Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-414-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Die „Isabella VIII.“ segelte mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend ihrem fernen Ziel entgegen, einem Ziel das vorerst nur ein unerfüllter Traum war, fern und geheimnisvoll.
Dieses ferne Ziel war die Überquerung des Pazifiks bis hin ins Reich des großen Chan, einem Land das noch kein Seewolf gesehen hatte und das sie alle nur vom Hörensagen kannten.
Bis dieses Ziel erreicht war, konnten allerdings noch Monate, vielleicht auch Jahre vergehen, das kam ganz auf die jeweiligen Umstände an.
Bisher hatte es jedoch immer wieder Zwischenfälle und unliebsame Aufenthalte gegeben.
Auf dem Achterkastell der „Isabella“ waren Ben Brighton, Big Old Shane, der alte O’Flynn, Ed Carberry und Luke Morgan um den Seewolf versammelt, der mit dem hölzernen Jakobsstab hantierte und den Männern beibrachte, wie das Gerät zu handhaben war. Bisher hatten es nur wenige begriffen, die Navigation war für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln.
„Ich sehe immer nur grelle Sonnenstrahlen“, behauptete Luke Morgan, „und die blenden mich so, daß ich anschließend gar nichts mehr sehen kann.“
„Eine reine, Gewohnheit, Luke“, entgegnete Hasard. „Man kann sich natürlich auch mit dem Rücken zur Sonne stellen.“
Hasard hatte zwei Seekarten ausgebreitet, die er jetzt gelegentlich betrachtete. Mit einem Stift zeichnete er den gefahrenen Kurs ein, verglich die ungefähre Zeit und beschäftigte sich weiter mit der ungenauen Seekarte.
Der Schiffsjunge Bill hatte sich unbemerkt zu den Männern gesellt und blickte aus großen Augen auf das, was für ihn ganz einfach unbegreiflich war.
Zum Teufel, er war jetzt schon eine ganze Weile an Bord, auch zusammen mit seinem verstorbenen Vater war er zur See gefahren, aber bis heute ging es nicht in seinen Schädel hinein, wie der ganze Kram funktionierte. Wenn man Land gesehen hätte, ho, dann war das etwas anderes. Aber es war nirgendwo Land zu sehen, weder vorn noch achtern, weder an Steuerbord noch an Backbord. Da dehnte sich nur eine riesige Wasserwüste nach allen Seiten, die an der Kimm in einen Himmel überging, der sich strahlend blau wie eine Kuppel über allem wölbte.
Deshalb schüttelte er nur stumm den Kopf, als der Seewolf sich umdrehte und sagte, als wüßte er es mit absoluter Sicherheit: „Wir befinden uns jetzt etwa auf der Höhe von La Paloma, es können zehn Meilen mehr oder weniger sein. Wir laufen annähernd zehn Knoten, demnach werden wir – falls der günstige Wind anhält – in etwa sechs Stunden die Mündung des Rio de la Plata erreichen. Das wäre dann kurz nach Mittag.“
„Und sie glauben, das stimmt, Sir?“ fragte der Bengel Bill und reckte seine magere Brust heraus.
„Ganz sicher“, erwiderte der Seewolf lachend, so daß man seine weißen Zähne blitzen sah. „Wenn du es nicht glaubst, kannst du es ja nachrechnen.“
„Das lerne ich nie, Sir, auch wenn ich ein alter Mann geworden bin“, erklärte Bill im Brustton der Überzeugung. „Das hat schon fast etwas mit Zauberei zu tun.“
„Es ist nur eine etwas komplizierte Rechenaufgabe, mein Junge, mehr steckt nicht dahinter. Es kommt hauptsächlich auf gute Karten an. Je besser die sind, desto genauer kann man das Besteck nehmen und die Position bestimmen.“
„Und man darf nicht vergessen, die Sanduhr immer zur rechten Zeit umzudrehen“, fügte Ben Brighton lachend hinzu.
„Und eine Abdrift gibt es auch noch“, sagte Carberry und runzelte die Stirn, „die muß man natürlich mitrechnen.“
Das verwirrte Bill derart, daß er kopfschüttelnd in die Kuhl zurückmarschierte, um dem alten Will Thorne beim Segelnähen zu helfen, denn der hockte schon seit Tagen über dieser Arbeit. Er nähte schwere Sturmsegel, so grobes Tuch, daß einem die Fingernägel brachen, wenn man hart zupackte. Diese schweren Segel, so hatte der Segelmacher Bill erklärt, würden sie brauchen, wenn sie Kap Hoorn rundeten, das Kap der fürchterlichen Stürme, der hohen Wellen und der Kälte. Das Kap, an dem schon so viele Schiffe gescheitert waren, das Kap ohne Wiederkehr, wie die Abergläubischen es auch gern nannten.
„Aber wir haben doch noch genügend Sturmsegel“, meinte Bill.
„Am Kap kann man nie genug haben, Junge. Da reißt der Wind alles in Fetzen, da putzt der Meergott sich die Nase mit den schweren Segeln. Und weil er da unten dauernd erkältet ist, braucht er bannig viel Tuch. Richtiges Tuch muß es sein, stark, hart, das dem Wind trotzt.“
Er zeigte Bill, wie man die Segelnadel führte. Es ging verdammt schnell bei dem alten Will Thorne, aber das war kein Wunder, denn er hatte sein ganzes Leben lang Segel genäht, geflickt und ausgebessert. Niemand an Bord konnte mit Kabelgarn, Nadeln und Tuch so gut und sicher umgehen wie der Alte.
Und eine Hose aus Segeltuch herstellen? Pah, das war für ihn kein Kunststück, und eine aus Leinen erst recht nicht. Er konnte alles, dieser grauhaarige ruhige Mann, und er war immer geduldig, schimpfte nie, fluchte nur ganz selten, und erklärte alles hundertmal, wenn Bill es nicht gleich begriff. Und deshalb mochte der Junge den Alten, weil der ihn vom Aussehen her außerdem noch ein wenig an seinen Vater erinnerte, der auf Jamaica begraben war.
In seine Überlegungen donnerte eine Stimme, die von hoch oben aus dem Großmars ertönte, wo Dan O’Flynn hinter der Segeltuchverkleidung hockte. Diesmal war der Schimpanse Arwenack allerdings nicht wie sonst bei ihm, der tobte gerade hinter dem Aracanga-Papagei Sir John her, kriegte ihn aber nicht zu fassen, weil der karmesinrote Ara den Affen immer dicht heran ließ und erst im allerletzten Moment losflatterte.
Dann ließ er sich auf der nächsten Rah nieder, wo er zu Bills Belustigung immer „Ha, ihr Kakerlaken, Affenärsche und Hurensöhne“ schrie, bis der Affe böse wurde.
„Deck, ho! Zwei Strich Backbord voraus treibt etwas in der See! Sieht nach einem Menschen aus!“
Dan O’Flynn hatte die Hände trichterförmig an den Mund gelegt, damit man ihn aus der luftigen Höhe besser verstand.
Köpfe drehten sich in die angegebene Richtung, aber niemand sah etwas. Dan hatte die bessere Position und schärfere Augen als alle anderen.
Der Seewolf zog das Spektiv auseinander und suchte die See ab. Es dauerte lange, bis er den kleinen tanzenden Punkt in der schwachen Dünung entdeckte. Ja, es konnte ein Mensch sein, überlegte er. Allerdings verriet keine Bewegung, daß noch Leben in ihm war. Er schwabbelte wie ein langes Stück Holz in den langgestreckten Wellen, die ihn sanft hoben und ebenso sanft wieder in eins ihrer Täler gleiten ließen.
„Eine Uniform“, sagte der Seewolf leise. „Es könnte fast ein Spanier sein, der dort treibt. Aber es sieht so aus, als wäre kein Leben mehr in ihm.“
Ben Brighton, Hasards Stellvertreter, blickte ebenfalls durch das Spektiv und nickte dann zustimmend.
„Scheint tot zu sein, er hängt fast die ganze Zeit mit dem Gesicht im Wasser.“
Hasard kniff die Augen zusammen und drehte sich nach Gary Andrews um, der eben Pete Ballie am Ruder abgelöst hatte.
„Zwei Strich Backbord, Gary!“
„Zwei Strich Backbord, Sir!“ wiederholte Gary Andrews.
„Laß ihn auffischen, Ben, vielleicht ist er nur bewußtlos, und laß das Großsegel aufgeien!“
Brighton gab den Befehl weiter an den Profos, der mit vorgerecktem Amboßkinn in die See starrte und den kleinen Punkt fixierte.
„Ein Spanier“, murmelte er, „ein kleiner lausiger Don, der zu weit ’rausgeschwommen ist. Na, dem werden wir das Wasser schon aus dem Wanst klopfen, bis er Kastanien kotzt.“
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