Gregor Thurnherr
Handlungskompetenzen prüfen
Leistungsbewertung in der Berufsbildung
ISBN Print: 978-3-0355-1816-0
ISBN E-Book: 978-3-0355-1817-7
1. Auflage 2020
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Es gibt viele, die kompetent über Kompetenzen sprechen und schreiben. Kompetent ist nun nicht einfach nur jemand, der dazu befugt ist, etwas zu tun (das war die «klassische» Definition von Kompetenz), sondern auch jemand, der dies gut tut. Etwas gut zu tun, verlangt einiges, wie bereits Aristoteles in der «Nikomachischen Ethik» festhielt: Fertigkeiten und Tugenden entstehen, indem wir handeln. So wird ein guter Baumeister derjenige, der gut baut. Die entsprechende Eigenschaft, also ein guter Baumeister zu sein, beruht freilich auch auf einer entsprechenden Anleitung durch eine Lehrperson beziehungsweise Bildungsverantwortliche, die dafür sorgt, dass die notwendigen Haltungen und Fähigkeiten angemessen erworben werden. So verlangt die bedeutsame Haltung der Besonnenheit, dass sowohl Tollkühnheit als auch Stumpfheit vermieden werden, sie ist so gesehen als Mittelmaß zwischen Überfluss und Mangel angesiedelt (vgl. Aristoteles, NE, 2. Buch). Auch wenn die Antike den Begriff der Kompetenz, wie wir ihn heute verwenden, nicht kannte, wird in obiger Bestimmung, die in erster Linie auf die Entwicklung und Festigung von Tugenden hinzielte, das auf angemessenem Handeln in unterschiedlichen Situationen beruhende Lernen als bedeutsames Moment ebenso für die Berufsausübung hervorgehoben.
Kompetenz als neuerer und prominent eingeführter Begriff entstand im 20. Jahrhundert in der Linguistik. Das ursprünglich lediglich auf Sprachen angewandte Konzept, das vorwiegend auch träges Wissen überwinden soll, hat in der Folge, seit den 1970er-Jahren, die berufliche Bildung erreicht. Handlungskompetenzen markieren die Zielsetzung der beruflichen Grundbildung ebenso wie der Weiterbildung. Diese Ausrichtung hat inzwischen fast alle Bereiche der Bildung erfasst: So werden neuere Bildungsverordnungen, aber auch Lehrpläne in der Volksschule mittels Kompetenzen umschrieben. Im Betrieb, aber auch in der Schule werden Fähigkeiten und Haltungen in der Sprache der Kompetenzen gefasst und als handlungsbedingt dargestellt.
Umso schwieriger ist es nun aber, die Kompetenzen für die jeweiligen Bereiche und Situationen zu bestimmen, denn gerade in der Handlung oder Performance sollte sich ja zeigen, ob Kompetenz vorhanden ist. Darum hat sich in der Forschung, aber auch in der Praxis die Frage gestellt, wie genau, wie spezifisch und gar inwiefern sich denn überhaupt Kompetenzen konkret bestimmen lassen. Diese Konkretisierung der Kompetenzen, die auch prüfbar sind, ist für das berufliche Lernen und die Weiterentwicklung von Berufen entscheidend.
Die oben skizzierten Herausforderungen hat der Autor dieses Buchs, Gregor Thurnherr, unerschrocken angepackt. Er präsentiert eine sehr ansprechende Studie und Handreichung.
Die vorliegende Darlegung ist insofern sehr hilfreich, als sie anschaulich, fundiert und nachvollziehbar und dennoch übersichtlich das Kompetenzkonzept präsentiert. Im weiteren Verlauf wird die Prüfung von Kompetenzen erörtert. Es geht hierbei um eine Anpassung des Prüfens und des Prüfungsverfahrens an die neue Ausrichtung beruflichen Lehrens und Lernens. Zum Thema «Prüfen und Beurteilen aus einem kompetenzorientierten Blickwinkel» wurden schon mehrere Publikationen verfasst. Häufig handelt es sich dabei um Beiträge, die einerseits generell das Thema behandeln, oder aber sich andererseits sehr bereichs- und branchenspezifisch auf die Durchführung von Prüfungen beschränken. Oft wird auch das Prüfen und Messen, sowohl in der Forschung wie auch in der Praxis, wesentlich auf kognitive Aspekte fokussiert, angesichts auch der Tatsache, dass diese sich einfacher überprüfen lassen.
Eine umfassendere Publikation zumindest für die schweizerische Berufsbildung war bisher nicht vorhanden. Insofern schließt der Autor eine Lücke, was vielleicht auch dazu beiträgt, aufbauend auf diese kompetente Darstellung das Thema kompetent in weiteren Fortsetzungen zu bearbeiten.
Philipp Gonon
Zürich, im Herbst 2020
Um es gleich vorwegzunehmen: Das objektive und vollständige Erfassen und Beurteilen von Kompetenzen ist nicht möglich! (vgl. z.B. Koch & Hagedorn 2018, Seeber & Nickolaus 2010, Kaufhold 2006, Hundenborn & Kühn-Hempe 2006.) Und trotzdem dieses Buch?
Die Entwicklung und Erfassung von Kompetenzen ist in der Bildung und insbesondere in der Berufsbildung seit Längerem ein großes und bestimmendes Thema. Dies hängt damit zusammen, dass sich heute das Lernen immer mehr auf das Können und weniger ausschließlich auf das Wissen ausrichtet (handlungsorientiert versus wissensorientiert). Lernende sollen so ausgebildet werden, dass sie eine Situation oder Aufgabenstellung handlungskompetent bewältigen können. Dieser Paradigmenwechsel vom Wissen zum Können ist richtig! Dass jemand eine Situation bewältigen kann und damit handlungsfähig ist, ist als Ergebnis eines Lernprozesses hoch zu gewichten. Das heißt aber nicht, dass Wissen und insbesondere Faktenwissen eine untergeordnete Bedeutung hat. Denn nur wer über angemessene, schnell abrufbare und anwendbare Kenntnisse und Detailwissen verfügt, ist handlungskompetent. Dies gilt für Arbeitssituationen in der Berufspraxis und insbesondere für den Fremdsprachenerwerb. Ohne Wörter zu lernen und Verben richtig zu konjugieren, wird man eine Fremdsprache nie richtig beherrschen oder genügend sprachkompetent sein. Das ist nötig, um auch einfache Alltagssituationen zu meistern.
Ich habe das Buch für aktive und zukünftige Lehrpersonen, Ausbildende, Autorinnen von Prüfungen sowie Prüfungsexperten geschrieben. An sie stellt die Entwicklung von Handlungskompetenzen neue Anforderungen. Mit ihren Prüfungen messen und bewerten sie idealerweise das handelnde Können ihrer Lernenden möglichst objektiv und vollständig. Dazu liefert das Buch viele praktische Hinweise, Empfehlungen und nützliche Hilfsmittel.
Für das Gestalten von Prüfungen sind ein gefestigtes Verständnis des Begriffs «Handlungskompetenz» und das Bewusstsein hilfreich, lediglich einen Teil der vermutlich vorhandenen Kompetenzen prüfen und beurteilen zu können. Denn mit dem Verständnis des Kompetenzbegriffs ist die Erkenntnis verbunden, sich bei Prüfungen lediglich der Spitze des «Kompetenzeisbergs», nämlich der beobachtbaren Performanz, zuzuwenden.
Kapitel 1 1 Handlungskompetenzorientierung in der Berufsbildung Damit man Handlungskompetenzen prüfen und beurteilen kann, ist ein klares Verständnis nötig, was die Begriffe «Kompetenz» und «Handlungskompetenz» bedeuten und beinhalten. Ein vertieftes Begriffsverständnis hilft bei der Gestaltung von Prüfungen. Es bildet für die Prüfenden die Grundlage für die Auswahl von Prüfungsformen, dient der zuverlässigen Durchführung und fairen Bewertung.
klärt Begriffe wie Kompetenz, Handlungskompetenz, Dimensionen beruflicher Handlungskompetenzen, Stufen der Kompetenzerreichung, Performanz, Arbeitssituationen etc. und grenzt sie voneinander ab. Es zeigt auf, wo die Grenzen der Prüfbarkeit beziehungsweise Beurteilbarkeit liegen.
Kapitel 2 2 Prüfungskonzeption Prüfungen planen, erstellen, durchführen und auswerten verlangt eine sorgfältige Konzeption. Es muss klar sein, welche Handlungskompetenzen in welchem Umfang von wem zu welcher Zeit an welchem Ort und in welcher Form zu prüfen sind. Dieses Kapitel beschreibt das Vorgehen bei der Konzeption von Prüfungen und Themen, die dabei zu berücksichtigen sind. In diesem Kapitel werden nach einführenden Gedanken zum Sinn von Prüfungen und der Kompetenzorientierung Grundlagen zur Prüfungserstellung und Formen von Prüfungen vorgestellt. Weitere Schwerpunkte bilden die Bewertung sowie der Einsatz von Hilfsmitteln.
befasst sich mit der Prüfungskonzeption. Es beschreibt Prüfungsformen, deren Kombination und worauf bei der Erstellung und Gestaltung von Prüfungen zu achten ist. Es gibt Hinweise zu didaktischen Ansprüchen und der Auswahl von Prüfungsinhalten. Weitere wichtige Themen bilden die Bewertung sowie der Einsatz von Hilfsmitteln.
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