„Schätzchen, denk nicht mal daran, du hast keine Chance! Vergiss es einfach und komm mit.“
Das kittelartige Etwas, das sie trug, schlotterte um ihre perfekt geformten Hüften. Von ihrer Kleidung und ihren persönlichen Sachen gab es weit und breit keine Spur. Auf wackeligen Beinen schritt sie neben dem Pavian her. In ihrem Kopf breitete sich ein Gedanke aus: Flucht. Der ganze Körper war in Alarmzustand versetzt. Sie versuchte, sich kurz zu orientieren, um einen Weg hinaus zu finden. Wie weit könnte sie kommen? Sollte sie es jetzt wagen oder auf eine günstigere Gelegenheit hoffen? Wer wusste, ob sich je eine bessere ergab? Es waren Bruchteile von Sekunden, die sie dazu bewogen, doch einen Fluchtversuch zu unternehmen. Schnell drehte sie sich um und lief in die andere Richtung davon, floh vor diesem schrecklichen Typen. Sie hörte ihn hinter sich fluchen und sein Schnaufen erinnerte Ella an eine Dampflok. Der Abstand zu ihr musste minimal sein, reichte aber aus, um Hoffnung aufkeimen zu lassen. Da war endlich die als Fluchtweg gekennzeichnete Tür, nach der sie Ausschau gehalten hatte. Sie riss die Brandschutztür auf und erklomm die ersten Stufen in Richtung Freiheit. Hinter ihr polterte der Pavian. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend zog sie sich am Geländer empor.
Die Flucht wurde jäh beendet, denn die Tür über ihr wurde aufgestoßen und in dem Moment, als sie in die hässliche Visage starrte, wurde ihr erneut der Boden unter den Füßen weggezogen. Das war das Pockenface. Der Typ aus dem Flieger, der sie mit seiner widerlichen Art gemustert hatte, als wäre sie eine appetitanregende Auslage eines Delikatessengeschäfts. Langsam setzten sich die Puzzleteile zusammen. Hilflosigkeit war etwas, das sie nicht ertrug. Es gab immer einen Ausweg, auch wenn alle Zeichen ungünstig standen, und obwohl sie wie ein Kaninchen in der Falle saß, wollte sie nicht aufgeben. Bevor er sie ergreifen konnte, trat sie ihm mit voller Wucht zwischen die Beine. Er sackte vornüber und schrie vor Schmerzen. Noch bevor sie sich an dem zusammengekauerten Mann vorbeidrücken konnte, hatte der andere sie um die Taille gepackt und drehte ihr den Arm schmerzhaft auf den Rücken. Der Schweißgeruch, der von ihm aufstieg, ließ sie würgen. Gut, dann müsste sie halt warten, bis sich eine andere Gelegenheit bot, dachte sie und biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Er zwang Ella die Stufen wieder hinab und ging nicht zimperlich mit ihr um. Er ließ sie spüren, wie wütend er auf sie war, indem er grober mit ihr umsprang, als es notwendig gewesen wäre.
„Ich hätte nicht übel Lust, dir den Arm zu brechen, mein Täubchen, aber leider stehst du unter Schutz und darfst nicht beschädigt werden. Treib es nur nicht zu weit, sonst kann ich mich irgendwann nicht mehr zurückhalten.“
Er bog ihr den Kopf in den Nacken und leckte ihr über die Wange, dann stieß er sie weiter vorwärts. Wenn sich die Möglichkeit geboten hätte, hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt.
„Weiter Schätzchen, du willst dich doch frisch machen.“
Wenn hier jemand eine Dusche benötigte, dann er, aber das konnte sie ihm unmöglich sagen, vermutlich brächte sie ihn auf dumme Gedanken. Sie fragte sich, warum so ein intelligenter Mann wie Sauer einen solchen primitiven Pavian beschäftigte. Vermutlich fühlte er sich in dessen Gegenwart überlegen und sicherer, kam es ihr in den Sinn. Der Spaziergang endete in einem Badezimmer, das den Charme einer Jugendherberge verströmte. Zumindest hatten die Duschen Vorhänge.
„Ausziehen! Runter mit den Klamotten, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“ Sein anzügliches Grinsen machte sie noch wütender.
„Sie können mich mal, gar nichts werde ich machen!“ Er glaubte doch nicht im Ernst, dass sie sich vor ihm entkleidete wie bei einer persönlichen Peep-Show. Ella sah, wie sich seine Ader über der rechten Augenbraue vergrößerte und seine Gesichtsfarbe von Weiß auf Rot wechselte.
Gefährlich leise fuhr er sie an. „Ich würde dich gern mal, aber der anschließende Ärger wäre größer als das Vergnügen. Und sei froh, wenn ich nicht über die Verbote hinwegsehe und es mir doch noch anders überlege.“
Mit seiner Zunge machte er eindeutige Bewegungen, dann schob er Ella unter die Dusche. Sekunden später prasselte Wasser auf sie nieder. Sein hässliches Lachen hallte von den Fliesenwänden wider. Wie hatte er das gemacht? Verdattert sah sie auf die Wand und suchte die Armaturen. Scheinbar war es doch keine Jugendherberge, sondern ein fernbedienbares Waschhaus. Genauso unvorbereitet, wie das Wasser angestellt wurde, verebbte der warme Schauer wieder.
„Na, willst du dich jetzt endlich ausziehen und duschen? Wenn du willst, helfe ich dir dabei.“ Er grinste breit und fand offensichtlich Gefallen daran, sie zu provozieren.
Das Unbehagen, das sie in seiner Nähe verspürte, breitete sich wie eine eisige Decke über ihr aus. Sie hatte keine andere Wahl. Auf keinen Fall wollte sie von diesem Typen entkleidet werden. Der Kittel klebte sowieso schon wie eine durchsichtige Gardine an ihrer Haut. Schnell schloss sie den Duschvorhang, woraufhin er das Wasser wieder anstellte. Nachdem sie sich des feuchten Lappens entledigt hatte, ließ sie das warme Wasser auf ihren nackten Körper prasseln und versuchte, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen. In ihren Schläfen begann es unangenehm zu pochen, eine Reaktion auf die Panik, die diese Situation bei ihr auslöste. Kampflos aufgeben kam nicht in Frage. Sie rieb sich die geröteten Handgelenke. Es gab immer einen Ausweg und sie würde ihn finden, es brauchte lediglich einen guten Plan. In der Schule schon hatte man sie für ihre Kreativität bewundert. Gut, sie war alles andere als ein weiblicher MacGyver, aber bei einem Versuch sollte es nicht bleiben. So schnell gab sie nicht klein bei. Sie benötigte etwas Zeit, damit sie sich besser im Gebäude zurechtfinden und dann im richtigen Augenblick fliehen konnte. Sie hoffte nur, dass es bis dahin nicht zu spät wäre.
Ein kläglicher Plan.
Mechanisch schäumte sie sich mit Duschgel ein und ging dazu über, sich die Haare zu waschen. Als sie fertig war, verlangte sie ein Handtuch. Hinter dem Vorhang wartete sie darauf, dass er es ihr reichte. Zusätzlich erhielt sie einen trockenen Bademantel, den sie sich schnell überzog.
„Kann ich auf die Toilette gehen?“ Sie musste sich zurückhalten, ihm nicht die Augen auszukratzen.
„Klar, Schätzchen.“ Er nickte nach rechts.
Sie ging in diese Richtung, seinen widerlichen Blick spürte sie im Rücken. Sie sah sich auf der Toilette um, auch hier keine Fluchtmöglichkeit. „Verdammter Mist.“ Sie müsste also weiter abwarten. Als sie herauskam, überbrachte der Pavian schon die nächste Botschaft. „Marie wird dich jetzt übernehmen und für das Treffen fertig machen.“ Die eindeutigen Stoßbewegungen seines Beckens toppten sein anzügliches Grinsen.
„Das kann ich allein.“ Das ging zu weit.
„Sweetheart, das kann schon sein, aber wir wollen doch, dass alles perfekt für dein Date ist. Das Risiko, dass du absichtlich zur Vogelscheuche mutierst, wird mein Boss nicht eingehen.“
Er wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel des Pullovers von der Stirn. Wie auf ein Zeichen ging die Tür auf und eine robust gebaute Frau betrat den Raum. Sie erinnerte an eine Altenpflegerin. Sie trug eine weiße Hose, T-Shirt und Gesundheitsschuhe. Der Kurzhaarschnitt wirkte pflegeleicht. Freundliche Augen ließen die Frau um einiges jünger erscheinen, als sie wahrscheinlich war. Ella wollte sie unsympathisch finden, denn immerhin arbeitete sie für diese Irren.
„Hallo, ich bin Marie.“
Was sollte das entwaffnende Lächeln? Sollte sie die Rolle einer Vertrauensperson spielen? Ella war total erschöpft. Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie in Marie niemals etwas anderes sehen könnte als einen Feind. Um sich nicht noch mehr emotional und körperlich zu entkräften, folgte sie der Frau nach Aufforderung, ohne Schwierigkeiten zu bereiten. Der angrenzende Raum, der von hellen Grüntönen dominiert wurde, erinnerte Ella an einen Operationssaal eines Krankenhauses. Die spartanische Einrichtung bestand aus einer Frisierkommode, einem Stuhl und einem Kleiderhaken. Auch hier kein Fenster. Marie reichte ihr Reizwäsche und ein rotes, figurbetonendes Kleid. Erneut erwachte ihr Kampfgeist.
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