Aus der Zeit der Franzosenkriege wird für die Haller Gegend eine Geschichte überliefert, die es wert ist, erzählt zu werden:
Vor über 200 Jahren zogen durch das heutige Bad Hall zahlreiche französische Soldaten. Einige Erinnerungen an diese Zeit wie die sogenannten Franzosenkreuze am Blankenberg und Furtberg oder die Franzosenkugel im Stadtmuseum Forum Hall erinnern noch daran. Die Bevölkerung bekam die kämpferischen Truppen auf bitterste Weise zu spüren. Plünderungen prägten das Alltagsleben. Aus Häusern und Kirchen wurde geraubt, was nicht niet- und nagelfest war. Während es bei den von Armut und Not gezeichneten Menschen oft wenig zu holen gab, glichen Gotteshäuser wahren Schatzkisten. Seit jeher wurde Symbolen des christlichen Glaubens viel Aufmerksamkeit geschenkt. Messgegenstände wurden aus wertvollen Materialien gefertigt, mit Edelsteinen, Ornamenten und aufwendigen Verzierungen geschmückt. Tiefer Glaube, Verehrung und Dankbarkeit kommen in der glanzvollen Verarbeitung zum Ausdruck. In Bad Hall aber wird in alten Zeitungskorrespondenzen von einem außergewöhnlichen Hostienbehälter, Ziborium genannt, berichtet – ohne Glanz, ohne Schmuck, allerdings mit einer ganz besonderen Geschichte:
Es war – wie gesagt – die Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts. Gut 20 Jahre zuvor war Hall unter Joseph II. zur eigenen Pfarre und die alte Margarethenkapelle zur Pfarrkirche erhoben worden. Das Gotteshaus, auch „Kirche unter den sieben Linden“ genannt, prägte bereits über 500 Jahre das christliche Leben im Ort. Klein, aber mit ruhiger Atmosphäre gab es Gläubigen Stille für Gebet und Raum zur Messfeier. Doch die plündernden Franzosen machten vor der Pfarrkirche nicht Halt. So wurde auch das Hostiengefäß geraubt und damit ein Opfer der schweren Zeit. Die am Boden zerstreuten Hostien blieben Zeugnisse eines traurigen Schauspiels. In der Not lieh ein angesehener Haller Bürger der Pfarre Hall seine aus Steingut gefertigte Zuckerdose, um den geweihten Hostien einen neuen und sicheren, wenn auch ungewöhnlichen Platz zu geben. Das einfache runde Gefäß mit schlichtem Deckel hatte bislang Süßigkeiten in seinem Innersten bewahrt. Von nun an diente es dem Pfarrleben der Gemeinde. Das schlichte Behältnis wurde Teil der Messfeiern, war dabei, wenn Sakramente gespendet wurden oder ein feierlicher Anlass Menschen versammelte. Natürlich bekam das zu unerwarteten Ehren erlangte Alltagsgefäß einen würdigen Platz im Tabernakel der Pfarrkirche von Hall. Nachdem die Wunden der räuberischen Zeit verblassten und ein neues Ziborium zum Einsatz kam, sollte das so dienliche Gefäß nicht einfach wieder ins Alltägliche zurückkehren. Der Besitzer schenkte der Pfarre die Zuckerdose, um ein ewiges Zeitzeugnis zu bewahren. Sie fand ihren Platz im Haller Archiv, so erzählt eine alte Zeitungsnotiz aus dem Jahre 1861. In ihrem Innersten sollen drei Blätter mit handschriftlichen Zeilen, teils in gereimten Worten, von ihrer Verwendung als Ziborium berichten.
Geheimnisvoll allerdings ist der Verbleib der Zuckerdose. In alten Dokumenten und Berichten wird von ihr erzählt, doch ihre Spur verliert sich. Engagierte Menschen haben nach ihr gesucht, doch vergeblich. Der Glaube indes, sie könne noch irgendwo im Verborgenen ruhen, lebt. Wer die Geschichte nicht kennt, wird das als „unscheinbar“ beschriebene Gefäß als „unscheinbar“ empfinden. Dennoch: Wunder gibt es immer wieder! Wer weiß, vielleicht wecken diese Worte Erinnerungen an den Verbleib der Haller Zuckerdose? Und in ihrem Innersten ruhen, auf ihre Entdeckung wartend, noch die handschriftlichen Notizen, die diese Geschichte erzählen …
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Wasser schenkt Leben, prägt Kulturen und formt Landschaften. Sagen von sogenannten „Jungbrunnen“ der Gegend erzählen von Mythen unserer Ahnen und vom Kreislauf des Lebens. In und um Bad Hall sind viele sagenhafte Plätze mit dem wertvollen Element verbunden. Über ausgewählte Orte wird in diesem Buch erzählt.
Im Herzen der Kurstadt, gleichsam am Eingang in die grüne Oase des Kurparks hält eine beinah unscheinbare Brunnenfigur das wertvolle Gut Wasser wie einen Schatz in Händen. Eingebettet in üppig wachsende Farne und blühende Beete lädt die liebevoll gestaltete Vogeltränke zum Innehalten ein. Das „Brunnenweibchen“, auch „Brunnenknabe“ genannt, gehört zu den ältesten Denkmälern des Parks. Das Geschlecht der Figur ist ungewiss, vielleicht sogar symbolisch, denn das Wasser hat viele Gesichter. Auch wer den kleinen Brunnen geschaffen hat, geriet in Vergessenheit. Nicht aber die Ausstrahlung und Ruhe, die dieses besondere Denkmal umgibt. Der Park ist Erholungsraum vieler Menschen. Manch klingende Namen sind überliefert. So soll eine Bank nah dem Brunnenweibchen auch Franz Grillparzers Lieblingsplatz bei seinem Kuraufenthalt im Jahre 1866 gewesen sein.
Das Haller Wasser hat viele Facetten: von Speis und Trank über das beliebte Thermalbad bis hin zu Kuranwendungen. Das Geschenk der Natur kann unter alten Baumkronen auch „geatmet“ werden. Unweit des Brunnenweibchens lädt die sogenannte Gradiergrotte zum Verweilen ein. In einem runden Holzpavillon wird Jodsole über aufgehäuften Weißdornbündeln versprüht. Fein zerstäubt und angereichert mit den ätherischen Ölen des Holzes ist es eine Wohltat für Körper und Seele durchzuatmen und vielleicht dabei von mythischen Wasserwesen zu träumen.
Nach sagenhafter Überlieferung zeigen sich gerade in salzhaltigen Heilquellen weibliche Naturgestalten, die in ihrem Äußeren scheuen Waldfrauen gleichen. Sie hausen tief im Schoß der Erde, nah dem Ursprung des sprudelnden Schatzes. Nur in klaren Mondnächten entsteigen die Brunnenwesen dem schützenden Nass. Hie und da erscheinen sie Menschen, um zu helfen, wenn deren Gesundheit Schaden gelitten hat. Tief verankert ist der Glaube an die magische und reinigende Abwehrkraft der Sole. Salz ist lebensnotwendig, gesundheitsfördernd und gilt daher auch als heiliges Mineral. In der Alchemie versuchte man, im Geheimnis des Salzes das Geheimnis der Welt zu finden. Es gab eine Zeit, da glaubten die Menschen, eine Gegend, die salzhaltiges Wasser führe, liege dem Himmel näher und die Sehnsüchte der Menschen könnten nirgendwo besser vernommen werden. Denn nur die Natur selbst lege als besondere Gabe Salz in ausgewählte Gewässer. Frisch und unermüdlich bringen sprudelnde Quellen die im Innersten der Erde verborgenen Schätze an die Oberfläche. Erst durch zwei Urkräfte, Wasser und Feuer, komme Salz hervor, das für das Leben unerlässlich sei.
In alten Traditionen wird die Bedeutung des Salzes sichtbar. Im kleinen Kirchlein St. Blasien nahe Bad Hall gelegen (siehe Kapitel 21) wird Jahr für Jahr am Tag des Patroziniums, dem 3. Februar, den Gläubigen geweihtes Salz als schützende Gabe mit nach Hause gegeben. Es soll die Gesundheit von Mensch und Tier stärken und Heil bringen.
Wasser ist einzigartig und kostbar, nicht wirklich greifbar, aber unentbehrlich. Wo es rinnt, fließt Inspiration. Gerade dies lädt dazu ein, innezuhalten und den Geschichten des Ortes zu lauschen. Wer sich beim Brunnenweibchen niederlässt, hat vielleicht das Glück, von den Klängen aus dem in Sichtweite liegenden Musikpavillon umspielt zu werden. Der von prächtigen Blumenbeeten gesäumte Platz ist beliebter Treffpunkt und Bühne des Kurlebens. Die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Trinkhalle ist heute Gäste- und Veranstaltungsstätte der lebendigen Stadt Bad Hall. Im ehemaligen Badhaus hat das Tourismusbüro seinen Platz. Der Kurpark bietet Raum, um Natur und Kultur unter freiem Himmel zu genießen. Und inmitten des gesellschaftlichen Treibens plätschert – wie könnte es anders sein – das Wasser in den tanzenden Fontänen eines großen runden Springbrunnens.
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