Der Feind konnte aufkreuzen, alles war für einen gebührenden Empfang bereit.
Der Seewolf und seine Männer hatten allen erdenklichen Grund, mißtrauisch und vorsichtig zu sein. Nach den Irrfahrten, die auf die Abenteuer am Nil gefolgt waren, nach Trennung, Entbehrung und Verdruß hatten sich Plymouth und Cornwall keineswegs als die friedliche Heimat erwiesen, in deren Geborgenheit sie nach einer langen Odyssee zurückgekehrt waren. Es hatte sofort wieder Ärger gegeben.
Kaum hatte der alte Ramsgate die neue „Isabella IX.“ auf Kiel gelegt, waren auch schon die Störenfriede zur Stelle gewesen, die den Bau des Schiffes boykottieren und den Seewölfen eins auswischen wollten: Samuel Taylor Burton und Mark Bromley, zwei alte Feinde Hasards, die sich dann sogar mit Sir John Killigrew zusammengetan hatten, um ihr geplantes Ziel zu erreichen.
Aber am Ende hatte sich die ganze Bande doch ins eigene Fleisch geschnitten. Den Unfrieden, den sie gestiftet, und den Schaden, den sie angerichtet hatten, hatten die Männer der „Isabella“ ihnen mit gleicher Münze zurückgezahlt. Jetzt saßen die Kerle erst einmal hinter Gittern und warteten auf ihren Prozeß.
Wie die Dinge standen, würde Sir John mindestens den gesamten entstandenen Schaden ersetzen müssen. Außerdem würde er eine ganze Weile im Kerker zubringen, statt auf der Feste Arwenack in Falmouth. Seine Karavelle war von den Behörden an die Kette gelegt worden.
Ben Brightons Sambuke war vernichtet, doch die Männer trauerten ihr nicht groß nach. Sie mußten nur auf der „Pride of Galway“, der Galeone, die Hasard aus Irland als Prise mitgebracht hatte, etwas enger zusammenrücken. Die „Pride“ diente der gesamten Crew als Unterkunft, solange sie über die neue, bessere „Isabella“ noch nicht verfügten.
Nachdem Ramsgates Werft wieder aufgeräumt worden war und die Arbeiten vorangingen, hatte es jedoch die nächste Überraschung gegeben. Ganz unvermittelt war ein Uniformierter erschienen und hatte Hasard um eine Unterredung gebeten. Wie sich herausgestellt hatte, war dieser Mann ein Bote aus London gewesen.
Er hatte Hasard mit knappen Worten erklärt, daß man in der Zwischenzeit selbstverständlich auch in London von der Rückkehr des Seewolfes erfahren habe, und auch der Verlust seiner „Isabella VIII.“ sei dem Hofe bekannt.
Der Abgesandte, der nach seinen eigenen Worten im Namen der Königin nach Plymouth gereist war, hatte Hasard daraufhin mit einer Kutsche zu einem etwas abgelegenen Kai gebracht – und dort hatte der Seewolf zum erstenmal die Dreimast-Galeone „Hornet“ gesehen, die gerade im Begriff gewesen war, in See zu gehen.
Der Gesandte der Königin hatte Hasard eine Pergamentrolle übergeben und ihm auseinandergesetzt, daß Elizabeth I. ihm, Philip Hasard Killigrew, die „Hornet“ zur Verfügung gestellt habe. Er könne sie bald übernehmen, sie müsse nur noch ausgerüstet werden, was in den nächsten Tagen der Fall sein sollte. Er werde also im Namen und auf Order Ihrer Majestät, der Königin von England, segeln.
Einigermaßen ratlos war der Seewolf zu seinen Männern zurückgekehrt. Nähere Einzelheiten sollte er in den nächsten Tagen erfahren, die Botschaft des Abgesandten war nur eine Vorabinformation gewesen. Auch aus dem Text der Pergamentrolle ging nicht mehr hervor als das, was der Mann ihm bereits am Kai mitgeteilt hatte.
Die ganze Crew, von Ben Brighton bis hin zu den Zwillingen, war nun gespannt, was die nahe Zukunft bringen würde. Bislang hatte es keine weiteren Nachrichten aus London gegeben, aber vielleicht stand den Männern ja ein neuer harter Raid bevor, bei dem es wirklich um einen Schatz ging, wie Hasard eher ironisch hatte anklingen lassen.
Ihnen sollte dies nur recht sein, die Herumhockerei in Plymouth ging ihnen ohnehin auf die Nerven. Außerdem war diese „Hornet“ ein schmuckes Schiff. Wie Hasard geschätzt hatte, verfügte sie über etwa zwanzig Kanonen und zusätzlich sechs Drehbassen auf dem Vor- und Achterkastell. Damit war sie stärker armiert als die alte „Isabella VIII.“, die im Sand des Todeskanals ein unrühmliches Ende gefunden hatte.
Dies war der Stand der Dinge, und auch der Bau der „Isabella IX.“ ging wieder voran. Doch wo der Seewolf sich auch aufhielt, früher oder später erschienen seine Feinde auf der Bildfläche, scharten sich die Schakale und Schnapphähne zusammen, die all die Gerüchte um die sagenhaften Schätze gewittert hatten und jetzt auf schnelle Beute hofften.
Burton und Bromley mochten Freunde haben, die jetzt darauf aus waren, Rache an den Seewölfen zu üben, oder aber irgend jemand hatte etwas von dem Schatz der Spanier erfahren, den Hasard aus Irland mitgebracht hatte. Möglich war alles, und die Gründe für einen Angriff auf den Seewolf und seine Crew waren mannigfaltig. Schon aus dieser Erwägung heraus war es von vornherein ausgeschlossen, daß diejenigen, die der Gruppe in dieser Nacht auf den Fersen saßen, vielleicht doch friedliche Absichten hegten.
Hasard ließ sich all dies noch einmal durch den Kopf gehen, während er reglos in der Mündung der einen auf den Platz führenden Gasse hockte. Er war immer für Fairneß gewesen und hatte nie den ersten Stein in einer beginnenden Auseinandersetzung geworfen, sondern immer erst das Ansinnen des Gegners abgewartet. Doch in der letzten Zeit hatte er viel einstecken müssen. Nicht nur die Geschehnisse am Nil, sondern auch die Erfahrungen, die sie in Irland hatten sammeln müssen, hatten ihn wieder so manches gelehrt.
Oft war die ganze Fairneß für die Katz. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, stets gerecht und dazu auch noch ritterlich zu handeln, denn in vielen, Fällen stand nicht nur sein Leben, sondern das der kompletten Mannschaft auf dem Spiel.
Und Burton und Bromley? Und Sir John? Hatten die ein anständiges, ehrenhaftes Verhalten verdient? Wenn man nicht höllisch aufpaßte, schossen sie einem das Schiff unter den Füßen weg und jagten alles in die Luft, ehe man sich auf ihre Offensive einstellen konnte. Wer konnte denn dafür garantieren, daß die Kerle, die sich da in der Dunkelheit näherten, nicht ihre Verbündeten waren?
Kein Mensch. Hasard preßte die Lippen fest zusammen und bereitete sich auf sein Handeln vor. Er war nicht gewillt, den Gegner diesmal erst auf die Probe zu stellen.
Gestalten tauchten aus dem dichter werdenden Nebel auf, die Umrisse nahmen klare Formen an, die Verfolger hatten den Platz jetzt erreicht. Hasard beobachtete sie aus schmalen Augen. Plötzlich, als sie gewahr wurden, daß sie in der Auswahl der Fortsetzung ihres Weges mehrere Möglichkeiten hatten, blieben sie abrupt stehen und murmelten untereinander etwas, das kaum zu verstehen war.
Sie sind nicht aus Plymouth, dachte der Seewolf, ich habe sie hier noch nie zuvor gesehen, und sie scheinen sich nicht sonderlich auszukennen.
Von dem, was sie sprachen, vernahm er nur ein paar Wortfetzen:
„… sind verschwunden, die Kerle – müssen sie aber erwischen – entgehen dürfen sie uns nicht …“
Er erhob sich und bewegte sich lautlos auf sie zu. Sie wandten ihm gerade ihre Rücken zu – sechs Männer unterschiedlich großer Statur, aber alle kräftig und muskelbepackt. Ihrem Akzent nach waren sie auf jeden Fall Engländer, aus unterschiedlichen Gegenden, aber wahrscheinlich alle von der Küste. Nach den Ausdrücken zu urteilen, die sie benutzten, mußten sie auch allesamt Männer mit Salzwassererfahrung sein.
Küstenwölfe, dachte Hasard, Cornwell-Haie. Aber diesmal ist euch ein Fehler unterlaufen.
Er war dicht an sie herangelangt und tippte nun dem, der ihm am nächsten stand, einfach auf die Schulter.
Die Wirkung war unmittelbar: Der Kerl fuhr zusammen, wirbelte zu ihm herum und riß seine Faust hoch. Hasard hatte für einen Moment sein verzerrtes, erschrockenes Gesicht vor sich, dann aber blieb keine Zeit mehr für eingehende Betrachtungen. Er mußte sich wehren. Blitzschnell blockte er die hochschießende Rechte des Mannes ab, drückte seinen Arm weg und hieb selbst mit der linken Faust zu.
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