Doch der Hauptgrund, warum ich mir Sorgen mache, ich könnte mich in einen Eptesicus fuscus (so der vornehme lateinische Name der Fledermaus) verwandeln, ist meine Entdeckung, dass Fledermäuse ihr ganzes Leben lang schreien. Das gehört für sie einfach dazu. Es hat mit ihrem eingebauten Navigationssystem zu tun. Früher dachte ich immer, diese kleinen Tierchen wären blind wie, nun ja, eben Fledermäuse. Doch nach eingehenden Nachforschungen (also fünf Minuten im Internet) bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass das nur ein moderner Mythos ist, so wie die lächerlichen Vorstellungen, Elvis sei gar nicht tot, sondern lebe in Birmingham, oder ein Overhead-Projektor sei eine großartige Erfindung. In Wirklichkeit haben Fledermäuse ein ausgezeichnetes Sehvermögen – nur stützen sie sich zum Überleben nicht auf ihre Augen, sondern auf ihre sogenannte Echoortung. Mit der Echoortung ist die Fledermaus in der Lage, Schallwellen hoher Frequenz auszusenden, die von einem Objekt, etwa einer vorbeifliegenden Mücke, zurückgeworfen werden und ein bestimmtes Schall-„Echo“ erzeugen, das zu den Ohren der Fledermaus zurückkehrt. Kurz, Fledermäuse halten sich durch Schreien am Leben. So machen sich die kleinen Viecher einen Reim auf ihr Dasein – indem sie pausenlos schreien und dann registrieren, wie die Welt auf ihr Geschrei reagiert.
Fledermäuse verbringen also ihr Leben mit Schreien. Sie schreien sich gegenseitig an, sie schreien ihr Mittagessen an, sie schreien die Bäume an, sie schreien ihre Nachbarn an, und sie schreien ihre Babys an. Sie werden schreiend geboren und sterben schreiend, und wenn sie richtig in Fahrt sind, können sie bis zu zweihundert Schreie pro Sekunde ausstoßen. Die meisten davon sind für menschliche Ohren nicht hörbar, und dafür sollten wir dankbar sein.
Und damit wären wir bei mir.
Ich schreie eigentlich gar nicht so viel, zumindest nicht laut. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel zu viel Zeit meines Lebens damit verbringe, innerlich zu schreien, außer Hörweite von anderen. Manchmal lebe ich mit einem köchelnden Ärger, einem stummen Schrei, dem emotionalen Äquivalent eines Wasserkessels, der ständig knapp unter dem Siedepunkt ist. Ich lasse mir den Abend versauen von jener britischsten aller Traditionen, der schlechten Bedienung im Restaurant, und statt über die ungeschickten Sitcom-Eskapaden in „Fawlty-Towers“ zu lachen, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Ich mosere über die Benzinpreise, brodele innerlich über den verstopften Parkplatz der Londoner Ringautobahn, der sich M25 nennt, und schüttele genervt den Kopf über die erbärmliche Banalität einer Kultur, die auch nur das geringste Interesse für das Big-Brother-Haus aufbringt. Ich ärgere mich über ein Lobpreislied, das von mir verlangt zu behaupten, ich wäre wegen Jesus in jeder wachen Sekunde in Ekstase, und hege gewalttätige Gedanken gegenüber dem komischen Typen im Zug, der auf seinem Handy einen Barry-Manilow-Klingelton hat. All diese Dinge haben sich verschworen, um mich beständig innerlich schreien zu lassen. So wird die Dankbarkeit in ein unaufhörliches inneres Geschimpfe verkehrt, das dicht unter meiner Haut vor sich hinköchelt.
Es gibt Leute, die das Geköchel noch einen Schritt weiter treiben und jeden wachen Moment ihres Lebens buchstäblich schreiend verbringen. Das Klagen ist ihre Stärke, und sie sind nicht zufrieden, wenn sie nicht unzufrieden sind. Unaufhörlich stellen sie andere auf die Probe, um herauszufinden, was für eine Reaktion sie mit ihrem Geschrei hervorrufen können. Wut ist das, was sie am besten können, und so besteht jeder Tag aus einer neuen Reihe von Begegnungen, bei denen sie anderen auf die Nerven gehen, sie auf die Palme bringen und sie heruntermachen.
Was für ein Leben – man sieht alles auf dem Kopf stehend, meistens im Dunkeln, schreit herum und hält sich meistens dicht neben einem Haufen Fledermausdung auf. Toll für den Eptesicus fuscus.
Schlecht für den Homo sapiens.
DAS SCHWERT DER
WAHRHEIT IN DER HAND
Heute war ich Zeuge, wie jemand auf tragische Weise mit der Bibel um sich schlug. Amerika steht im Bann des Prozesses gegen den Serienmörder Dennis Rader, der über einen Zeitraum von dreißig Jahren zehn Opfer gefoltert und ermordet hat. „Monster“ ist ein Wort, das in Kriminalfällen oft überstrapaziert wird, aber auf diesen Mann, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, trifft es zu. Er wurde zu 145 Jahren Gefängnis verurteilt und kann frühestens nach vierzig Jahren zur Bewährung freigelassen werden.
Was die ganze Tragödie um Rader noch schlimmer macht, ist, dass er sich selbst als Christ bezeichnet und bis vor Kurzem Kirchenvorstand einer lutherischen Gemeinde war. In einer wirren Verlautbarung zitierte er aus der Bibel, las ein paar Zeilen aus einem Andachtsbuch vor und deutete an, Dämonen hätten ihn zu seiner drei Jahrzehnte umspannenden Mordserie inspiriert. Seinem Strafverteidigerteam zollte er den überschwänglichen Dank eines Oscar-Gewinners. Doch nicht ein einziges Mal hielt er inne, um eine ernsthafte und überlegte Bitte um Entschuldigung an die Angehörigen seiner Opfer zu richten. Das Höchste, wozu er sich durchringen konnte, war: „Was die Reue angeht, nun, das ist offensichtlich.“ War es aber nicht. „Es tut mir leid“ wäre ein kleiner, aber willkommener Anfang gewesen.
Das amerikanische Justizsystem gibt den Angehörigen von Mordopfern die Möglichkeit, sich bei der Urteilsverkündung zu äußern. Fünfzehn Personen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Da dieser Prozess im amerikanischen Bible Belt stattfand, waren die meisten von ihnen bekennende Christen. Und den meisten von ihnen war ihr Hass gegen Rader deutlich anzumerken. Mit knirschenden Zähnen hielten sie ihm vor, er werde für immer in der Hölle schmoren. Manche waren offensichtlich freudig erregt über diese Aussicht. Die beißendste Äußerung kam von einem Mann, der ein christliches Buch über das Leid geschrieben hatte. Voller Genugtuung überschüttete er den Mörder seiner Mutter mit Beleidigungen und verkündete dann abermals das Urteil: „Sie werden für immer braten, ohne jede Aussicht auf Bewährung.“ Die Wonne, mit der er diese Worte sprach, das Gesicht wutverzerrt, hatte etwas Obszönes. Eine Sekunde lang schien es, als wäre in diesem Gerichtssaal mehr als nur ein Monster anwesend. „Ehe ich ihm vergebe, friert die Hölle zu“, sagte er später zu Reportern.
Ich will nicht über die Angehörigen dieser Mordopfer urteilen. Ihre Qualen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, die Tiefe ihrer Trauer nicht einmal annähernd ermessen. Ich selbst ertappte mich dabei, wie ich den Fernseher anschrie, als ich mir den grausigen Katalog seiner Verbrechen anhörte. Rader ist zweifelsohne ein widerwärtiger Zeitgenosse, und ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren würde, wenn er das Leben meines Sohnes oder meiner Tochter ausgelöscht hätte. Ich fürchte, ich wäre vielleicht auch einer von denen, die lautstark fordern würden, ihn zu rösten. Keiner von uns weiß, wie wir reagieren werden, wenn wir auf die Probe gestellt werden, und wir alle sollten innig darum beten, dieser Art von Prüfung niemals unterzogen zu werden.
Doch eine Tragödie zieht die andere nach sich. Und dem heutigen Ereignis fehlte jeder Schimmer von Hoffnung, weil nicht einer dieser bekennenden Nachfolger Christi – weder der Täter noch die Opfer – die Gnade fand, auch nur ansatzweise nach Vergebung zu suchen oder sie zu gewähren. Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden, und Rader darf nie wieder das Licht des Tages unter freien Menschen sehen. Doch gestern wühlten der Verurteilte ebenso wie diejenigen, die ihn verurteilten, im selben traurigen Sündenpfuhl herum. Und beide Seiten gebrauchten, wie es schon unzählige Male in der Geschichte geschah, die Bibel als ungeschickt geschwungenes Schwert und trafen damit nicht nur die Anwesenden im Gerichtssaal, sondern auch jeden, der sich den Prozess im Fernsehen anschaute. Die Bibel ist in den falschen Händen eine gefährliche Waffe.
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