Caroline Fourest - Generation Beleidigt

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Dies ist die Geschichte einer kleinen gemeinen Lynchjustiz, die in unser Privatleben eindringt, uns Identitäten zuschreibt und unseren demokratischen Austausch zensiert. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag eine Gruppe, eine Minderheit, ein zum Stellvertreter einer Sache sich aufspielendes Individuum, das fordert, droht und uns auf die Nerven geht. In Kanada fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich nicht dem Risiko der indischen Kultur auszusetzen. In den Vereinigten Staaten würde man am liebsten asiatische Menüs in den Kantinen verbieten und die als anstößig und normativ verurteilten großen klassischen Werke von Flaubert bis Dostojewski aus dem Unterrichtsplan streichen. Studenten bezeichnen den geringsten Widerspruch als «Mikroaggression» und klagen «safe spaces» ein. In Wirklichkeit aber lernt man nur, Debatten zu meiden. Aufgrund geographischer oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und der persönlichen Geschichte versucht man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht. (Caroline Fourest)

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Caroline Fourest

Generation Beleidigt

Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei

Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer

Aus dem Französischen von

Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hess

FUEGO

– Über dieses Buch –

Dies ist die Geschichte einer kleinen gemeinen Lynchjustiz, die in unser Privatleben eindringt, uns Identitäten zuschreibt und unseren demokratischen Austausch zensiert. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag eine Gruppe, eine Minderheit, ein zum Stellvertreter einer Sache sich aufspielendes Individuum, das fordert, droht und uns auf die Nerven geht. In Kanada fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich nicht dem Risiko der indischen Kultur auszusetzen. In den Vereinigten Staaten würde man am liebsten asiatische Menüs in den Kantinen verbieten und die als anstößig und normativ verurteilten großen klassischen Werke von Flaubert bis Dostojewski aus dem Unterrichtsplan streichen. Studenten bezeichnen den geringsten Widerspruch als »Mikroaggression« und klagen »safe spaces« ein. In Wirklichkeit aber lernt man nur, Debatten zu meiden. Aufgrund geographischer oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und der persönlichen Geschichte versucht man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht. (Caroline Fourest)

– Pressestimmen –

»Stündlich aktueller. Es ist das Buch zum Verständnis einer Debatte, die aus dem Ruder gelaufen ist. Doch wem nützt es, stets auf die ethnische Zugehörigkeit von Menschen zu verweisen, um darüber zu bestimmen, wer im öffentlichen Diskurs die Stimme erheben darf? Wie sinnvoll ist das? Und wohin führt es?« (Johanna Adorján, Süddeutsche Zeitung )

»Eine treffendere Analyse wird man so schnell nicht finden.« (Hannah Bethke, FAZ )

»Über den identitätspolitischen Aktivismus an US-Universitäten ist schon viel geschrieben worden. Die Autorin Caroline Fourest erklärt, wie es so weit kommen konnte. Und plädiert aus linker Perspektive für die freie Rede.« (Deutschlandfunk Kultur)

»Caroline Fourest war Mitarbeiterin auch von „Charlie Hebdo“, sie publiziert und lehrt zu Fragen des Multikulturalismus und universellen Menschenrechten. An zahllosen konkreten, oft selbst erlebten Fällen in Europa und Nordamerika schildert sie, wie Wissenschaftler und Autoren jeden Geschlechts ebenso wie Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke bedrängt und abgecancelt werden: weil es für reale oder vermeintliche „Opfergruppen“ verletzend sei, wenn sich andere zu deren Themen äußern und sie sich so gleichsam neokolonial „anverwandeln“. Versuche der Inklusion werden so im Gestus offensiver Exklusion abgewiesen. Muslimische Studentinnen zum Beispiel verweigerten Caroline Fourest, weiß, lesbisch, jüdisch, das Recht, mit ihnen über politischen Islamismus zu sprechen.« (Peter von Becker, Tagesspiegel )

»Kompakt zeichnet »Generation Beleidigt« nach, wann, wo und warum ein Teil der Linken rechts abgebogen ist.« (Tilmann Ziegenhain, Neues Deutschland )

Einleitung

Im Mai 1968 träumte die Jugend von einer Welt, in der es verboten ist zu verbieten. 1Die neue Generation denkt nur daran, zu zensieren, was sie kränkt oder »beleidigt«.

Auf der anderen Seite des Atlantiks genügt es, dieses Wort auch nur auszusprechen, um eine Unterhaltung zu beenden. War sie einmal Bestandteil einer notwendigen Reflexion, um das Vokabular der schikanösen Schlacken zu entledigen, die sich gegen Frauen oder Minderheiten richten, so sieht die »politische Korrektheit« nun der freiheitsbedrohenden Karikatur immer ähnlicher, die ihre Gegner seit jeher gezeichnet haben, auch schon bevor sie dermaßen ausartete. Ein Glücksfall, über den die Konservativen sich die Hände reiben, denn er lässt sie die schöne Rolle eines Meisters der Freiheiten spielen.

Einst kam die Zensur von der konservativen und moralistischen Rechten. Nunmehr entspringt sie der Linken;

oder vielmehr einer bestimmten, nämlich ihrerseits moralistischen und identitären Linken. Während sie den libertären Geist aufgibt, bringt sie ihr Leben damit zu, Anathemata und Ukasse zu erlassen: gegen Intellektuelle, Künst-lerinnen, Sängerinnen, Theaterstücke oder Filme. Wenn sie doch nur gegen die wirklichen Gefahren anschriee: die extreme Rechte und den wiederaufkommenden Wunsch nach kultureller Herrschaft! Aber nein, sie streitet für nichts, ereifert sich über alles und wettert gegen Stars, Werke und Künstler. Das Zeitgeschehen schäumt über vor unsinnigen Kampagnen, die im Namen der kulturellen Aneignung geführt werden. Man rebelliert gegen Rihanna wegen ihrer angeblich »afrikanischen« Zöpfe; man ruft dazu auf, Jamie Oliver zu boykottieren, weil er einen »jamaikanischen Reis« kreiert hat; in Kanada fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich bloß nicht die indische Kultur »anzueignen«; an amerikanischen Universitäten fahnden sie nach asiatischen Menüs in der Mensa. Indessen weigern sie sich, große klassische Werke zu studieren, da diese »beleidigende« Passagen enthielten.

An der Universität regiert der Essens- und sogar der Gedankenterror. Man nimmt Anstoß am geringsten Widerspruch, der als »Mikroaggression« wahrgenommen wird, was so weit geht, dass man »Safe spaces« fordert: sichere Räume, in denen die Leute unter sich bleiben und lernen, dem Anderssein und der Debatte zu entfliehen. Selbst das Rederecht wird einer Genehmigungspflicht unterworfen, je nach Geschlecht und Hautfarbe. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht.

Frankreich hält sich noch ziemlich gut. Doch gehen auch in diesem Land bereits Gruppen von Studenten gegen Ausstellungen und Theaterstücke vor, um deren Aufführung zu unterbinden oder einen Redner, der ihnen missfällt, am Reden zu hindern. Manchmal zerreißen sie auch seine Bücher: Autodafés, die an das Schlimmste erinnern.

Diese Kulturpolizei geht von keinem autoritären Staat aus, sondern von der Gesellschaft und insbesondere von einer Jugend, die »aufgeweckt« sein will, weil ultraempfindlich gegen jedwede Ungerechtigkeit. Was großartig wäre, wenn sie dabei nicht auf Unterstellungen und inqui­sitorische Methoden verfiele. Die Millenials gehören weithin einer identitären Linken an, die den wesentlichen Teil der antirassistischen Bewegungen und der LGBTI-Szene beherrscht und sogar den Feminismus spaltet. Ohne einen Aufschrei wird ihr kultureller Sieg vollständig sein. Der Einfluss ihrer Netzwerke auf Gewerkschaften, Fakultäten und politische Parteien wird größer, und sie gewinnen die Oberhand über die Welt der Kultur. Ihre Kabale lasten immer schwerer auf unserem geistigen und künstlerischen Leben. Selten bringt jemand den Mut auf, ihnen zu widersprechen. Obschon wir in einer ungemein paradoxen Welt leben, in der die Freiheit zu hassen nie so zügellos war wie in den sozialen Netzwerken, wurde allerdings das Reden und Denken im wirklichen Leben nie so sehr überwacht. Einerseits blüht, dank Nachgiebigkeit und Deregulierung, das Geschäft mit der Aufstachelung zum Hass, zur Lüge und zur Desinformation wie noch nie, geschützt im Namen der Redefreiheit. Andererseits genügt es, dass eine kleine Gruppe von Inquisitoren sich für »beleidigt« erklärt, um Entschuldigungen eines Stars oder die Zurücknahme einer Zeichnung, eines Produkts oder eines Theaterstücks zu erwirken. Diese Streitigkeiten markieren den wirklichen Bruch sowohl inmitten des Antirassismus als auch zwischen den Generationen.

Gestern kämpften Minderheiten gemeinsam gegen Ungleichheiten und patriarchale Herrschaft. Heute kämpfen sie, um herauszufinden, ob der Feminismus »weiß« oder »schwarz« ist. Der Kampf der »Rassen« hat den der Klassen verdrängt. Die Frage: »Von wo sprichst du, Genosse?«, die der gesellschaftlichen Klassenlage entsprechende Schuldgefühle erzeugen sollte, hat sich in Identitätskontrolle verwandelt: »Sag mir, welcher Herkunft du bist, und ich werde dir sagen, ob du reden darfst!«

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