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© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-020-6
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Davis J. Harbord
Das Testament verschwindet – doch existiert vielleicht ein zweites?
Tower-Pier, Mai 1598, vormittags .
London hatte die Arwenacks wieder. Am Tag zuvor waren sie mit ihrer Schebecke eingelaufen und hatten an ihrem alten Platz querab des Towers vertäut .
Blacky und Bill konnten „Geburtstag“ feiern – nach ihrem fürchterlichen Abkanten bei den Schafinseln, das ihnen, vor allem Blacky, fast das Leben gekostet hätte .
Es kam wieder einmal ganz anders .
Doktor Abraham Freemont, der Mann, der Philip Hasard Killigrew ganz besonders verbunden war, fuhr mit einer Kutsche vor, und Hasard wurde sofort gewahrschaut .
Er wollte den Freund mit einem Lachen begrüßen, aber das gefror ihm, als er das tiefernste Gesicht Doc Freemonts bemerkte .
„Ich habe eine traurige Nachricht für dich“, sagte der schlanke, weißhaarige Mann .
Hasard kniff die Augen zusammen. Traurige Nachricht? Was konnte das sein?
„Deine Mutter, Lady Killigrew, ist gestorben“, sagte der Doc …
Die Hauptpersonen des Romans:
Philip Hasard Killigrew– die Nachricht vom Tod seiner Mutter bringt für den Seewolf noch einmal die Vergangenheit ins Spiel.
Simon Llewellynund Thomas Lionel– Hasards Ferkelbrüder haben sich auf Arwenack eingenistet und lassen die Puppen tanzen.
Jeremy Toole– der Friedensrichter hat eine weiße Weste, aber er ist glitschig wie ein Aal.
Joshua Briggs– das kleine Männchen, das einer grauen Maus gleicht, hat dennoch das Herz eines Löwen.
Debby Tyndale– ihr gehört das „White Horse“, und sie versteht es, ausgezeichnete Spiegeleier mit Speck zu braten.
Edwin Carberry– fast schlägt für den Profos die Stunde, am Herzen einer Frau vor Anker zu gehen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
„Ich möchte dir mein Beileid aussprechen“, sagte Doc Freemont.
Hasard schüttelte den Kopf.
„Sie war nicht meine Mutter, Abe“, sagte er leise.
„Ich weiß – deine Pflegemutter. Trotzdem. Du sagtest mir einmal, sie hätte dir von allen Killigrews am nächsten gestanden.“
„Hat sie auch.“ Hasard nickte fast abwesend. Die Gedanken schossen in einem Wirbel durch seinen Kopf. Lady Anne. Ja, sie hatte ihn stets gegen den Alten in Schutz genommen, gegen Sir John, dieses wüste Monster. Und gegen ihre eigenen drei Söhne.
Sie mußte ein schlechtes Gewissen gehabt haben.
Damals in der Sturmnacht 1556 hatte sie die Hansekogge „Wappen von Wismar“ überfallen, die im Hafen von Falmouth Schutz gesucht hatte. Alle an Bord waren getötet worden – nur das schwarzhaarige und blauäugige Baby nicht, das Lady Anne an Bord gefunden und vielleicht aus einem seltsamen, mütterlichen Mitgefühl heraus als vierten Sohn zu sich genommen hatte: Philip Hasard Killigrew.
Vielleicht auch war ihr dann im Verlauf der Jahre klargeworden, daß sie dem Jungen die Identität geraubt hatte, denn er war weder ein Engländer noch ein Killigrew, sondern ein Deutscher aus der Sippe der von Manteuffels aus Pommern.
Für Sir John und die drei Brüder war er der „Bastard“ gewesen, ein namenloser Findling …
Doc Freemont räusperte sich.
„Das ist noch nicht alles“, sagte er.
Hasard, der den Kopf gesenkt hatte, schaute auf. Seine eisblauen Augen, die wie verloren wirkten, wurden plötzlich wachsam.
„Was denn noch?“ fragte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
„Deine beiden Brüder – Simon Llewellyn und Thomas Lionel – haben sich auf Arwenack eingenistet und beanspruchen das Erbe für sich“, sagte Doc Freemont gepreßt.
„Wie bitte?“ Bei der Nennung der Namen seiner beiden Brüder war Hasard etwas zusammengezuckt. „Simon Llewellyn und Thomas Lionel? Das kann doch nicht sein, Abe!“
„Es ist aber so“, sagte Doc Freemont ernst. „Und ich muß hinzufügen, daß es Gerüchte aus Cornwall gibt, in denen behauptet wird, Lady Anne habe dich zum Erben von Arwenack eingesetzt …“
Bisher hatten die Arwenacks auf der Kuhl der Schebecke still und stumm dabeigestanden und zugehört. Jetzt klang erregtes Gemurmel auf.
Hasard schien es nicht wahrzunehmen. Fast grimmig sagte er: „So, mich hat sie zum Erben eingesetzt, mich, den Manteuffel, wie? Ich trage schon genug an dem Namen Killigrew, verdammt noch mal. Was soll ich mit Arwenack? Kannst du mir das mal verraten? Ich bin meiner eigenen Wege gegangen. Diese Killigrew-Sippschaft hat mir meine Kindheit und Jugend gestohlen, verstehst du das? Warum habe ich, kaum achtzehnjährig, Arwenack verlassen? Weil ich es dort nicht mehr aushielt, darum! Und jetzt soll mir meine Pflegemutter angeblich Arwenack vererbt haben? Das kann ich doch nur als Witz auffassen!“
Doc Freemont musterte den Riesen gelassen, rieb sich dann die schmale Nase und sagte: „Ich hielt es für meine Pflicht, dir das mitzuteilen. Trotz allem bist du ein Killigrew, und ein Erbe wirft man nicht so einfach weg. Du hast auch Söhne …“
„Du lieber Gott!“ fuhr Hasard dazwischen. „Wir sind Manteuffels, aber keine Killigrews!“
„Ich hörte“, sagte Doc Freemont unbeeindruckt, „deine beiden Brüder hätten aus Arwenack einen Saustall gemacht und wären kräftig dabei, die Falmouther zu terrorisieren.“
„Na und? Was geht mich das an?“ sagte Hasard erbittert. „Sie sind eben die Söhne ihres Alten – für mich ein Grund mehr, mich von ihnen zu distanzieren.“
„Warum nennst du dich dann nicht Philip Hasard von Manteuffel?“ fragte Doc Freemont.
„Das frage ich mich auch“, sagte Hasard gallig.
„Ich will’s dir sagen“, erklärte Doc Freemont. „Weil du sechzehn oder siebzehn Jahre auf Arwenack in Cornwall nicht verleugnen kannst. Sie haben dich geprägt. Auf deine Art bist du Engländer und ein Killigrew geworden, allerdings ein sehr anderer und recht eigenwilliger Killigrew und nach meiner Meinung der bisher beste Teil dieser Räubersippe, aber eben ein Killigrew.“
„Danke für den Heiligenschein“, knurrte Hasard. „Was willst du von mir, Abe? Du hast irgendwas im Sinn.“
„Nun ja.“ Doc Freemont legte die Hände auf den Rücken, betrachtete die weißgescheuerten Planken der Schebecke, hob wieder den Kopf und sagte: „Weißt du, es gibt da allerlei Ungereimtheiten in dieser Erbschaftssache. So ist zum Beispiel der Notar drei Tage nach seiner öffentlichen Verlesung des Testaments von Lady Anne plötzlich verschieden, offenbar durch Gifteinwirkung. Mord oder Selbstmord, ist da zu fragen. In dem Testament ist Simon Llewellyn von Lady Anne als Erbe eingesetzt. Ist das Testament gefälscht? Und starb Lady Anne überhaupt eines natürlichen Todes oder wurde er gewaltsam herbeigeführt? Obwohl mich das alles nichts angeht, bin ich der Ansicht, daß du es zumindest deiner verstorbenen Pflegemutter schuldig bist, diese Dinge zu klären. Das ist es, was ich dir sagen wollte.“
„Aha!“ schnappte Hasard. Dann schwieg er. Seine Stirn war gekraust, und auch er starrte – wie zuvor Doc Freemont – auf die Planken.
Es war Edwin Carberry, der Profos, der die Stille an Bord durchbrach.
„Ich frage mich“, sagte er polternd, „wie diese beiden Rübenferkel nach England gelangt sind? Vor vier Jahren ließen wir sie als Gefangene der Spanier auf den Grand Cays zurück und nahmen an, sie würden nach Fort St. Augustine verbracht, wo die Dons ja mit Vorliebe Gefangene zum Entwässern der Sümpfe einsetzen. Etwa ein Dreivierteljahr später waren Jean Ribault, Renke Eggens und einige unserer Männer vom Bund ebenfalls Gefangene der Spanier in Fort St. Augustine und stießen dort auf Sir Johns Galgenvögel. Unsere Männer konnten fliehen, die Kerle um den Bootsmann O’Leary aber auch. Wir begegneten der Schaluppe, mit der sie getürmt waren, und schossen sie zusammen. Erinnerst du dich, Sir?“
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