Ich schlug sofort an der Stelle des Mannes zu, die ich am sichersten in meiner Hand hatte, und flüsterte ihm ein, es sei an der Zeit für einen kleinen Imbiss. Der Feind machte vermutlich den Gegenvorschlag (hast du auch schon bemerkt, dass man nie völlig belauschen kann, was er zu ihnen sagt?), dies hier sei wichtiger als das Mittagessen. Zumindest glaube ich, dass das seine Stoßrichtung war, denn als ich sagte: »Völlig richtig. Sogar viel zu wichtig, um es noch am Ende eines Vormittages in Angriff zu nehmen«, hellte sich das Gesicht des Patienten sichtlich auf; und als ich hinzugefügt hatte: »Es wäre viel besser, nach dem Essen zurückzukommen und sich der Sache mit frischem Geist zu widmen«, war er schon auf halbem Weg zum Ausgang. Kaum stand er auf der Straße, hatte ich die Schlacht gewonnen.
Ich zeigte ihm einen Zeitungsjungen, der die Mittagsausgabe ausrief, und einen vorbeifahrenden Bus der Linie 73, und noch bevor er die Stufen hinabgestiegen war, hatte ich ihm die unerschütterliche Überzeugung eingetrichtert, dass, was für seltsame Gedanken auch immer einem Mann durch den Kopf gehen mochten, wenn er allein über seinen Büchern hockte, eine gesunde Dosis »wirklichen Lebens« (womit er den Bus und den Zeitungsjungen meinte) genügte, um ihm vor Augen zu führen, dass »solche Dinge« einfach nicht wahr sein konnten.
Er wusste, dass er nur knapp entkommen war, und sprach in späteren Jahren gern von »jenem undefinierbaren Sinn für das Wirkliche, der unsere letzte Rettung vor den Verirrungen reiner Logik ist«. Heute haben wir ihn sicher im Haus Unseres Vaters.
Verstehst du, worauf es ankommt? Dank den Vorgängen, die wir schon vor Jahrhunderten in ihnen in Gang brachten, ist es ihnen nahezu unmöglich, an das Außergewöhnliche zu glauben, solange das Gewöhnliche ihnen vor Augen steht.
Trichtere ihm immer wieder die Gewöhnlichkeit aller Dinge ein. Vor allem aber versuche niemals, die Wissenschaften (die echten Wissenschaften, meine ich) als Abwehr gegen das Christentum zu verwenden. Die würden ihn geradezu ermutigen, über Wirklichkeiten nachzudenken, die er nicht anfassen oder sehen kann. Es hat da traurige Fälle unter modernen Physikern gegeben.
Wenn er schon in der Wissenschaft herumtappen muss, dann lenke ihn auf die Wirtschaftswissenschaft oder die Soziologie. Lass ja nicht zu, dass er sich von jenem unschätzbaren »wirklichen Leben« entfernt. Am besten jedoch wäre es, wenn du ihn gar keine wissenschaftlichen Bücher lesen ließest, sondern ihm nur das großartige allgemeine Gefühl gäbest, er wüsste über alles Bescheid und alles, was er in beiläufigen Gesprächen und oberflächlicher Lektüre aufgeschnappt habe, wären die »neuesten Forschungsergebnisse«.
Vergiss nicht, dass du dazu da bist, ihn zu verwirren. Wenn man manche von euch jungen Teufeln reden hört, könnte man meinen, unsere Aufgabe sei es, zu lehren!
Herzlichst,
Dein Onkel Screwtape
Mein lieber Wormwood, ich höre mit großem Missvergnügen, dass dein Patient Christ geworden ist. Gib dich nicht der Hoffnung hin, du könntest der üblichen Strafe entgehen; ja, in deinen besseren Momenten, so hoffe ich, wirst du dir das nicht einmal wünschen. Inzwischen müssen wir das Beste aus der Situation machen. Es besteht kein Grund zur Verzweiflung; schon Hunderte dieser erwachsenen Bekehrten konnten nach kurzem Aufenthalt im Lager des Feindes zurückgewonnen werden und sind nun bei uns. Sämtliche Gewohnheiten des Patienten, die geistigen wie die körperlichen, sprechen immer noch zu unseren Gunsten.
Eine unserer besten Verbündeten ist gegenwärtig die Kirche selbst. Verstehe mich nicht falsch. Ich meine damit nicht die Kirche, wie wir sie sehen, ausgebreitet durch alle Zeit und allen Raum und verwurzelt in der Ewigkeit, schrecklich wie eine Armee mit wehenden Fahnen. Die ist, wie ich bekennen muss, ein Anblick, bei dem selbst unseren kühnsten Versuchern unbehaglich wird.
Für diese Menschen jedoch ist sie glücklicherweise völlig unsichtbar. Was dein Patient sieht, ist lediglich die halb vollendete pseudo-gothische Konstruktion in der neuen Wohnsiedlung. Sobald er sie betritt, sieht er den Lebensmittelhändler aus der Nachbarschaft mit salbungsvollem Gesicht auf sich zu eilen, um ihm ein glänzendes Büchlein mit einer Liturgie zu reichen, die keiner von beiden versteht, sowie ein anderes, schäbiges Büchlein mit verfälschten Texten einer Anzahl religiöser Lieder, die meisten von schlechter Qualität und in winzigem Druck.
Wenn er seinen Platz erreicht und sich umschaut, erblickt er eine Auswahl genau jener Nachbarn, denen er bisher aus dem Weg gegangen ist. Auf diese Nachbarn musst du dich besonders stützen. Lass seine Gedanken hin- und herflattern zwischen Ausdrücken wie »der Leib Christi« und den wirklichen Gesichtern auf der nächsten Kirchenbank. Natürlich spielt es dabei kaum eine Rolle, was für Leute tatsächlich auf jener nächsten Kirchenbank sitzen. Vielleicht kennst du sogar einen von ihnen als großen Kämpfer auf der Seite des Feindes. Ganz gleich.
Dank Unserem Vater in der Tiefe ist dein Patient ein Dummkopf. Es braucht nur einer von diesen Nachbarn falsch zu singen, quietschende Stiefel zu tragen, ein Doppelkinn zu haben oder merkwürdig gekleidet zu sein, und schon wird dein Patient ganz leicht zu der Auffassung kommen, dass ihre Religion aus diesem Grund etwas Lächerliches an sich haben müsse. Im gegenwärtigen Stadium hat er nämlich eine Vorstellung von »Christen« im Kopf, die er für geistlich hält, die aber in Wirklichkeit weitgehend visuell ist.
Seine Gedanken sind voll von Togen und Sandalen und Rüstungen und bloßen Beinen, und allein die Tatsache, dass die anderen Leute in der Kirche moderne Kleidung tragen, stellt eine wirkliche – wenn auch unbewusste – Schwierigkeit für ihn dar. Lass sie nie an die Oberfläche kommen. Lass ihn niemals fragen, was er denn erwartet hat, wie sie aussehen würden. Achte darauf, dass jetzt alles in seinen Gedanken nebelhaft bleibt, und du wirst dich die ganze Ewigkeit hindurch damit amüsieren können, in ihm die besondere Art von Klarheit hervorzubringen, die nur in der Hölle zu finden ist.
Arbeite also hart an der Enttäuschung oder Ernüchterung, die den Patienten während seiner ersten Wochen als Glied der Kirche mit Sicherheit erwartet. Der Feind lässt zu, dass es an der Schwelle zu jedem menschlichen Unterfangen zu dieser Enttäuschung kommt.
Sie erwartet den Jungen, der im Kinderzimmer von den Geschichten aus der Odyssee bezaubert war und sich nun hinsetzt, um tatsächlich Griechisch zu lernen. Sie erwartet die Liebenden, die geheiratet haben und sich nun wirklich an die Aufgabe machen, zusammenzuleben. In jedem Bereich des Lebens markiert sie den Übergang von der Zukunftsträumerei zum mühevollen Tun.
Der Feind nimmt dieses Risiko auf sich, weil er sich die seltsame Idee in den Kopf gesetzt hat, all dieses widerwärtige kleine menschliche Ungeziefer dazu zu bringen, ihn als »freie« Wesen zu lieben und ihm zu dienen, wie er es nennt. »Söhne« ist das Wort, das er gebraucht in seiner tief verwurzelten Neigung, die ganze spirituelle Welt durch die unnatürliche Verbindung mit diesen zweibeinigen Tieren zu erniedrigen.
Da er ihre Freiheit wünscht, verzichtet er darauf, sie lediglich durch ihre Neigungen und Gewohnheiten an die Ziele zu bringen, die er ihnen setzt: Er überlässt es ihnen, diese Ziele selbst zu erreichen. Und darin liegt unsere Möglichkeit. Aber genau dort, vergiss das nicht, liegt auch unsere Gefahr. Haben sie erst einmal diese anfängliche Dürrezeit erfolgreich hinter sich gebracht, werden sie viel unabhängiger von Emotionen und sind darum viel schwerer in Versuchung zu bringen.
Ich bin im bisherigen von der Annahme ausgegangen, dass die Leute in der nächsten Kirchenbank keinen vernünftigen Anlass zur Enttäuschung bieten. Freilich, wenn sie das tun – wenn der Patient etwa weiß, dass die Frau mit dem absurden Hut eine fanatische Bridge-Spielerin ist oder der Mann mit den quietschenden Stiefeln ein Geizkragen und Erpresser –, dann ist deine Aufgabe umso leichter. Dann brauchst du ihn nur noch davon abzuhalten, sich zu fragen: »Wenn ich, so, wie ich bin, mich in gewissem Sinn als Christ betrachten kann, warum sollten die verschiedenen Laster jener Leute in der nächsten Kirchenbank beweisen, dass ihre Religion nur Heuchelei und Tradition ist?«
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