In der Frühe dieses Morgens lümmelte der „Gouverneur“ ziemlich lustlos in einem weichen Sessel der Residenz herum. Er wußte nichts mit sich anzufangen und langweilte sich. Er griff in die große Kristallschale mit den kandierten Früchten und betrachtete die Dinger angewidert.
Don Antonio hatte dieses klebrige Zeug von morgens bis abends gemampft, und der Lakai füllte die Schale rein gewohnheitsmäßig immer wieder auf, wie er das stets getan hatte.
Martinez hatte ein paar Datteln mit einer klebrigen Glasur in den Fingern. Als er sie wieder in die Schale zurückwarf, pappten seine Finger, als hätte er in einen Kleistertopf gelangt.
„Widerliches Zeug!“ fluchte er. Seine Hände waren so klebrig, daß Daumen und Zeigefinger kaum noch auseinanderzukriegen waren.
Seine Lustlosigkeit wich einem immer größer werdenden Ärger. Er hatte es diesem Bastard von Lakai schon zigmal gesagt, daß er keine kandierten Früchte in seiner Umgebung sehen wollte, aber der sture Kerl wechselte das Zeug immer dann aus, wenn es matschig wurde.
Martinez nahm den Tischgong und benutzte ihn als Wurfgeschoß. Es dröhnte laut, als das Messingbecken gegen die Wand knallte. Der Gong war in der ganzen Residenz zu hören.
Der Lakai, ein hagerer, bleichsüchtiger Mensch, streckte seinen Kopf durch die geöffnete Eichentür.
„Der Señor Gouverneur haben geläutet?“ fragte er außer Atem.
„Wasser und ein Handtuch!“ brüllte Martinez. „Und zwar sofort!“
„Sehr wohl, Señor Gouverneur.“
Der Kopf des Lakaien verschwand, nachdem die großen Augen noch einmal furchtsam in den Raum geblickt hatten.
In unglaublich schneller Zeit kehrte der Lakai mit dem Gewünschten zurück.
„Hände waschen!“ schnauzte Martinez. Sein dicker Schnauzbart zitterte, seine Augen schleuderten Blitze.
Als der Lakai vorsichtig die eigenen Hände in die Wasserschüssel tauchte, erhielt er von Martinez einen derben Tritt in die Kehrseite.
„Meine, du Idiot, nicht deine!“
„Verzeihung, Señor Gouverneur.“
Der Titel stand Martinez nun keineswegs zu, denn er war nicht zum Statthalter ernannt worden. Er war eher eine Verlegenheitslösung, aber kaum jemand redete ihn anders an. Die meisten hatten Angst vor ihm, auch der Lakai, der heftig zu zittern begann und ahnte, daß er jetzt wieder einmal schikaniert werden würde.
Martinez ließ sich vom Lakaien sehr sorgfältig die Hände waschen, wobei er ihn tückisch musterte.
„Abtrocknen!“ befahl er danach.
Als auch diese Prozedur vorbei war, lehnte sich Martinez in seinem Sessel zurück und musterte den zitternden Mann scharf. Eine volle Minute lang schwieg er, was den Bediensteten völlig verunsicherte.
„Da steht wieder dieses matschige und widerliche Klebezeug herum“, sagte er. „Habe ich dir nicht schon hundertmal und noch öfter gesagt, daß ich das nicht mehr sehen will?“
„Ich werde das sofort wegbringen, Señor Gouverneur. Es ist nur so, daß der ehrenwerte Gouverneur Don Antonio de …“
„Don Antonio ist nicht mehr da, verdammt! Schon lange nicht mehr, hast du das endlich kapiert? Ich will diesen Matsch nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Kandierte Früchte, glasiertes Obst, pfui Teufel! Das kriegt ja kein Mensch runter. Außerdem klebt es entsetzlich, und man verdirbt sich damit nur den Magen.“
„Sie sollen sehr gesund sein, Señor Gouverneur“, wagte der Lakai zu widersprechen.
Martinez lehnte sich mißmutig noch weiter zurück.
„Dann friß sie“, sagte er kurz, „wenn sie so bekömmlich sind.“
Der Lakai schluckte und kriegte einen roten Kopf. Seine Lippen zuckten wie die eines Karnickels.
„Ich warte.“ Martinez trommelte ungeduldig mit den Fingern der rechten Hand auf der Tischplatte herum.
Nach einer kurzen Verbeugung und einer gemurmelten Entschuldigung griff der Lakai in die Schale und hielt eine kandierte Dattel zwischen den Fingern. Er sah sehr unschlüssig aus und zögerte. Aber der drohende und hinterhältige Blick zwang ihn, sich das klebrige Ding in den Mund zu schieben. Mit langen Zähnen kaute er darauf herum, bis er es endlich herunterschluckte.
„Scheint wirklich sehr bekömmlich und gesund zu sein“, höhnte Martinez. „Nur weiter so, mein Freund. In der Schale sind noch mindestens zwei Dutzend von den Dingern. Aber beeile dich. Meine Zeit ist schließlich nicht dazu da, den Lakaien beim Essen zuzusehen. Ich habe wichtigere Dinge zu tun, Amtsgeschäfte.“
Die Amtsgeschäfte des ehrenwerten Gouverneurs bestanden meist darin, daß er sich im Hafen sein Schiff ansah und sich dort an den angehäuften Schätzen berauschte. Er pflegte auch alles sehr sorgfältig zu kontrollieren, obwohl er wußte, daß auf die Kerle an Bord Verlaß war.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das war sein Motto.
Er betrachtete den Lakaien, der sich eine der kandierten Früchte nach der anderen einverleibte. Steif wie ein Ladestock stand der Kerl da und mampfte das pappige Zeug in sich hinein. Sein Gesicht war angewidert verzogen, was den ehrenwerten Gouverneur boshaft freute. Jedesmal, wenn der Lakai zögerte, traf ihn dieser drohende Blick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Schneller“, drängte Martinez. „Meine Zeit ist zu kostbar, um vertrödelt zu werden.“
Dem Bediensteten wurde schlecht. Er rülpste einmal laut und verdrehte die Augen. Aber unter den unerbittlichen Blicken aß er weiter, bis endlich die letzte kandierte Frucht vertilgt war. Danach stand er mit grünlichem Gesicht schwankend vor Martinez und verbeugte sich, was wiederum von einem lauten Rülpsen begleitet wurde.
„Keine Manieren, der Pöbel“, tadelte Martinez. „Erst behauptest du Bastard, das Zeug sei gut und bekömmlich, und jetzt kotzt du mir gleich die kostbaren Teppiche voll. Hinaus mit dir! Wenn ich noch einmal kandierte Früchte in meiner Umgebung sehe, dann kriegst du sie so lange zu fressen, bis du daran erstickst.“
Der Lakai flüchtete. Ihm war speiübel. Als er gerade an der schweren Eichentür war, flog ihm die große Kristallschale nach, die er vergessen hatte, mitzunehmen. Blitzschnell schloß er die Tür.
Die Kristallschale flog dagegen und zerplatzte in einem Regen aus Glasscherben.
Martinez fühlte sich jetzt viel wohler. Seinen „Unmut“ hatte er abreagiert.
Da Martinez von Natur aus ein ausgesprochen fauler Hund war, der mit Amtsgeschäften genausowenig im Sinn hatte wie alle seine Vorgänger, beschloß er, nach seinem Schiffchen zu sehen.
Zwei Kerle der Stadtwache begleiteten ihn, weil das dann immer nach einer Amtshandlung aussah. Er ließ sich heute nicht kutschieren, sondern ging zu Fuß. Bis zum Hafen war es ohnehin nur ein Katzensprung.
Seine Karavelle, die er von der Residenz aus nicht sehen konnte, lag an einer Nebenpier vertäut. Drei Kerle standen faul und träge in der morgendlichen Sonne herum. Von den anderen war nichts zu sehen.
Im Hafen lagen an diesem Morgen viele Schiffe. Spanische Galeonen, die be- oder entladen wurden, die Hafenschaluppen, eine große Karavelle, ein alter, morscher Portugiese und unzählige kleine Fischerboote. Auf der Reede, hinter dem Castillo del Morro, lagen nochmals vier spanische, dickbäuchige Galeonen.
Martinez’ Blick fiel auf eine Karavelle, die unter vollem Preß in den Hafen segelte. Sie war leer, wendig und schnell, und den Kapitän schien es nicht zu kümmern, daß drohend die Rohre der Geschütze auf ihn gerichtet waren. Unbeirrbar segelte er weiter unter Vollzeug in den Hafen.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martinez scharf, auf die Karavelle deutend, die so schnell in den Hafen segelte, als wollte sie die Piers rammen und zu Kleinholz verarbeiten. „Ist der Kerl verrückt?“
„Unerhört“, sagte einer seiner Begleiter. „Wirklich unerhört, Señor Gouverneur. Vermutlich ist es das spanische Kurierschiff, das vor einem halben Jahr bereits einmal hier war. Es ist die ‚Veleta‘, wenn ich das richtig erkenne.“
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