1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 Und Eva, die sich auskennt mit so was, wie sollte es auch anders sein, mit den vielen Großmüttern und Großvätern, Eva sagt, in Böhmen, da wirft man die Karfreitagseier übers Haus, dann ist es geschützt vor Donner, Sturm und Blitz, und die Eier vom Gründonnerstag, die faulen nicht, die helfen beim Zahnen und bringen Glück, und die Kinderchen, denen man sie schenkt, die lernen plappern wie die Hühner gackern, und alle gackern, weil sie spinnt, die Eva, und sie jonglieren mit den Eiern von den Hühnern der Signora und köpfen sie und bewundern den köstlichen tiefgelben Dotter. Und abends dürfen die Kinder die Hühner in den Stall treiben, und die Großen fragen sich lachend, wann er es wohl macht, der Hahn, mit den Hühnern. Zum Eierlegen begleitet er die Damen einzeln, aufgeregt und stolz, in den Pappkarton und einen alten Autoreifen.
Da ist es! Am Morgen ist David hinunter, im Schlafanzug und ohne Socken in den Schuhen, obwohl es kalt ist und die Mama schimpft, wenn sie ihn so sieht, aber er will als Erster runter, und nun hockt er da im Stroh, das klebt, von braunen Sachen, die die Hühner machen, und da ist es, groß und von schönster Farbe, nicht so weiß oder braun wie zu Hause in den Pappschachteln, nein, zart und schimmernd liegt es da, mit einem Federchen dran und bisschen was Braunem und einem Hälmchen Stroh. Und David mit seinen dunklen Locken überm roten Gesicht und den wachen grünen Augen wagt es kaum, das Händchen auszustrecken, es könnt ja vielleicht doch ein Küken drinne sein, da kamen sie ja her, die Küken, aus der zerbrechenden Schale des Eis. Manchmal auch Dinosaurier und Schlangen, das wusste er, er war ja schon fünfeinhalb! Dieses Ei roch ein bisschen komisch, es kam aus dem Bauch der Henne ob es wohl aus dem Loch kam aus dem die Kacke kam oder einem anderen er war sich nicht so sicher ein bisschen eklig war das schon aber er kam auch aus Mamas Bauch und fand das nicht so eklig fand seine Mama schön und warm. Dieses Ei jedenfalls würden sie nicht zu essen kriegen! Und David nimmt das Ei mit allergrößter Vorsicht und trägt es klammheimlich und beflissen zu seinem Bett, zu seinem Kissen, und legt es darunter. Dort will er es brüten.
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Am Karfreitag fegten die Wolken über den Himmel und der Wind pfiff, als brächte er Schnee. Sie fuhren nach Caltabelotta auf den Berg hinauf, Kaltebulette brüllten die Kinder und schon wieder Autofahren, können wir nicht hier unten bleiben, aber als sie die knusprigen Croissants in die dicke süße Schokolade im Café Europeo tunkten, waren auch sie zufrieden. Vier Löffel, und sie waren satt. Die Männer aus dem Ort, den Festtagsvorbereitungen entflohen, tranken an der Theke Espresso und verwunderten sich, was nur los war mit diesem Wetter, in diesem vermaledeiten Jahr. Draußen stand ihnen der Atem vor dem Mund, und sie wickelten sich ihre neuen Schals um die Ohren wie die alten schwarzgekleideten Frauen im Dorf. Palmwedel steckten den Kreuzzug ab, die steinigen Wege hinauf zur Kirche, von der herab man weit über die Landschaft und das Meer sah. Ich wär so gern nach Caltanisetta, seufzte Sibylle, ich auch, rief Eva, zur Prozession mit Blasmusik und großen Figuren aus Pappmaché. Aber es ist zu weit, sagte Ludwig, und die Kinder würden schlappmachen, fügte Stefan hinzu, und so kehrten sie nach ihrem Frühstück nach Sciacca zurück.
In Sciacca raste der Windgott wütend durch die Straßen, jagte zornig und eifersüchtig auf den jungen schönen Gottessohn seine Wolken über den finster grauen Himmel, fauchend und brüllend. Die alten Frauen trugen Wollmäntel und die jungen Jeansmäntel mit künstlichem Pelzbesatz. Die alten Herren steckten ihre Schals in die Kragen, elegant wie Marcello Mastroiani im Kino. Sibylle schämte sich für ihre rote Jacke; auch Eva leuchtete weithin in Orange; die Kinder wirkten schmuddelig rosa und grün. Man sieht gleich, dass wir Fremde sind, sagte sie zu Eva, das sieht man doch sowieso, gab Ludwig zurück. Er sah die gut gekleideten Menschen, den bescheidenen Reichtum des Städtchens. Kaum zu glauben, dachte er, vor nicht allzu langer Zeit war Sizilien arm und abgebrannt gewesen. In zu vielen Autos hatte man abgeschnittene Köpfe gefunden, kaum ein Tourist hatte sich hergewagt. Ludwig hatte gezögert, Eva hatte ihn beschwatzt. Prozesse gegen die Mafia hatte es gegeben, Verurteilungen, so hatte sie gesagt, und langsam trete Ruhe ein. Ja, hatte Ludwig gesagt, und im Sommer werden Flüchtlinge aus Nordafrika angeschwemmt. Ja, hatte Eva gesagt, und zu uns kommen sie aus Tschetschenien im Tiefkühlwagen.
Ludwig suchte nach einem Kiosk mit deutschsprachigen Zeitungen und fragte sich, was er sehen konnte und was nicht. An den Kassen gab es Belege, ließ man sie liegen, rannte der Verkäufer hinterher. An den Straßenecken sah man schwarz-weiße Autos mit der Aufschrift Guardia di finanza . Keine teuren Läden, aber auch kein Ramsch wie in den Fußgängerzonen in Frankfurt an der Oder oder Bromberg, wo er zu Tagungen gewesen war.
„Kommst du, Ludwig?“, rief Sibylle. „Es geht schon los.“ Eine stille Menge schloss sich vor ihnen in der Straße zusammen, setzte sich langsam in Bewegung. Jennifer hustete, Fabian jammerte.
„Ich habe keine Lust“, sagte Ludwig, „ich bleibe hier.“
„Warum willst du denn nicht?“, flehte Sibylle. Eva und Stefan gingen schon vor, an den Händen ihre Kinder.
„Du weißt, dass ich Prozessionen albern finde. Ich gehe zu Hause auch nicht zu Prozessionen. Was soll ich da?“ Ludwig knurrte. Er packte Fabian an der Hand; Sibylle umklammerte die von Jenni.
„Niemand geht zu Hause zu Prozessionen“, gab Sibylle zurück.
Am Morgen hatte das Paar sich schon darüber gestritten; Ludwig hatte Sibylle abgefertigt: Gott ist ein Vorwand für Kriege und für Streber, hatte er gesagt, und damit basta. Wenn du jeden Tag Patienten in der Röhre hättest – Hör mir auf, ich weiß, was du siehst, beim Röntgen, hatte Sibylle gesagt, du bist ein echter Held, und: Kernspintomografie, hatte Ludwig zurückgegeben, Kernspintomografie. Allem Gezanke zum Trotz hatte Sibylle gehofft, er würde seine Meinung noch ändern. O ja, Sibylle hatte ein großes Potenzial zu hoffen. Auch nach siebzehn Jahren Ludwig.
„Geh nur“, sagte er, „wir treffen uns nachher am Parkplatz. Ich will mir eine Zeitung kaufen. Ich nehme die Kinder mit, es ist viel zu kalt. Sie kriegen noch Fieber. Außerdem habe ich Fabian versprochen, uns nach einem Laden für Taschenmesser umzusehen. Wir gehen in ein Café.“
„Die Kinder können sich das ruhig ansehen“, sagte Sibylle. Sie legte ihr schmeichelndstes Gesicht auf.
„Kannst du nicht mir zuliebe mitkommen?“, fragte Sibylle.
„Nein, nein, nein“, sagte Ludwig.
Sibylles Magen verkrampfte sich. Ihre Miene entglitt, zusammen mit dem Vorsatz zu bitten.
„Nie kannst du einfach mal mir zuliebe etwas tun“, sagte sie. „Du willst überhaupt nichts mit mir teilen, nur wenn es dich interessiert, ansonsten nicht ein winziges Etwas, du bist dermaßen stur, es kotzt mich an.“ Sibylles Ton war schneidend wie der Wind. Sie erschrak über ihre Worte, doch in diesem Augenblick hasste sie ihn. Ludwig schüttelte den Kopf, sein Gesicht versteinerte, undeutbar.
„Du blöder Macho“, zischte sie, „du bist genau wie dein Vater.“
Ludwig drehte sich um, mit Fabian und Jenni an der Hand, und Sibylle wurde von Menschen gedrängt, die sich der Prozession anschlossen.
„Ludwig!“, rief sie. „Verdammt noch mal, Ludwig!“ Aber Ludwig ging fort, und Sibylle ließ sich drängen.
An den Straßenrändern zwischen den alten Gemäuern standen die Menschen und warteten auf den Christus aus Holz. Kam er, bekreuzigten sie sich. Eva sah in ihre erwartungsvollen, ernsten Gesichter. Sie bekreuzigten sich wie die Fischer, die Eva in den letzten Tagen beobachtet hatte, überrascht von dieser Geste, wenn sie den Hafen von Sciacca verließen und an der großen Madonna aus hellem Gips vorbeifuhren. Zu ihren Füßen rote Nelken, orange leuchtende Orchideen und weiße Rosen, ein ewiges Licht im roten Plastikbecher mit Goldrand. Der Fischer stand vorn am Bug und wartete, bis er den äußersten Punkt der Mole erreichte, an dem sie auf ihrem Sockel stand, und das Schiff den Schutz des Walls verließ. Dort erst schlug der Fischer das Kreuz. In diesen Tagen tobte der Sturm heftig um die Insel. Es war dringend nötig, um Schutz zu bitten.
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