Wenn ich das vorübergehende Leiden von Menschen sehe, die uns dann doch entkommen, dann kommt es mir vor, als dürfte ich vom ersten Gang eines reichen Festmahls kosten, der Rest aber bliebe mir vorenthalten. Das ist schlimmer, als gar nicht erst gekostet zu haben. Ganz im Stil seiner barbarischen Methoden der Kriegführung lässt uns der Feind das kurze Elend seiner Günstlinge sehen, um uns zu quälen und zu foltern – den unaufhörlichen Hunger zu verhöhnen, den uns zugegebenermaßen seine Blockade während der gegenwärtigen Phase des großen Konfliktes auferlegt.
Lass uns darum lieber darüber nachdenken, wie wir den europäischen Krieg nutzen, statt wie wir ihn genießen können. Denn er birgt gewisse Tendenzen in sich, die für sich betrachtet keineswegs zu unseren Gunsten sprechen. Wir dürfen auf ein beträchtliches Maß an Grausamkeit und sexueller Zügellosigkeit hoffen. Aber wenn wir nicht aufpassen, werden wir erleben, wie sich Tausende in dieser Notlage dem Feind zuwenden, während Zehntausende zwar nicht so weit gehen werden, aber immerhin ihre Aufmerksamkeit von sich selbst abziehen und auf Werte und Anliegen richten werden, die sie höher einstufen als das Selbst.
Ich weiß, dass der Feind viele dieser Anliegen missbilligt. Aber das ist es ja, worin er so unfair ist. Er macht sich oft Menschen zur Beute, die ihr Leben für Dinge gegeben haben, die er für schlecht hält, und das mit der ungeheuerlich sophistischen Begründung, die Menschen hätten sie für gut gehalten und seien der besten Sache gefolgt, die sie kannten.
Bedenke auch die unerwünschten Todesfälle, die sich in Kriegszeiten ereignen. Menschen sterben an Orten, wo sie damit rechnen, getötet zu werden, und an die sie sich, wenn sie auch noch zur Partei des Feindes gehören, vorbereitet begeben. Wie viel besser wäre es für uns, wenn alle Menschen in kostspieligen Pflegeheimen stürben, umgeben von Ärzten, Krankenschwestern und Freunden, die lügen, wie wir es sie gelehrt haben, den Sterbenden das Leben versprechen, sie in dem Glauben bestärken, Krankheit entschuldige jedes Laster, ja die, wenn unsere Arbeiter ihr Handwerk verstehen, sogar davor zurückscheuen, einen Priester kommen zu lassen, damit der Kranke nicht daran seinen wahren Zustand erkenne! Und wie katastrophal ist für uns das ständige Bewusstsein des Todes, das ein Krieg erzwingt. Eine unserer besten Waffen, die selbstzufriedene Weltlichkeit, verliert ihre Wirkung. In Kriegszeiten kann nicht einmal ein Mensch glauben, er werde für immer leben.
Ich weiß, dass Scabtree und andere in Kriegen eine großartige Möglichkeit für Angriffe auf den Glauben gesehen haben, aber ich halte diese Ansicht für übertrieben. Der Feind hat seinen menschlichen Partisanen klipp und klar gesagt, dass Leiden ein entscheidender Teil dessen ist, was er Erlösung nennt; woraus folgt, dass ein Glaube, der durch einen Krieg oder eine Seuche zerstört wird, der Mühe des Zerstörens im Grunde gar nicht wert gewesen sein kann. Ich spreche jetzt von fortgesetztem Leiden über eine längere Zeitspanne, wie es durch einen Krieg verursacht wird.
Freilich, genau in dem Augenblick des Entsetzens, des Verlustes oder des körperlichen Schmerzes kannst du deinen Mann erwischen, während seine Vernunft vorübergehend außer Gefecht ist. Doch selbst dann wird nach meiner Erfahrung der Posten fast immer verteidigt, wenn er das feindliche Hauptquartier anruft.
Herzlichst,
Dein Onkel Screwtape
Mein lieber Wormwood, zu meiner großen Freude höre ich, dass das Alter und der Beruf deines Patienten es möglich, aber keineswegs gewiss erscheinen lassen, dass er zum Militärdienst einberufen wird. Halten wir ihn in der größtmöglichen Ungewissheit, sodass seine Gedanken voller widersprüchlicher Bilder von der Zukunft sind, von denen jedes entweder Hoffnung oder Furcht erweckt. Durch nichts lässt sich der Geist eines Menschen so gut gegen den Feind verbarrikadieren wie durch Spannung und Angst. Er möchte, dass die Menschen sich darüber Gedanken machen, was sie tun; unsere Aufgabe ist es, sie über das nachdenken zu lassen, was ihnen passieren wird.
Natürlich wird dein Patient bereits den Gedanken aufgeschnappt haben, dass er sich geduldig unter den Willen des Feindes beugen muss. Was der Feind damit meint, ist in erster Linie, dass er geduldig die Trübsal annehmen soll, die ihm tatsächlich auferlegt ist – nämlich die gegenwärtige Angst und Spannung. Davon soll er sagen: »Dein Wille geschehe«, und für die tägliche Aufgabe, das zu erdulden, wird ihm das tägliche Brot zuteil werden.
Deine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Patient niemals diese gegenwärtige Furcht als das Kreuz betrachtet, das ihm auferlegt ist, sondern immer nur die Dinge, vor denen er sich fürchtet. Darin lass ihn seine Kreuze sehen. Lass ihn vergessen, dass sie einander widersprechen und ihm darum nicht alle widerfahren können. Lass ihn versuchen, sich ihnen allen gegenüber im Voraus in Tapferkeit und Geduld zu üben. Denn sich wirklich gleichzeitig in ein Dutzend verschiedener und hypothetischer Geschicke zu fügen ist beinahe unmöglich, und der Feind gibt denen, die es versuchen, nicht viel Hilfestellung: Die Fügung in gegenwärtiges und tatsächliches Leiden ist viel leichter und wird meist von ihm unmittelbar unterstützt.
Hier zeigt sich ein wichtiges geistliches Gesetz. Ich habe dir bereits erklärt, wie du seine Gebete schwächen kannst, indem du seine Aufmerksamkeit vom Feind selbst weg auf seine eigenen Vorstellungen vom Feind lenkst.
Andererseits ist die Furcht leichter zu meistern, wenn der Patient sich statt auf die gefürchtete Sache auf die Furcht selbst konzentriert, sie als gegenwärtigen und unerwünschten Geisteszustand betrachtet. Wenn er die Furcht als sein auferlegtes Kreuz ansieht, wird er sie unweigerlich als einen Geisteszustand auffassen.
Darum lässt sich die allgemeine Regel formulieren: Bei allen Aktivitäten, die unserer Sache dienlich sind, halte den Patienten dazu an, sich selbst zu vergessen und sich auf das Objekt zu konzentrieren. Bei allen Aktivitäten dagegen, die dem Feind dienlich sind, lenke seine Gedanken zurück auf sich selbst.
Lass seine Aufmerksamkeit durch eine Beleidigung oder den Körper einer Frau so gefesselt werden, dass er nicht dazu kommt, zu denken: »Ich gerate jetzt in den Zustand, den man Zorn nennt – oder in den Zustand, den man Begierde nennt.« Umgekehrt, lass seine Aufmerksamkeit durch den Gedanken »Meine Empfindungen werden jetzt andächtiger oder liebevoller« so sehr an sein Inneres gefesselt werden, dass er nicht mehr dazu kommt, über sich selbst hinauszublicken und unseren Feind oder seine Nächsten wahrzunehmen.
Was seine allgemeine Einstellung zum Krieg angeht, so darfst du dich nicht zu sehr auf jene Gefühle des Hasses verlassen, über die die Menschen so gerne in ihren christlichen oder antichristlichen Zeitschriften diskutieren. Natürlich kann der Patient in seiner Not dazu angehalten werden, sich durch Hassgefühle gegenüber den deutschen Führern zu rächen, und das ist soweit auch schön und gut. Aber dahinter verbirgt sich meist nur ein melodramatischer oder mythischer Hass gegenüber imaginären Sündenböcken.
Im wirklichen Leben ist er diesen Leuten nie begegnet – es sind nur Pappkameraden, die er aus dem Material modelliert, das ihm die Zeitungen liefern. Die Resultate eines solchen eingebildeten Hasses sind oft höchst enttäuschend, und von allen Menschen sind die Engländer in dieser Hinsicht die beklagenswertesten Jammerlappen. Sie sind Geschöpfe von jener erbärmlichen Sorte, die lauthals verkündet, die Folter sei noch zu gut für ihre Feinde, und dann dem ersten verwundeten deutschen Piloten, der an ihrem Hintereingang auftaucht, Tee und Zigaretten anbietet.
Wie du es auch anstellst, es werden sowohl Güte als auch Bosheit in der Seele deines Patienten vorhanden sein. Der große Trick besteht darin, die Bosheit auf seine unmittelbaren Nächsten auszurichten, denen er jeden Tag begegnet, und ihn die Güte in weite Ferne schleudern zu lassen, zu Leuten, die er nicht kennt. Auf diese Weise wird die Bosheit völlig real, während die Güte weitgehend imaginär bleibt.
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