Als er seine Sinne ausschweifen ließ, konnte Kyou seinen eigenen Erzfeind, Hyakuhei, noch in demselben Gebäude fühlen. Das Böse kam von über ihm und er wusste, Hyakuhei war irgendwo in den Räumen im Obergeschoss des Clubs.
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Shinbe sprang aus dem Auto, bevor es überhaupt stehenblieb. Eine Sache trieb ihn an und ließ ihn so schnell er konnte zum Eingang des Clubs rennen. Der Gedanke, dass Suki oder Kyoko eine dieser vermissten Frauen werden könnten, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und er war fast panisch vor Angst.
Toya hatte ihm erzählt, was er von Kotaro erfahren hatte, und wenn er Suki wieder in die Hände bekam, dann würde er sie nicht mehr loslassen. Wo auf ihrem Körper er seine Hände lassen würde, das wusste er noch nicht, aber zuerst musste er sie finden.
Shinbe blieb wie angewurzelt stehen, als er durch die Eingangstür des Midnight Clubs stürmte. Dort, mitten am Gang stand ein Mann und hielt Kyoko in seinen Armen, und sie sah nicht so besonders gut aus. Sie regte sich nicht und war viel zu blass. Andererseits sah der Mann auch nicht wirklich normal aus. Blass war für ihn eine grobe Untertreibung… weshalb Shinbe nervös stehenblieb, als ihm klar wurde, dass der Mann ihn an seinen besten Freund erinnerte.
Das silberne Haar und die goldenen Augen… Toyas Haar war schwarz wie die Nacht, aber er hatte dieselben silbernen Strähnen wie der Mann vor ihm. Das waren doch recht ungewöhnliche Merkmale und er hatte diese Kombination bisher nur an Toya gesehen.
Als er bemerkte, dass der Mann sich regte, um mit ihr zu verschwinden, verdrängte Shinbe seine Angst. Toya würde ihn umbringen, wenn er Kyokos Entführung nicht unterband.
„Was, zur Hölle, machen Sie da mit Kyoko?“ Violette Augen leuchteten, als Shinbe den Mann zur Rede stellte und seine Füße sich wieder bewegten, ohne dass sie dazu einen Befehl erhalten hatten. Sie war zwar nicht seine Freundin, aber er mochte sie sehr gerne… lieber als er zugeben konnte, und außerdem war sie Sukis beste Freundin. Auf gar keinen Fall würde er zulassen, dass dieser Typ mit Kyoko abhaute.
Kyou senkte einen Arm unter Kyokos Knie und hob sie mühelos hoch. Er hielt sie wie ein Baby, legte ihren Kopf an seine Schulter, bemüht, ihren Schlaf nicht zu stören. Sobald ihr Kopf seine Schulter traf, schmiegte sie sich in seine Umarmung und seufzte zufrieden.
Er konnte ihr Vertrauen und ihre Ruhe in ihrer Aura fühlen, als sie es sich in seinen Armen gemütlich machte. Dieses Menschenkind verstörte ihn zunehmend und je länger er ihr beim Schlafen zusah, umso mehr wollte er sie vor allen anderen verstecken. Er wusste, dass er es konnte… wenn er wirklich wollte, und die Versuchung war tatsächlich sehr groß. Er hatte noch nie jemanden in das verwandelt, was er war… aber wenn er es wollte… konnte er.
Seine beschützenden Instinkte für das Mädchen, sowie die eifersüchtigen Gefühle verwunderten ihn und Kyou knurrte leise über seine eigenen Taten. Wie konnte dieses Mädchen ihn so durcheinanderbringen? Nachdem er endlich seinen Blick von ihrem engelsgleichen Gesicht losgerissen hatte, sah er hoch zu dem Mann, der ihn anschrie. Es schien, dass da immer mehr Männer waren, die sie wollten und die ihn aufhalten wollten.
Ein goldener Blick traf die amethystfarbenen Augen und er fühlte eine merkwürdige Vertrautheit. „Du hast hier nichts zu entscheiden, Zauberer“, warnte Kyou mit tödlicher Stimme.
In diesem Moment wusste er, dass nicht einmal Hyakuhei selbst sie ihm wegnehmen konnte. Sie gehörte ihm. Seine Arme schlangen sich fester um sie, denn ihm gefiel die Liebe für das Mädchen nicht, die er von der mächtigen Aura des anderen Mannes fühlen konnte.
Seine eigenen abtrünnigen Gedanken zurückweisend knurrte Kyou leise. Er würde nicht zulassen, dass das Mädchen seine Sinne verwirrte, aber… er war noch nicht fertig mit ihr. Er hatte zu viele Fragen und sie würde sie beantworten, ob sie wollte oder nicht.
Als er sicher war, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte, beschloss Kyou zu gehen.
Shinbe ging auf Kyoko zu, als der Mann sich bewegte. Bewegte? Das war vielleicht nicht das richtige Wort. Verblasste und verschwand, und dann aus dem Nichts wiedererschien, traf es eher.
„Was zur…“ Shinbe blieb stolpernd stehen, als er in das Gesicht hochsah, dessen Blick ihn töten wollte.
Seine Augen weiteten sich vor Schreck, er fühlte sich, als hätte sein Herz gerade seinen Dienst versagt. So nahe… konnte er deutlich sehen, dass die Haut des Mannes praktisch weiß wie Porzellan war und er sah Toya so ähnlich, dass es kein Scherz sein konnte. Blinzelnd hätte er schwören wollen, dass er Fangzähne aus dem Mund des Mannes hervorragen sah, als ein warnendes Knurren sie umgab.
Shinbe blieb wie angewurzelt stehen, als der Mann einen Finger hob und ihn gegen seine Brust drückte. Das nächste, was Shinbe mitbekam, war, dass er mitten am Boden saß. Er blinzelte noch einmal und schaute verwirrt zu, als der schwarz gekleidete Mann einfach an ihm vorbeiging und dann plötzlich verschwand.
Suki erreichte den Flur gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Shinbe nicht so sanft am Boden landete und ein großer, silberhaariger Mann mit Kyoko verschwand. Sie zwinkerte einmal und weg waren sie… zuerst da, dann weg.
Shinbe, der aussah, als hätte er ein Gespenst gesehen, saß noch einen Moment lang verwirrt blinzelnd da. „Was, zur Hölle?“
Mit eiligen Schritten kam Suki angelaufen, ihre Hände zitterten, als sie ihm beim Aufstehen half. „Wer war der Mann, der mit Kyoko verschwunden ist?“ Sie betrachtete Shinbe besorgt, als sie beide zur Tür liefen, um sie zu finden. ‚Hat er sich wirklich einfach in Luft aufgelöst?‘
Sie verließen das Gebäude und sahen sich überall um, aber konnten von dem Mann oder Kyoko keine Spur finden.
Als sie wieder zu Shinbe blickte, glänzten Sukis Augen. Sie fühlte sich, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Wo sind sie hin? Der Mann hat Kyoko entführt!“ Sie zitterte vor Angst. Was als eine lustige Feier begonnen hatte, war nun zu einem Albtraum geworden.
„Beruhige dich, Suki. Wir werden sie finden. Toya ist auch hier.“ Shinbe sah sich nervös nach seinem Freund um, der nun auch noch fehlte. „Ich dachte, dass er gleich hinter mir war!“
Seine Sorge verwandelte sich schnell in Wut, jetzt, wo er wusste, dass Suki in Sicherheit und in seiner Nähe war. Ein Schatten von Mitleid erschien kurz in seinen besorgten Augen, als er an die Vergangenheit dachte. „Und was, zur Hölle, hast du dir dabei gedacht? Es hätte dir etwas zustoßen können und ich hätte nie erfahren, wo du bist!“ Er packte sie grob an den Armen, als seine violetten Augen sich verdunkelten.
Sukis Lippen wurden schmal, als sie seine Wut fühlte. Was war das Problem? Es war doch nicht so, als wäre sie noch nie mit Freundinnen ausgegangen. Ihr Blick traf den seinen, als ihr eigener Zorn wuchs. „Was meinst du dammmf…?“ Ihre Worte wurden abgeschnitten, als seine Lippen sich in einem wilden, herzhaften Kuss auf ihre drückten.
Shinbe war so besorgt gewesen, dass er nicht verhindern konnte, dass seine Gefühle sich nun zeigten. Er wollte, dass sie jede einzelne seiner Emotionen fühlte, die im Moment durch seine Adern strömten. Er umarmte sie fest, schwor sich selbst, dass er sie nie wieder aus den Augen lassen würde.
Suki winselte leise über die Intensität von Shinbes Kuss. Es war als würde er jede rohe Emotion in seiner Seele mit ihr teilen. Sie konnte sie praktisch in ihren Fingerspritzen fühlen, als sie seine Schultern umklammerte. Wissend, dass sie nicht mehr stehen konnte, wenn sie losließ, angesichts der Tatsache, dass ihre Beine gerade butterweich geworden waren, hielt sie sich trotzdem an ihm fest.
Ihre Gedanken verstummten völlig und sie vergaß, dass sie sauer auf ihn war, und dass Kyoko gerade verschwunden war. Alles, was sie fühlen konnte, war Shinbe und eine Liebe, die zweifellos länger leben würde, als sie beide.
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