1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 Mir wurde gesagt, die feine Gesellschaft in London erkenne den Titel „Mrs. Colonel“ nicht an. Sollte das zutreffen, befindet sich die feine Gesellschaft London´s im Unrecht, denn niemand im Universum könnte feiner sein als die feine Gesellschaft des Abbey Hill; und diese war der Ansicht, ihr Souverän habe ein ebenso gutes Anrecht an dem Titel „Mrs. Colonel“ wie die Königin von England an dem einer „Gracious Lady“. Dennoch bediente sich Mrs. Poyntz dieses Titels nie selbst; er erschien ebensowenig auf einer ihrer Karten, wie man die Bezeichnung „Gracious Lady“ auf einer der Einladungskarten finden wird, die der Lord Steward oder Lord Chamberlain auf Befehl ihrer Majestät ausgeben. Titel riefen bei Mrs. Poyntz ohnehin keine abergläubische Ehrfurcht hervor. Zwei dem Hochadel angehörende Damen, die zu ihrer engen Verwandtschaft gehörten, pflegten ihr alljährlich einen zwei- oder dreitägigen Besuch abzustatten. Der Berg betrachtete dies als eine Würdigung ihrer hohen Stellung. Mrs. Poyntz schien darin nie eine ihr selbst erwiesene Ehre zu erkennen, rühmte sich nie dieser Besuche, stellte ihre vornehmen Verwandten nie zur Schau oder machte nicht viel Aufhebens aus dem Empfang der Damen. Ihre Art zu Leben war frei von allem Prunk. Sie hatte das Glück, einige hundert Pfund Jahreseinkommen mehr verbuchen zu können als jeder andere Bewohner des Hill, aber sie verwendete ihre größeren Ressourcen nie zu der Schaustellung einer überlegenen Pracht. Als weiser Souverän widmete sie die Einkünfte ihrer Staatskasse dem Wohl ihrer Untertanen und nicht der Eitelkeit einer egoistischen Zurschaustellung. Da niemand auf dem Berg eine Kutsche unterhielt, verzichtete sie ebenfalls darauf. Ihre Einladungen waren einfach, aber zahlreich. Zweimal in der Woche empfing sie den Hill und sorgte dafür, dass er sich heimisch fühlte. Sie sorgte dafür, ihre Parties sprichwörtlich angenehm zu halten. Die gereichten Erfrischungen waren von der Art, die auch die ärmste ihrer Ehrendamen bieten konnte, allerdings achtete sie sehr auf Qualität – der beste Tee, die beste Limonade, die besten Kuchen waren gerade gut genug.
Ihre Räume waren von einer Behaglichkeit, die ihnen etwas besonderes gab. Sie sahen aus wie Räume aussehen sollten, die daran gewöhnt waren, in freundlicher Art Gäste zu empfangen, angenehm warm, gut beleuchtet, mit Kartentischen und Piano, die so platziert waren, dass sie zu Kartenspiel und Musik förmlich einluden. An den Wänden hingen einige Familienporträts und drei oder vier andere Bilder, von denen gesagt wurde, dass sie einigen Wert besäßen und gut dort hin passten – zwei Watteaus, ein Canaletti und ein Weenix; dazu eine größere Anzahl von Sesseln und Sofas, mit fröhlichem Chintz bezogen – wobei die Anordnung des Mobiliars im allgemeinen eine unbeschreibliche, sorglose Eleganz zeigte. Sie selbst war ausgesucht einfach gekleidet und trug auffallend weniger Juwelen und Schmuck als irgend eine andere verheiratete Dame auf dem Hill. Aber ich habe von denen, die etwas von der Sache verstehen, gehört, dass man sie niemals in der Mode des letzten Jahres gekleidet sah. Sie war stets auf dem neuesten Stand, gerade so viel, um zu zeigen, dass sie sich bewusst war, was zur Zeit Mode war, aber mit einer nüchternen Zurückhaltung, so als ob sie sagen wollte: „Ich gehe mit der Mode, so weit sie mir zusagt; ich erlaube ihr nicht, über mich zu bestimmen.“ Kurz, Mrs. Colonel Poyntz war manchmal rau, manchmal grob, immer maskulin und doch auf eine seltsam feminine Art und Weise maskulin; aber niemals vulgär, da sie nie geziert wirkte. Es war unmöglich zu leugnen, dass sie durch und durch „Gentlewoman“ war und sich einige Dinge ohne Verlust ihrer Würde erlauben konnte, für die andere Damen ihren Ruf einbüßen würden. So war sie sehr geschickt im Parodieren von Leuten, sicherlich die am wenigsten damenhafte Art, Humor zu zeigen. Aber wenn sie parodierte, so geschah das mit einem so ruhigen Ernst oder einem derart königlich guten Humor, dass man nur sagen konnte: „Was für ein unterhaltsames Talent die gute Mrs. Colonel hat!“
Auf dieselbe Weise, in der sie die Rolle einer gebildeten Frau einnahm, behauptete ihr männlicher Gegenpart, der männliche Colonel, seine Stellung unter den Herren; er war zwar scheu, aber nicht kühl, hasste Schwierigkeiten aller Art und begnügte sich in seinem Hause, eben so gar keine Rolle zu spielen. Wenn es das Hauptanliegen der Mrs. Colonel gewesen wäre, es ihrem Gatten möglichst gemütlich zu machen, wäre nichts dazu besser geeignet gewesen, als ihn mit Freunden zu umgeben und diese ihm zu passender Gelegenheit wieder vom Hals zu schaffen. Colonel Poyntz, der männliche Colonel, hatte in seiner Jugend tatsächlich gedient, hatte aber schon vor Jahren, bald nach seiner Heirat, den Abschied genommen. Er war der jüngere Bruder eines der vornehmsten Grundbesitzer des Landes; hatte das Haus, in dem er lebte, zusammen mit einigem wertvollen anderen Grundbesitz in und um L... von einem Onkel geerbt, galt als tüchtiger Landmann und war sehr populär in der Low Town, obwohl er sich niemals in deren innere Angelegenheiten einmischte. Er war peinlich genau gut angezogen, von schlanker, jugendlicher Gestalt und krönte sein Aussehen mit einer dicken jugendlichen Perücke. Er schien niemals etwas anderes als die Zeitungen und das meteorologische Journal zu lesen, was ihm den Ruf des wetterkundigsten Mannes in L... eingebracht hatte. Seine andere intellektuelle Vorliebe war – Whist; worin er es allerdings zu nicht ganz so großem Ruhm gebracht hatte. Vielleicht weil die Feinheiten dieses Spiels eine seltenere Vereinigung mentaler Fähigkeiten erforderten, als die Voraussage eines Steigens oder Fallens des Barometers. Im übrigen war der männliche Oberst, der eine beachtliche Anzahl von Jahren mehr als seine Gattin zählte, trotz seines jugendlichen Aussehens ein bewunderungswürdiger Adjutant des kommandierenden Generals, und sie hätte niemanden finden können, der gehorsamer, ergebener oder mehr voll des Stolzes auf einen so ausgezeichneten Chef gewesen wäre.
Wenn ich Mrs. Colonel Poyntz als Königin des Hills bezeichne, muss ich darum bitten, mich nicht falsch zu verstehen. Sie war keine konstitutionelle Fürstin, sondern herrschte als absolutistischer Monarch. Alle ihre Erklärungen hatten die Macht von Gesetzen.
Solcher Einfluss hätte nicht ohne ein beachtliches Talent, sich ihn anzueignen und festzuhalten, errungen werden können. Trotz ihrer ungezwungenen, lebhaften, herrischen Offenheit wusste sie mit unbeschreiblichem Takt Unterschiede zu machen. Selbst wenn sie sich bürgerlich und grob benahm, dann nie auf eine Weise, welche die Öffentlichkeit gegen sie eingenommen hätte. Ihre Kenntnis der Gesellschaft im Allgemeinen musste natürlich beschränkt sein, so wie das bei allen weiblichen Souveränen der Fall sein muss; aber sie schien die Gabe eines intuitiven Wissens über die menschliche Natur zu besitzen, die sie dazu verwendete, Herrschaft über sie zu erringen. Ich zweifle nicht daran, dass sie, wäre sie plötzlich als Wildfremde in die Welt von London versetzt worden, sich bald ihren Weg zu den auserlesensten Kreisen gebahnt hätte und dort, einmal angelangt, ihre Stellung selbst gegen eine Herzogin behauptet hätte.
Ich habe berichtet, sie täuschte niemals etwas vor; das mag einer der Gründe ihrer Regentschaft über einen Personenkreis gewesen sein, in dem beinahe jede andere Frau versuchte, eher als ein Jemand erscheinen zu wollen, als wirklich jemand zu sein.
Wenn Mrs. Colonel Poyntz auch nicht künstlich war, so war sie kunstreich – oder vielleicht sollte ich eher sagen artistisch. In allem, was sie sagte und tat, war Haltung, Führung und Plan. Sie konnte ein äußerst hilfreicher Freund oder ein gefährlicher Feind sein; obwohl ich persönlich glaube, dass sie selten die Grenzen zu extremer Vorliebe oder abgrundtiefem Hass überschritt. Alles war Politik – der Politik eines großen Parteiführers vergleichbar, der entschlossen ist, diejenigen mit besonderen Ehrungen zu würdigen, die es aus Gründen der Staatsräson zu begünstigen empfiehlt und die, die es aus denselben Gründen zu erniedrigen gilt, zu demütigen und zu zerstören.
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