In diesem Zusammenhang sei an das sog. Subsidiaritätsprinzip erinnert, das nicht nur ein Begriff der katholischen Soziallehre ist. 40Vielmehr entspricht dieses auch dem Wesen der Kirche als eine communio Ecclesiarum (LG Art. 23). So hatte die Römische Bischofssynode von 1967 es in die zehn Principia, in die Leitsätze für die Erarbeitung des neuen Gesetzbuches aufgenommen. 41Theologisch begründet die Bischofssynode das Subsidiaritätsprinzip mit dem Faktum, dass nicht nur das Amt des Papstes, sondern auch das der Bischöfe göttlichen Rechtes ist 42und der einzelne Diözesanbischof in seiner Teilkirche nicht Bevollmächtigter des Papstes, sondern 15 Jahre Päpstliche CIC-Reformkommission, Trier 1979, 15-23. eigenberechtigter Hirte ist. 43Das Subsidiaritätsprinzip führt rechtlich allgemein zu der Konsequenz, die Ordnung einer Angelegenheit einer nachgeordneten Instanz zu überlassen, wenn diese von einer höheren weder sinnvoll geregelt werden kann noch notwendig geregelt werden muss. 44Dies aber betrifft nicht allein den einzelnen Diözesanbischof und seine Vollmacht, sondern auch Bischofsversammlungen, insbesondere die Bischofskonferenz. So bleibt die Frage, ob eine erste kritische „Draufsicht“ über die Amtsführung des Diözesanbischofs nicht unterhalb der Ebene des Ap. Stuhles möglich, ja sinnvoll ist.
3. Ansätze für eine Fortentwicklung des Rechts
Die geltenden kirchenrechtlichen Normen scheinen zunächst ein Tätigwerden von Bischofskonferenz oder Metropolit im Sinne einer Krisenintervention zu verhindern. Denn sie dürfen sich nicht in die Amtsführung und Rechtsbefugnisse eines Diözesanbischofs einmischen. Vielmehr hat der Metropolit die Sache dem Ap. Stuhl zu unterbreiten, um von dort geeignete Maßnahmen zu erwarten (c. 436 § 1, 1° CIC/1983). Dadurch aber verstreicht wertvolle Zeit. Zudem bedarf jede und gerade auch eine sensible Angelegenheit, die im Fokus der Öffentlichkeit steht, einer sorgfältigen Untersuchung, um eine vorschnelle und gar ungerechte Beurteilung zu vermeiden. Dies wäre Aufgabe eines „Untersuchungsausschusses“ – im politischen Bereich ein vielfach erprobtes Instrument zur Klärung unklarer Verhältnisse –, doch scheint die Einsetzung eines solchen in Bezug auf die Amtsführung eines Diözesanbischofs – sei es durch eigenes Handeln oder auch durch Nichthandeln bei offenkundigem Fehlverhalten ihm Unterstellter – nicht möglich. Damit ist „die Kirche“ nicht in der Lage, zeitnah ein positives Signal im Umgang mit einem behaupteten Skandal zu setzen und damit Handlungsfähigkeit und -willigkeit zu demonstrieren. Die Öffentlichkeit aber kennt diese sehr begrenzte Handlungsmöglichkeit nicht und interpretiert Schweigen oder auch nur Zögern leicht als Zustimmung zu diesem angeprangerten Fehlverhalten oder als Verweigerung dessen Aufklärung. So bleibt ein Vorfall über längere Zeit in den Medien und richtet großen Schaden an, der sich in Kirchenaustritten manifestiert 45, aber auch in der Verunsicherung vieler Gläubiger, die treu zu ihrer Kirche stehen wollen. Im Fall der Krise des Bistums Limburg, gab es für die Gläubigen zudem auch keine Möglichkeit, ihr Unbehagen oder ihre Unzufriedenheit gegenüber einer kirchlichen Stelle zu formulieren, weshalb sich viele an die Medien wandten.
Doch enthält das geltende Recht nicht doch versteckte Anknüpfungspunkte für eine wünschenswerte Konkretisierung oder Fortentwicklung des Rechts im Sinne einer größeren Subsidiarität? Diesbezüglich seien folgende Aspekte angesprochen:
1. Metropolit und Bischofskonferenz nehmen keine hierarchische Zwischeninstanz zwischen dem Ap. Stuhl und den einzelnen Diözesanbischöfen ein. Deshalb kommt ihnen auch keinerlei Jurisdiktion oder auch nur Dienstaufsicht über diese zu. Vielmehr kann sich jeder Diözesanbischof dogmatisch und kirchenrechtlich auf seine Autorität berufen und jede „Untersuchung“ als Versuch der Einmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Amtsführung zurückweisen. Es geht an dieser Stelle aber nicht um ein disziplinarisches oder gar strafrechtliches Vorgehen gegen einen Diözesanbischof (das obliegt weiterhin dem Ap. Stuhl). Vielmehr soll – ergebnisoffen – in der Öffentlichkeit hartnäckig vorgetragenen Behauptungen nachgegangen, d. h. dass Anhaltspunkte oder gar Beweise gesammelt werden, um einen Vorwurf zu fundieren oder aber auch zu entkräften, selbst wenn das Ergebnis eine gewisse Ambivalenz darstellt. Es geht also um eine Voruntersuchung. 46
2. Der Kirchenprovinz (c. 431 § 1 CIC/1983) und der Bischofskonferenz (c. 447 CIC/1983) kommen insbesondere eine pastorale und koordinierende Aufgabe zu. 47Pastoral kann sich aber nicht auf Planungen und Strategien hinsichtlich des künftigen Vorgehens bei der Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft beschränken. Um ihrer Zielsetzung wirklich zu entsprechen, hat sie sich auch mit den grundlegenden anthropologischen Bedingungen hierfür zu befassen. Dazu zählt sicher auch das Vertrauen. Ein negatives Erscheinungsbild der Kirche in der Öffentlichkeit durch verzerrte oder leider auch zutreffende Berichterstattung erschüttert dieses, führt zu Verunsicherung und Ärgernis. Nicht apodiktisches Leugnen, nicht das Deckmäntelchen des Schweigens, sondern nur das Bemühen um Aufklärung sowie das Eingestehen eventueller Fehler 48sind geeignet, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen und damit eine Basis für das Wirken der Kirche im Lichte des Evangeliums zu bereiten.
3. Zu den Aufgaben des Metropoliten gehört bereits, darüber zu wachen, dass in den Suffraganbistümern der Glaube und die kirchliche Disziplin genau beachtet werden (accurate serventur ); eventuelle Missstände hat er dem Papst mitzuteilen. Obgleich man vielleicht nicht sofort daran denken mag: Dies schließt die Amtsführung des Bischofs nicht aus. Das Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe zählt vielmehr ausdrücklich hierzu, „dass der bischöfliche Dienst in Übereinstimmung mit dem Kirchenrecht ausgeübt wird.“ Dann aber soll der Metropolit
„dem Päpstlichen Gesandten jenes Landes genau Bericht erstatten, damit der Apostolische Stuhl Vorkehrungen treffen kann. Sofern er es für angebracht hält, kann sich der Metropolit, bevor er dem Päpstlichen Gesandten Bericht erstattet, mit dem Diözesanbischof im Hinblick auf die in der Suffragandiözese aufgetauchten Probleme besprechen.“ 49
Will der Metropolit aber Gerüchte von deutlichen Hinweisen auf ein Fehlverhalten unterscheiden, legt sich die Einsetzung einer „Untersuchungskommission“ nahe. Zudem bedarf jede angemessene Entscheidung sorgfältig aufbereiteter Fakten, mit deren Erhebung sonst die Nuntiatur befasst wäre.
4. Dem Gespräch des Metropoliten (oder des Vorsitzenden der Bischofskonferenz) als primus inter pares mit dem betroffenen Diözesanbischof kommt – wie es auch das Direktorium anspricht – große Bedeutung zu, um gemeinsam einen Sachverhalt zu erhellen, nach Lösungen zu suchen, ggf. eine correctio fraterna auszusprechen bzw. eine vertiefte Untersuchung der Angelegenheit durch eine Kommission zu vereinbaren. Der Einwand, ein solches Vorgehen beschädige den guten Ruf des betroffenen Diözesanbischofs (vgl. c. 220 CIC/1983), greift nicht, denn Anlass sind letztlich öffentlich erhobene Vorwürfe.
5. Das Statut der Deutschen Bischofskonferenz sieht im Horizont des c. 451 CIC/1983 die Einrichtung „Bischöfliche[r] Kommissionen zur Bearbeitung von Fragen eines bestimmten Teilgebietes“ vor (Art. 30) 50, die „das anzustrebende Ziel wirksamer zu erreichen helfen“. Entsprechend könnte eine Kommission von drei bis fünf Personen (unter Leitung eines – ggf. emeritierten 51– Diözesanbischofs) im Krisenfall agieren. Zum einen wäre denkbar, dass deren Mitglieder auf bestimmte Zeit (z. B. wie derzeit die der Kommissionen auf fünf Jahre) berufen werden, um im Sinne eines „Beschwerdeausschusses“ bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und bei besonderem öffentlichem Interesse auf Wink des Vorsitzenden, auf schriftlichen Antrag von wenigstens drei Diözesanbischöfen oder eigenständig zu reagieren, wobei ein Hinzuziehen einzelner Experten im konkreten Fall angemessen wäre. Zum anderen käme die Einsetzung einer „ad-hoc-Kommission“ aus konkretem Anlass in Betracht, deren Mitglieder entsprechend der benötigten Sachkenntnis ausgewählt werden könnten. – Angemessen wäre, die übrigen Mitglieder der Bischofskonferenz oder zumindest des Ständigen Rates über das Tätigwerden zu informieren. Dabei muss klar sein, dass das Ziel der Arbeit einer solchen Kommission nicht in der Verurteilung eines Diözesanbischofs besteht.
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