Die Digitalisierung kann Machtmissbrauch an Theatern nicht verhindern, kann nicht dafür sorgen, dass ein respektvoller Umgang miteinander herrscht und dass die Leute, die dort arbeiten, weniger angeschnauzt werden, um bei Hubert Eckart zu bleiben. Aber kluge Automatisierung könnte helfen, die Kraftressourcen von Mitarbeitenden zu schonen und in Gebiete zu verlagern, in denen wir Menschen den Maschinen noch haushoch überlegen sind: in das Bearbeiten komplexer, vielschichtiger Felder, die Empathie und Miteinander verlangen. Im 21. Jahrhundert müsste niemand mehr Tabellen abtippen, Social Media Posts anhand von Premierendaten anlegen, eine Monatsdispo von Hand entwerfen oder Tickets auf Sicht kontrollieren. Alleine die Stunden, die ich am Theater schon mit stupider, repetitiver Handarbeit verbracht habe, würden ganze Monatsabrechnungen füllen – wir alle, die wir am Theater arbeiten, egal, in welcher Funktion, haben diese Tätigkeiten, die eigentlich Maschinen machen könnten. Wir werfen derzeit menschliches Personal auf sämtliche Arbeiten am Theater und wundern uns dann, dass wir zum einen keine guten Leute mehr finden und zum anderen, dass die, die da sind, sich irgendwann mit Burn-out in das innere Bienenzüchten abmelden.
Die vielbeschworene Gefahr, dass Automatisierung Arbeitsplätze abschafft, besteht dabei gerade am Theater nicht. Der Kern von Theater ist seine Menschlichkeit und nur, weil unsere administrativen Prozesse irgendwann vielleicht nicht mehr so handgemacht sind wie unsere Schuhe, Kostüme und alles, was die Cacheur*innen mit Styropor zaubern, heißt das nicht, dass wir die Menschen damit aus der Gleichung nähmen. Im Gegenteil: Vorderhaus-Mitarbeitende beispielsweise, die nicht mehr nur zur reinen Ticketkontrolle an den Eingangstüren stehen, sondern die im Gegenteil diesen Aspekt einer Maschine überlassen, könnten sich stattdessen auf ihr eigentliches Kerngeschäft – Hospitality – konzentrieren, da sind Roboter nämlich notorisch miserabel drin. Ein Künstlerisches Betriebsbüro, das seine Disposition nicht händisch mit quergelegten Worddateien, Excel, Papier und Stift oder einer Software mit dem Look und Feel einer überteuerten 90er-Jahre-Industrieanwendung erstellen muss, hätte wieder die Konzentration, um die zentrale Anlaufstelle für alle logistischen und organisatorischen Belange, also das Herz, eines Theaterbetriebs zu sein. Die Übersetzung von Bauproben ins Digitale, wie sie auch jetzt schon pandemiebedingt an einigen Häusern vonstattengeht, würde uns auch langfristig erlauben, künstlerisches Personal nicht extra von weit weg für diesen Termin einzufliegen. Das spart nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch CO 2.
Natürlich kann Automatisierung keine zentrale Debatte über Nachhaltigkeit, die Schonung und den sinnstiftenden Einsatz von Mitarbeitenden ersetzen. Man kann soziale Probleme letztendlich nicht mit Technik lösen. Aber Digitalisierung kann einen Anstoß geben und einen Baustein bilden in einem nachhaltigeren und achtsameren Betrieb. Das sind die Baustellen, die uns erwarten, wenn wir aus dem Pandemiechaos wieder in eine Form der Normalität gehen, die hoffentlich nie wieder so wird, wie sie vorher war. Ab hier kann es nur besser werden.
1 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9414:ueber-livestreaming-und-das-theater-als-router-ein-appell&catid=101:debatte&Itemid=84
2 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=8249:das-cyberleiber-festival-am-schauspieldortmund&catid=53:profile&Itemid=83
3 https://12.re-publica.de/panel/theater-inter-action/index.html
4 https://www.buehnenverein.de/de/downloads/pressemappe-jhv-2012.html?cmsDL=617685133442687a3e70a95dee1eb722
5 https://www.thalia-theater.de/uploads/Theatercamp,%20Social%20Media%20und%20Theater.pdf
6 https://www.boell.de/de/theater-und-netz
7 https://www.tagesspiegel.de/kultur/effi-briest-2-0-am-gorki-gefaellt-mir-fontane-als-facebook-theater/6052758.html
8 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=19128:werther-live-freies-digitales-theater-eine-gruppe-junger-theatermacher-innen-um-die-regisseurin-cosmea-spelleken-strickt-aus-goethes-briefroman-packendes-social-media-theater&catid=38&Itemid=40
9 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=19128:werther-live-freies-digitales-theater-eine-gruppe-junger-theatermacher-innen-um-die-regisseurin-cosmea-spelleken-strickt-aus-goethes-briefroman-packen-des-social-media-theater&catid=38&Itemid=40
10 https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/bfs-gesamtprogramm/programmdetail_282732.html
11 https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/twitter-theater-woche-a-938050.html
12 https://www.nmz.de/kiz/nachrichten/buehnenverein-strebt-kulturwandel-an-jahrestagung-in-luebeck
13 https://www.theaterderzeit.de/2020/10/38931/
14 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/interview-mit-hubert-eckart-zu-arbeitsbedingungen-am-theater-16167692.html
NOTATION_SFBODIES 05‘11~
NOTATION_SFBODIES 09‘30~
nicola bramkamp
save the world with this melody?
wie wir theater und nachhaltigkeit zusammendenken können
Bei der ersten Ausgabe unseres „Art meets Science“ - Festivals SAVE THE WORLD kam die Singer-Songwriterin Bernadette LaHengst freudestrahlend auf mich zu. Sie hätte ihn geschrieben: den ultimativen Weltrettungssong. Jetzt könnte doch nichts mehr schiefgehen, sagte sie ironisch grinsend, mit diesem Hit hätte unsere Erde doch noch eine realistische Chance, nicht unterzugehen.
Als wir 2014 Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zusammenbrachten, um gemeinsam die drängenden Zukunftsfragen wie Klimawandel, Welthunger, Nachhaltigkeit und Biodiversität zu erforschen, war die Vision klar. Wir wollten – orientiert und inspiriert von den Nachhaltigkeitszielen der UN – mit den Mitteln der Kunst eine breite Öffentlichkeit für globale Zusammenhänge und komplexe Inhalte begeistern. Wir wollten aufklären, spielerisch und lustvoll vermitteln, was die Welt im Innersten – in Atem hält.
Art meets Science – a perfect match!
Als Theatermacher*innen haben wir ja häufig wenig Zeit, um uns intensiv mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Schnell springen wir von Projekt zu Projekt, von Thema zu Thema, und auf der Strecke bleibt die inhaltliche, auf Fakten basierte Recherche, der deep dive . Wissenschaftler*innen hingegen mahnten schon seit Jahren, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, aber niemand hörte ihnen zu. Weil sie – im Gegensatz zu uns – keine gute öffentliche Performance hinlegten. Zu spröde, zu dröge, zu apokalyptisch waren ihre Erzählungen. Also kamen wir auf die Idee, beide Welten miteinander zu verknüpfen, wir matchten Expert*innen mit Künstler*innen und gaben ihnen Zeit, Geld und einen Raum, um gemeinsam eine Performance zu entwickeln.
Seit 2014 entstehen so regelmäßig künstlerische Formate der Wissensvermittlung. Was als jährliches Festival begann, ist mittlerweile eine internationale Initiative, ein Netzwerk von renommierten Expert*innen und Künstler*innen, die sich dem Thema Nachhaltigkeit widmen.
In diesem Kontext entstand der Song „Save the World With This Melody“ in Ko-Kreation von Bernadette LaHengst und Nick Nuttall, dem damaligen Pressesprecher des UN-Klimasekretariats (UNFCCC). Er war Teil eines theatralen Parcours, an dem noch andere Tandems mitwirkten. Choreograf Jochen Roller zum Beispiel schickte gemeinsam mit Dr. Aline Kühl-Stenzel, der Landtierbeauftragten des UN-Umweltprogramms (UNEP) die Zuschauer auf eine halsbrecherische Zugvögel-Reise, Patrick Wengenroth inszenierte mit Prof. Dr. Jakob Rhyner (Direktor des Instituts für Umwelt der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS)) in der Hauptrolle Becketts Endspiel , und die Puppenspielerin Suse Wächter brachte niemand Geringeren als Gott und Dr. Michael Kühn von der Welthungerhilfe in einen Dialog. Dies sind nur einige Beispiele vielzähliger Projekte, die wir bis heute initiieren und kuratieren.
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