1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Über die Ausprägung von Wurzelsystemen gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Die Diskussion fußt dabei im Wesentlichen auf Ergebnissen, die aus Studien im Forst stammen (KÖSTLER et al. 1968). Sie trugen wesentlich dazu bei, dass Baumgattungen in der Praxis oft noch immer einzig nach Tiefwurzlern und Flachwurzlern unterteilt werden, ohne Rücksicht auf den Einfluss der Bodenbedingungen am Standort zu nehmen.
Auf städtischen Standorten ist die Entwicklung des Wurzelsystems jedoch besonders durch die Standortbedingungen geprägt (vgl. STRECKENBACH & STÜTZEL 2010, s. S. 159) und Erfahrungen zeigen, dass Bäume an urbanen (gestörten) Standorten tendenziell eher flach wurzeln. Derartigen Fehleinschätzungen sind in der Vergangenheit zahllose Bäume bei Bautätigkeiten zum Opfer gefallen – und tun dies noch heute ( Abbildung 4).

Abbildung 4: Falsche Annahmen zum Wurzelsystem haben bei dieser Eiche maßgeblich zu ihrem unweigerlichen Niedergang in Folge der Umgestaltung des Standortes geführt.
3 Der Wurzelraum von Stadtbäumen
Der Wurzelraum von Stadtbäumen stellt ein Spannungsfeld aus gegensätzlichen Ansprüchen unterschiedlicher Gewerke an den Straßenraum dar. Herausforderungen ergeben sich aber nicht nur aus den Folgen der Konkurrenz zwischen Bäumen und Leitungen um denselben, meist nur begrenzt zur Verfügung stehenden Raum. Massive Beeinträchtigungen ergeben sich hinzukommend auch durch die oft extremen Standortbedingungen in der Stadt (vgl. ROLOFF et al. 2013).
Versiegelte und verdichtete Böden, die mit jenen von Naturstandorten kaum noch etwas gemein haben, bilden dort die Lebensgrundlage von Bäumen. Das ihnen zum Zeitpunkt der Pflanzung mitgegebene Volumen an „Erde“ beträgt häufig nicht mehr als 4 m 3(BENFELD 2007). Die seitens der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL) empfohlenen 12 m 3an geeignetem und dauerhaft gut durchwurzelbarem Bodenvolumen werden vielerorts noch immer nicht annähernd realisiert ( Abbildung 5). Man muss in diesem Zusammenhang betonen, dass ein solcher Raum lediglich ein Mindestmaß für die Anfangsentwicklung in den ersten Standjahren ist (FLL 2010).

Abbildung 5: An einem ausgehebelten Wurzelteller eines bei einem Orkan geworfenen Silber-Ahorns zeichnet sich die Größe der ihm ursprünglich zugestandenen Pflanzgrube ab.
Wenn der Baum angewachsen ist, wurzelt er innerhalb weniger Jahre aus der Pflanzgrube in den benachbarten anstehenden Boden – wenn die Möglichkeit dazu besteht. Für die weitere Entwicklung des Baumes ist der Zustand dieser Areale daher von herausragender Bedeutung. In den an die Pflanzgrube angrenzenden Bereichen sind die Böden jedoch meist zusammengetragen und stellen Konglomerate mit zum Teil höchst unterschiedlichen Eigenschaften dar (vgl. STRECKENBACH 2012, s. S. 112). Sie sind ihrer Struktur nach oft feinkörnig und deswegen anfällig für Verdichtungen. Zugleich müssen sie hohen Druckbelastungen standhalten, wie sie beispielsweise der Straßenbau fordert.
Es ergibt sich bereits aus einfachen physikalischen, geologischen und biologischen Überlegungen heraus, dass sich dies auf das Wachstum von Bäumen negativ auswirken kann. Generell entwickeln sich Wurzeln in frischen, locker gelagerten und damit ausreichend gut durchlüfteten Böden (aktive Bodenfauna!) besonders gut. Stadtböden können solche Eigenschaften und Strukturen zwar grundsätzlich aufweisen. Sie verlieren diese in aller Regel jedoch, sobald sie maschinell bearbeitet und anschließend versiegelt werden.
In der Praxis der Baumansprache findet der Wurzelraum bisher kaum die notwendige Beachtung und eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema Boden findet größtenteils noch immer vor allem unter Bodenfachleuten statt. Entsprechend ist mehr als ausreichend Literatur zu Böden, deren Eigenschaften und Bewertung vorhanden (z. B. Ad-hoc-AG Boden 2005; BLUME et al. 2011; HEMKER & KUTZA 2020). Erkenntnisse sind somit grundsätzlich für jedermann zugänglich, dennoch mangelt es weiterhin an der Einbeziehung des Themas in die baumfachliche Praxis.
Einen auch für bodenkundliche Laien zugänglichen Ansatz bieten BENK et al. (2020), in dem sie die Ansprache des Wurzelraumes anhand von zumeist bereits visuell erfassbaren Merkmalen der Oberfläche darstellen ( Abbildung 6). Auf diese Weise lassen sich beispielsweise schon im Rahmen der Kontrolle von Bäumen zur Verkehrssicherheit Hinweise auf womöglich vorhandene Bodendefizite erkennen, denen anschließend im Zuge der Behebung von Vitalitätseinbußen gezielt nachgegangen werden kann (vgl. WELTECKE et al. 2018, s. S. 282).
4 Baumwurzeln und Leitungen
Der Themenkomplex „Interaktionen zwischen Bäumen und Leitungen“ wurde zuletzt durch Fachkollegen in Schweden und in anschließender Kooperation mit Instituten und Hochschulen in Deutschland intensiv aufgearbeitet (z. B. ROLF & STÅL 1994; STÅL 1998; STRECKENBACH 2009; ÖSTBERG et al. 2012). Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten war die Aufklärung der Frage, warum und wie Wurzeln in Leitungen einwachsen. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese nur durch undichte Rohrverbindungen einwachsen, weil (Ab-)Wasser aus ihnen austritt und sie Wurzeln keinen ausreichenden Widerstand mehr entgegenbringen.
Diese bis dahin ungeprüfte Hypothese wurde zu dem Zeitpunkt bereits deshalb äußerst kritisch gesehen, weil moderne Rohrverbindungen dicht (und damit nach DIN 4060 wurzelfest) sind und dennoch nachweislich Wurzeln in diese einwachsen. Allerdings nicht zugleich in jede erdverlegte Rohrverbindung, ob intakt oder nicht, was einen zwingenden Zusammenhang zwischen einer Undichtigkeit und dem Einwachsen von Wurzeln ausschließt.
Es konnte gezeigt werden, dass die Eigenschaften von Leitungsgräben und Rohrbettungen den Wuchs von Wurzeln in Richtung der Leitungen begünstigen können und dass der von den Dichtungen der Steckverbindungen ausgehende Anpressdruck von den haarfeinen und weichen jungen Wurzeln ohne Probleme überwunden werden kann. Ein Großteil der Forschungs- ergebnisse floss daraufhin in die Überarbeitung des „Merkblattes über Baumstandorte und unterirdische Ver- und Entsorgungsanlagen“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ein (FGSV 1989).

Abbildung 6: Die Bodenoberfläche gibt zumeist sehr direkt Auskunft über im Wurzelraum vorhandene Störungen.
Ein wesentlicher Gedanke dieses Regelwerks war von Beginn an, die unterschiedlichen im Straßenraum tätigen Gewerke zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu ermutigen. So enthält das ursprüngliche Merkblatt unter anderem den Vorschlag zur Einrichtung von Koordinierungsstellen. Über diese sollten alle Parteien bereits bei der Planung von Baumpflanzungen die Möglichkeit bekommen, ihre jeweiligen Belange darzulegen. Das Merkblatt fand jedoch kaum Beachtung, obwohl es zum ersten Mal Konflikte und die daran Beteiligten explizit ansprach und zugleich einvernehmliche Lösungsansätze aufzeigte.
Das aktualisierte Merkblatt erschien 2013 als Gemeinschaftsausgabe der FGSV, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass sich darin nun drei der wichtigsten Verbände für die im unterirdischen Straßenraum tätigen Gewerke gemeinsam für die Belange von Straßenbäumen einsetzen ( Abbildung 7).
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