So hilfreich und nützlich diese Erkenntnisse zur Mitarbeiterzufriedenheit unter dem Gesichtspunkt der These „Quelle Mensch” unzweifelhaft sind, zwei Fragen sind noch offen: Erstens, wie beantworten engagierte Mitarbeiter die Frage nach der Attraktivität des Arbeitsplatzes? In den Studien sind immer die Meinungen aller Mitarbeiter eingeflossen. „Ticken” Top-Mitarbeiter etwa anders als der Durchschnitt? Und zweitens, sind die Ergebnisse der Studien überhaupt in dem Sinne verallgemeinerungsfähig, dass sie als verbindlicher Maßstab für die Wünsche und Vorstellungen eines beliebigen Mitarbeiters geeignet sind? 20)
25Zur ersten Frage, ob der engagierte Mitarbeiter Führunganders versteht als der durchschnittliche Mitarbeiter, kann ich keine empirischen Grundlagen anbieten, aber eigene Beobachtungen und Wahrnehmungen schildern. In der Vorbereitung einer Veranstaltung für Führungskräfte in der Seminarreihe „Kanzlei.Management.Forum” bat ich meine Lebenspartnerin Christine, die damals in einem Team von fünf Mitarbeiterinnen hoch engagiert an der Entwicklung von Projekten arbeitete, sie sollte mir einfach „frei von der Leber weg” auflisten, was Sie sich von ihrem Vorgesetzten wünscht.
26Das Ergebnis ihrer Arbeit ist äußerst aufschlussreich und ich gebe Ihnen den Anforderungskatalog, den ich „Liste Christine”nenne, 1:1 weiter:
Ich wünsche mir von meinem Vorgesetzen, dass …
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er eine Vision für das Unternehmen hat. |
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er mir vermittelt, welche Wege das Unternehmen aus seiner Sicht in Zukunft gehen will. |
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er mir vermittelt, welche Strategie das Unternehmen insgesamt verfolgt. |
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er mir konkret vermittelt, welches Produkt bzw. welche Dienstleistung das Unternehmen derzeit seinen Kunden anbietet. |
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er mir vermittelt, was davon konkret mein Anteil der Aufgabe ist. |
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er mich auffordert, bei der Entwicklung des Unternehmens mitzudenken und mitzuarbeiten, aber nicht als zusätzliche Freizeitbeschäftigung, sondern dass das zu meinen definierten Arbeitsaufgaben zählt. Somit erwartet, gehört, evaluiert und belohnt wird. |
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er mir für die Erfüllung von Arbeitsaufgaben einen Spielraum erlaubt, den ich selber gestalte, verantworte und kontrolliere. Immer in Abhängigkeit zu der konkret definierten Gesamtausrichtung des Unternehmens. |
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er mir größtmögliche Autonomie zugesteht. Aber nicht nur in Bereichen, die für ihn angenehm sind, wenn er sie los ist, sondern auch in Bereichen, die für ihn, wenn ich sie als Mitarbeiter autonom löse, auch bedeuten, dass seine Kontrollmacht beschnitten wird. Dafür erwarte ich mir Regeln und Strukturen, die derart klar kommunizierbar sind, dass ein Hintergehen so offensichtlich ist, dass es nicht vorkommen wird. Meine Bindung an das Unternehmen hängt dann von meiner eigenen Selbstverpflichtung ab und nicht von der (Un-)Möglichkeit zu durchgehender Kontrolle. |
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ich gehört werde, wenn Schwierigkeiten und Probleme auftauchen und dann gemeinsam nach Lösungswegen gesucht wird, um die Situation konstruktiv zu lösen. Auf Beschwichtigungen und Vertröstungen kann ich verzichten. Wenn ein gegenseitig respektvolles und achtsames Verhältnis besteht, wird dies ohnehin nicht vorkommen. Ich möchte mich ernst genommen fühlen und nicht jedes Mal erst um Aufmerksamkeit kämpfen müssen. |
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er seine Vorhaben für das Unternehmen transparent hält, damit ich meinen Beitrag konstruktiv dazu leisten kann. Wenn ich nicht weiß, wohin es gehen soll, wie soll ich dann (Lösungs-)Wege entwickeln oder überhaupt einen Beitrag dazu leisten können? |
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er Führung als sein Kerngeschäft versteht. |
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er für sein Kerngeschäft ausreichend kompetent ist. |
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auch er sich ständig weiterbildet und weiterentwickelt. |
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er Entscheidungen trifft und diese mit Energie füllt. Ein ständiges abschwächen oder umjustieren bei den geringsten Zweifeln oder Schwierigkeiten ist für mich bei der Arbeit, als ob man mir den Wind aus den Segeln nehmen würde oder ein Gedankengebäude – im wahrsten Sinne ständig – unterhöhlen würde. |
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er bei Fehlern oder unbeabsichtigten Missgeschicken hinter mir steht. Er weiß, dass niemand absichtlich Fehler macht – aber Fehler zu machen ist menschlich und Perfektion ist ein ständiger Prozess des sich Entwickelns. |
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er sich auch vor mich stellt, wenn es gilt, insbesondere unberechtigte Angriffe von außen abzuwehren. |
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er meine privaten und persönlichen Grenzen respektiert, was allerdings keineswegs bedeuten soll, dass es eine messerscharfe Trennung zwischen privat und beruflich geben muss. |
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er getroffene Vereinbarung einhält. Dabei geht es um so „banale” Dinge wie Arbeitszeiten, Urlaubszeiten, Lohnvereinbarungen, Arbeitsaufteilungen … ganz Alltägliches und auch höchst Individuelles wie Zusagen über Beförderungen, individuelle Fortbildungsmaßnahmen usw. |
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er Arbeitsaufgaben, die er aus gemeinsamen Besprechungen heraus übernimmt, auch tatsächlich erfüllt. |
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er Gespräche, die er zusagt, auch tatsächlich führt. |
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Verhandlungen, die er und nur er auf seiner Ebene führen kann, führt und auch zu einem Abschluss bringt. |
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er an meiner beruflichen Weiterentwicklung soweit interessiert ist, wie es in den Bereich als Führungskraft eines Unternehmens fällt, Weiterbildung und Weiterentwicklung daher nur ein gemeinsames Interesse sein kann. |
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Forderung und Herausforderung |
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er meine Stärken kennt und diese herausfordert. Mitarbeitergespräche oder Karrieregespräche sind dafür nur ein Instrument. |
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er klare Forderungen an mich als Mitarbeiter stellt und nicht in „man sollte” oder „wir könnten” Form kommuniziert. |
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er es als selbstverständlich ansieht, dass delegierte Arbeit auch konstruktives Feedback braucht. Darunter verstehe ich Kritik, die mir als Mitarbeiter hilft, mich weiter zu entwickeln. Wie soll ich sonst unterscheiden können, ob ich das Geforderte erfüllen kann und für eine Herausforderung die nötigen Kompetenzen besitze? |
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Bestimmtheit und Unbestimmtheit |
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er Planbares in einem beruflichen Alltag, der voll von Unbestimmtheit ist, bestimmt und fixiert. |
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er langfristige Planung und Strategie als Kernkompetenz einer Führungsperson versteht. |
27Die „Liste Christine” ist eine Fundgrube für alle, die an erfolgreicher Führungsarbeit interessiert sind. Überprüfen Sie in Ihrem Arbeitsalltag immer wieder, ob Sie die genannten Kriterien ernst nehmen. Sicher ist zudem eines: Nicht nur Christine hat derartige Wünsche an ihren Vorgesetzen, Ihre besten Mitarbeiter denken ähnlich! Meine Erfahrung ist, dass Leistungsträgerin der Kanzlei die Messlattefür die Attraktivität des Arbeitsplatzes deutlich höherlegen, als die übrigen Mitarbeiter. Um Spitzenleute zu gewinnen und zu halten, sind Führungskräfte noch mehr gefordert, als es die dargestellten Kriterien für die Attraktivität des Arbeitsplatzes auf den ersten Blick erkennen lassen. 21)
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