten Favoriten herauskristallisierten.
„Hallo, wie geht’s?“, rief hinter ihm jemand.
Pittkin drehte sich um.
Zwei Männer, die sich wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sahen kamen auf ihn zu. Sie trugen Smoking, waren etwa dreißig Jahre alt, hatten dunkles, leicht gelocktes Haar und dunkle Augen.
Ihre Gestik war sehr ausgeprägt.
Bei ihnen war noch ein dritter Mann, mindestens zwanzig Jahre älter und grauhaarig – aber die charakteristischen Einzelheiten des Gesichts verrieten die Verwandtschaft.
Pittkin runzelte die Stirn. Einer der Zwillinge schlug ihm auf die Schulter. „Was ist? Erinnern Sie sich nicht mehr an uns? New York... Tony und Mike Scarbucchi! Na, klingelt es wieder? So viele Zwillinge gibt es in der Welt des Big Business nun auch nicht, oder?“
„Ich erinnere mich noch sehr gut an Sie“, sagte Pittkin leicht überrumpelt. „Auch wenn ich jetzt beim besten Willen nicht mehr sagen könnte, wer von Ihnen nun Mike und wer Tony ist.“
„Ich bin Mike und er ist Tony! Ist doch ganz einfach. Jedenfalls für mich, weil ich weiß, dass ich Tony bin!“ Er lachte laut und ordinär. „Unser Vater hatte auch immer Schwierigkeiten, uns auseinander zu halten. Leider wurde er nicht alt genug, um das noch hinzubekommen.“
„Bedauerlich.“ Pittkin musste sich immer ein bisschen Mühe geben, um nicht zu sehr deutlich werden zu lassen, wie sehr er sich den beiden Brüdern überlegen fühlte, die von ihrem früh verstorbenem Vater ein riesiges Mafia-Imperium geerbt hatten und jetzt bemüht waren, die von ihren Vorfahren ergaunerten Millionen reinzuwaschen.
Immerhin gehörten die Scarbucchis zu den wichtigsten Investoren bei diesem Rennen.
Ohne ihr Geld wäre es gar nicht zu Stande gekommen und das durfte Pittkin nicht vergessen.
„Wir möchten Ihnen jemanden vorstellen, Eric. Unseren Onkel Enrico aus Sizilien. Wir haben da zufällig über ein paar Investitionsmodelle gesprochen und da habe ich mir gedacht, dass ich Onkel Enrico unbedingt mit Ihnen zusammenbringen müsste.“
„Buon Giorno“, sagte Enrico Scarbucchi höflich.
Pittkins Eindruck nach verstand der Sizilianer kaum Englisch und hatte von der bisherigen Unterhaltung so gut wie nichts mitbekommen.
Der Organisator des Rennens deutete zur Leinwand. „Ich glaube, jetzt wird es gerade spannend. Ich schlage vor, Ihr Onkel Enrico und ich unterhalten uns später. Wir werden hier sicher noch Gelegenheit dazu finden.“
Mike Scarbucchi wandte sich seinem Onkel zu und sagte: „Siehst du, ich habe dir ja gesagt, dass mein Freund Eric dir helfen wird, Onkel Enrico!“
„Si, si!“, sagte Enrico, der wohl nicht viel verstanden hatte, da Mike Scarbucchi Englisch gesprochen hatte.
Eric Pittkins Handy klingelte.
„Sie entschuldigen mich!“, wandte er sich kurz an die drei Scarbucchis und ging ein paar Schritte weiter, eher er an den Apparat ging und sich meldete.
„Hier ist Ray in New York“, hörte er eine Stimme.
„Was gibt es?“
„Die Sache mit Clement ist erledigt. Der wird uns nicht mehr schaden können.“
„Gut.“
„Was machen wir jetzt mit diesem FBI-Agenten?“
„Trevellian, nicht wahr?“
„Ja. Soll ich veranlassen, dass er aus dem Feld geräumt wird? Man könnte das so arrangieren, dass es wie ein Unfall aussieht. Ich habe schon mit jemandem in Cleveland gesprochen, der das übernehmen würde.“
„Und ich habe mir die Wetten angesehen. Ich will, dass er erst mal bleibt.“
„Wie bitte?“
„Er kann maximal das wissen, was Clement wusste – und das ist nichts, was uns wirklich gefährlich werden könnte.“
„Er wollte die Teilnehmerliste übergeben!“, ereiferte sich Ray.
„Und wenn schon, dazu ist es doch nicht mehr gekommen, oder?“
„Nein.“
„Na, also! Ich will, dass Trevellian bleibt. Es steht eine Menge Geld auf dem Spiel. Sag deinem Mann in Cleveland, dass er sich bereithalten soll. Es könnte ja eine Situation eintreten, in der wir ihn doch noch brauchen.“
„Gut.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Es war Nachmittag, als wir gerade die Abfahrt Clearfield mitten in Pennsylvania passierten und uns ein Anruf des Field Office erreichte.
Unser Kollege Max Carter aus dem Innendienst der Fahndungsabteilung war am Apparat. Da wir die Freisprechanlage eingeschaltet hatten, konnten wir beide mithören.
„Clement wurde tot aufgefunden!“, berichtete Max. „Man hat ihn in einem leeren Müllcontainer auf dem Firmengelände eines stillgelegten Chemieunternehmens gefunden. Glück für uns, dass sich gerade heute eine Entsorgungsfirma daran machte, die Abfälle einzusammeln und abzutransportieren, sonst hätte es noch ein Jahr dauern können, bis die Leiche gefunden worden wäre.“
„Dann ist Clement aufgeflogen“, stellte ich fest.
„Ja, das müssen wir annehmen“, bestätigte Max meine Befürchtung. „Ich nehme an, dass jemand ihm dabei auf die Schliche gekommen ist, als er die Teilnehmerliste an uns übergeben wollte.“
„Ich bezweifle inzwischen, dass er das jemals ernsthaft vorhatte!“, sagte Milo. „Es könnte genauso gut etwas anderes dahinter stecken.“
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