Omar Khir Alanam:
Sisi, Sex und Semmelknödel
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover und Gestaltung: Isabella Starowicz
Redaktion und Lektorat: Thomas Schrems
ISBN 978-3-99001-383-0
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Für meinen Freund, den Journalisten. Nicht den
syrischen. Den österreichischen. Und für alle,
die gerne lachen.
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Als ich begonnen habe, an diesem Buch zu arbeiten und Erstaunliches aus dem Alltag hier in Österreich zusammenzutragen, habe ich einem Freund von meinem Plan erzählt. Diesen Freund kann man auf den ersten Blick als väterlich bezeichnen. Weil er fast doppelt so alt ist wie ich. Weil er vorne schon einen Fünfer trägt. Und weil er nicht wie andere seines Alters, die es unbedingt nochmal wissen und bei ihren viel jüngeren Zweit- und Drittfrauen gut ankommen wollen, ständig in schwarzen Converse mit weißen Schuhbändern herumläuft.
Trotzdem – und das soll jetzt bitte nicht respektlos klingen aus dem Mund des 28 Jahre jungen Mannes, der ich bin – ist er erstaunlich frisch im Kopf. Ich meine frisch im Sinne von jugendlich erfrischend. Er beklagt sich nicht ständig, ist kein bisschen resignativ und somit untypisch österreichisch. Ja, verglichen mit vielen meiner Altersgenossen oder einem gewissen, auch nicht viel älteren Spitzenpolitiker hier im Land, zu dem sie seiner konservativen Haltung wegen auch gerne »der alte Mann mit dem jungen Gesicht« sagen, ist mein Freund im Kopf ein richtiger Dénischer. Ohne dass deswegen seine Hormone ständig verrücktspielen. Ein Dénischer?
Ya-iIlahi. Oh, mein Gott. Diese verdammte deutsche Sprache mit ihren Hürden und Mauern und Zungenbrechern. Auch nach fünf Jahren legt sie immer noch ihre Schlingen nach mir aus. Dagegen ist perfekt Arabisch zu lernen das reinste Kinderspiel. Ob Sie es glauben oder nicht. Obwohl, Dénischer ist ja gar kein echtes Deutsch, sondern eines dieser vielen gestohlenen Worte. Trotzdem muss auch ich wie schon andere vor mir sagen:
Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen.
Das sagt ein arabisches Sprichwort. Manche behaupten ja, es stammt von Mark Twain. Oder Oscar Wilde. Oder Voltaire. Vielleicht aber auch von einem Deutschen selbst. Vielleicht Goethe? Das posten jedenfalls Syrer, die gerade Deutsch lernen. Dann gibt es wieder welche, ebenfalls Syrer, die dieselbe Weisheit mit einem Foto von Adolf Hitler ins Netz stellen. Kein Österreicher oder Deutscher würde das wagen. Doch das Geschichtsbild der Syrer ist ohnehin ein anderes, als man es sich hier vorstellen kann: Denn in den Schulbüchern, die Diktator Assad freigibt, wird behauptet, Hitler habe im Ersten Weltkrieg die Gräueltaten der Juden miterlebt, und darum habe er sein Volk später vor ihnen schützen wollen. Dass er in Wahrheit sechs Millionen Juden grausam ermorden ließ, habe ich – ob Sie es glauben oder nicht – tatsächlich erst in Österreich erfahren.
So oder so. Das Leben ist definitiv zu kurz, um Deutsch zu lernen.
Dénischer liest sich in der hochdeutschen Schriftsprache übrigens so: Teenager. Mein Freund lächelt immer, wenn ich mit meiner nach wie vor etwas zu harten Aussprache darüber stolpere. Aber so sehr ich mich auch bemühe, wenn ich es eilig habe beim Reden (und das haben wir Araber praktisch immer), kommt am Ende des Tages, wie es so schön heißt, bei Teenager Dénischer heraus.
Derselbe kopfjunge Freund hat eines Tages übrigens zu mir gesagt, er wolle ab sofort keine neuen Menschen mehr kennenlernen. Er kenne ohnehin schon viel zu viele. Durch seinen Beruf und das Leben und überhaupt.
Inzwischen kenne ich ja auch den Begriff, mit dem man hierzulande gerne alles Mögliche zudeckt. Oder verschleiert. Vor allem die Unsicherheit. Man macht das hier mit dem Schmäh. In so einem Fall sagt der Araber dann: Zwei Drittel des Scherzes sind ernst gemeint.
Ob Schmäh sprachgeschichtlich etwas mit Schmähung zu tun hat, weiß ich nicht. Ebenso wenig, wie hoch der Prozentanteil Schmäh war bei der Aussage meines Freundes. Was ich weiß, ist, dass einem der Schmäh in diesem Land ausgehen kann wie anderen die Milch fürs Frühstück oder der Safran für ein arabisches Kabse, das beliebte Reisgericht mit jeder Menge Gewürzen, von Kardamom über Zimt und Muskat bis hin zu Safran, und natürlich mit Pinienkernen und Mandeln und Lammfleisch. Oder Huhn. Und, was ich ebenfalls erfahren habe: Derselbe Schmäh, der den Menschen plötzlich ausgeht, kann genauso gut plötzlich rennen. Wohin oder vor wem davon, weiß ich jedoch nicht.
Was soll‘s. Ich kann nicht alles wissen. Aber, keine neuen Menschen mehr kennenlernen wollen?
Niemals. Zur Sicherheit, Schmäh hin, Schmäh her, habe ich gegen die Behauptung meines Freundes sofort protestiert. Weil ich als gebürtiger Syrer am liebsten mit jedem und überall zu plaudern anfange. Wenn es sein muss, sogar auf der Herrentoilette.
Andererseits weiß ich inzwischen, dass systematisches Nicht-Reden auch eine Art von Kommunikation ist. Gerade hier in Europa. Da brauche ich nur an Menschen in U-Bahnen oder Aufzügen zu denken. Wenn sie in diese Leere starren, in die man eben sonst nur starrt, wenn man auf der Herrentoilette steht und in das geschmacklose Muster von Fliesen aus den Siebzigerjahren blickt und darüber staunt, welch seltsame Sprüche oder Ausrufe es als Graffiti ins Jahr 2020 geschafft haben. Man steht da so mit den anderen Namenlosen und macht sein Ding und blickt bloß nicht hin, wo man eben nicht hinblickt. Weil man da nicht hinblickt!
Aber bleiben wir bei dem Plan, von dem ich meinem Freund zu erzählen begonnen habe. »Ich schreibe ein neues Buch«, sage ich. »Über die ersten fünf Jahre in meiner neuen Heimat. Über den Zusammensturz der Kulturen.«
»Meinst du Clash of Cultures?«, fragt er.
Ich nicke.
»Dann heißt es Stoß. Zusammenstoß der Kulturen, Omar.«
Ya-iIlahi. Schon wieder. Was für eine ewige Herausforderung. Stoß. Sturz. Ist das denn nicht dasselbe? Oder führt nicht das eine zum anderen? Wer gestoßen wird, kann schließlich stürzen. Nur bei Diktator al-Assad bin ich mir da nicht so sicher.
Ich überlege, was und wie viel ich meinem Freund erzählen soll. Immerhin ist es bloß eine Idee. Sie leuchtet zwar schon grell auf in meinem Kopf wie eine Traube gelber Datteln hoch oben auf einer Oasenpalme inmitten der syrischen Wüste (wobei ich gestehen muss: Im Gegensatz zu meinem weitgereisten Freund, der schon die eine oder andere Wüste dieser Welt gesehen und auch viele Wochen dort verbracht hat, kenne ich die Wüste gar nicht. Sie soll jedoch, heißt es, wunderschön sein).
Aber wir waren bei der Idee und den Datteln. Ja, so verführerisch die Früchte auch herunterleuchten, in diesem Zustand sind sie einfach noch nicht reif. Und mein Freund (so jedenfalls stelle ich mir seinen Job vor) ist so etwas wie ein Verwerter von noch nicht ganz reifen Ideen. Eine Art freilaufende Reifemaschine. Ein kreativer Dattelpflücker mit Weitblick. Auch wenn er sich meiner Ideen bestimmt nicht bedienen würde. Aber prinzipiell.
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