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DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir einander so viel verdanken |
Der amerikanische Schriftsteller und Pionier eines einfachen Lebens, Henry David Thoreau stellte sich jeden Morgen nach dem Aufwachen die drei gleichen Fragen: 1. Was ist gut an meinem Leben? 2. Worüber kann ich glücklich sein? 3. Wofür sollte ich dankbar sein? Thoreaus Erfahrung: Die Antworten auf diese drei Fragen stimmen einen schon am Morgen freundlich und positiv. Sie fördern das Vertrauen in den eigenen guten Weg und erinnern uns an gute Erfahrungen, die wir mit uns selbst oder anderen Menschen machen konnten. Wenn Sie Thoreaus Konzept im Selbstversuch ein paar Wochen lang überprüfen, können Sie folgendes feststellen: Die Antworten auf Frage 1 und 2 bringen nicht immer gleich gute Ergebnisse. Sie sind stimmungsabhängig. Aber Frage 3 ist ein Volltreffer. Ganz egal, wie schwer Ihr Tag auch war, wie traurig oder erschöpft Sie auch sein mögen, es finden sich garantiert immer ein paar Dinge, für die Sie dankbar sein können. Das Gefühl der Dankbarkeit stärkt Ihre Abwehrkräfte und hebt Ihren Lebensmut. Dankbarkeit ist eine Lebenskraft, die bis ins hohe Alter reicht und Früchte bringt.
Anthony de Mello erzählt die Geschichte von einem alten Mann, der in seinem Garten tiefe Löcher grub. „Was machst du da?“, fragte sein Nachbar. „Ich pflanze Mango-Bäume“, lautete die Antwort. „Willst du etwa Früchte von diesen Bäumen essen?“ „Aber nein, so lange werde ich doch gar nicht mehr leben. Aber andere werden da sein. Ich habe mein Leben lang Mangos von Bäumen gegessen, die andere gepflanzt haben. Ich statte hier nur meinen Dank ab.“
Wer dankbar für etwas ist, was er empfangen hat, ist ein Freund der Vergangenheit. Wer aus Dankbarkeit dafür wieder etwas Gutes tut, ist ein Freund der Gegenwart. Wer anderen zeigt, wie viel wir alle einander verdanken, ist ein Freund der Zukunft.
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DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil man die Dinge einfacher nehmen kann, als sie sind |
Friedrich Nietzsche gilt als der am meisten zitierte Philosoph der Welt. Manche verkennen ihn etwas, denn der Pfarrerssohn aus Sachsen hat zu Glaube und Religion ein sehr distanziertes Verhältnis gehabt.
Fotos zeigen ihn als mürrisch dreinblickenden Herrn mit furchterregendem Riesenschnauzbart. Aber Nietzsche hat ein paar augenzwinkernde Lebensweisheiten parat, die mir gut gefallen. Am besten finde ich einen Satz von ihm, der einen ermuntert, die Welt mit den Augen eines Philosophen zu sehen. Es ist ein Satz, der in unserer immer komplizierter werdenden Welt ganz besonders aktuell ist. Er lautet:
Ein Denker versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.
Und zum Beweis, dass der alte Denker Nietzsche diese Weisheit auch selbst durchgezogen hat, hier noch ein Zitat von ihm, das mich immer wieder freut und entspannt, wenn ich es lese:
Die wirklich guten Dinge im Leben haben etwas Lässiges. Sie liegen wie Kühe auf der Wiese.
WTK
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DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir wegwerfen dürfen |
Wenn man es endlich geschafft hat, irgendeine dunkle Ecke im Kleiderschrank oder ein verstaubtes und vergessenes Kellerregal auszuräumen und Nützliches und Schönes von Überflüssigem und Hässlichem zu trennen, dann kommt ein herrlicher Moment. Man packt allen Schrott zusammen, stopft ihn ins Auto und bringt ihn zum Sperrmüll. Dass es diese wunderbaren Orte des Loslassens überhaupt gibt, ist wirklich ein Geschenk. Man stelle sich vor, wir müssten all die zu engen Jacketts, angeschlagenen Tassen, kaputten Lampen, zerschlissenen Sessel oder durchgelegenen Matratzen unser Leben lang behalten! Nein danke, weg mit dem Ballast!
Die Wohnung atmet nach einem solchen Befreiungsschlag sichtbar auf. Aber warum sollte eigentlich nur unser äußeres Zuhause eine solche Entschlackungskur verdient haben? Manchmal sollten wir darum auch unsere Seele entrümpeln. Was sich da über die Jahre alles angesammelt hat! Neben Kostbarem lagert da auch eine Menge Lebensballast. Überladen mit Bildern, Erfahrungen, Urteilen und Wissen aus der Vergangenheit. Und für das, was dieser Seele heute wesentlich und wichtig ist, ist kein angemessener Platz da. Also, nur Mut!
Das Rezept heißt: Heute will ich mich von etwas Vergangenem trennen, damit in meinem Herzen Platz wird für neue Erfahrungen und Einsichten. Werfen Sie ein Vorurteil weg. Es hat sich nicht bewahrheitet oder Sie am Leben gehindert. Und warum nicht auch gleich noch eine alte Sorge. Sie hat sich viel zu breit gemacht in all den Jahren. Am meisten Seelenmüll produzieren Vorwürfe, die Sie gegen jemanden erheben. Die aufzugeben bedeutet wahrscheinlich für jeden Schwerstarbeit, aber es lohnt sich! Es macht Spaß, auf diese Weise innerlich leer zu werden. Denn auf Ihre Seele wartet der Hochgenuss, sich wieder freier und unbeschwerter bewegen zu können.
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DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir wieder Amseln singen hören |
Ja, Quarantäne, das kennt er. Es ist nur ein paar Jahre her, erzählte mir ein junger Mann, da musste er wegen einer unbekannten ansteckenden Krankheit mehrere Wochen lang in einem Klinikzimmer verbringen, streng abgeschlossen von allen. Untersucht und betreut wurde er von vollständig vermummtem Personal. Nicht einmal das Fenster durfte er öffnen. Aber er konnte durch die Filtermatten der Lüftungsschlitze eine Amsel vor seinem Fenster singen hören. Dieser Gesang, sagte er, war seine Rettung. Der war für ihn wie ein Strohhalm, an dem sich seine Seele festhalten konnte. Dass die Amsel einfach so unbeschwert ihre herrlichen Melodien sang, war für ihn eine Botschaft: Das Leben ist stärker als jede Bedrohung.
Was er damals nicht wusste: Amseln sind geradezu ein Symbol für die Auferstehung. 2010 starben bei uns in der Region sehr viele durch das Usutu-Virus. Danach erholten sich die Bestände langsam, aber 2019 schlug das Virus erneut zu. Doch inzwischen sind wieder überall Amseln zu hören.
Amseln singen reine Melodien. Instrumentals sozusagen, ohne Text. Gäbe es eine Software, die ihre Töne in unsere Sprache übersetzt – ich könnte mir gut vorstellen, dass ein Jesuszitat dabei herauskäme: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“
Die Amsel wird in der Literatur und in der Musikwissenschaft hoch geschätzt. Im Unterschied zu den meisten heimischen Vögeln haben Amseln ein umfangreiches Repertoire mit über 30 Melodien. Sie übernehmen Tonfolgen von anderen Amseln, aber auch von anderer Musik, die sie zu hören bekommen. Als 2007 bei einer Kunstaktion viele Bonner Beethovens „Ode an die Freude“ als Klingelton in ihr Handy luden, integrierten einige Amseln Passagen aus „Freude, schöner Götterfunke“ in ihren Gesang.
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