»Fanny!«
Na endlich.
Er bequemte sich, seinen inzwischen auf etwa 85 Kilo abgemagerten Body gemächlich in Bewegung zu setzen, warf Anna einen Blick zu, der eigentlich mir galt und soviel sagte, wie … der kann mich mal …! und trottete hinter mir her, als sei ich ein armseliger Pudel mit Bommel, kahl rasiertem Hintern und riesiger Krone – und nicht die italienisch-deutsche Schönheit.
Ich klingelte und eine Asiatin öffnete mir. Bildschön und in traditioneller Kleidung ihres Landes. Sie begrüßte mich mit dem für die Region üblichen Wai. Das ‚Wai‘ ist das Verbeugen mit zusammengeführten Händen gegenüber dem zu Begrüßenden. Sie tat das formvollendet. Das heißt, sie zeigte mit ihrer Art der Begrüßung, dass sie die sozial niedriger gestellte Person sei, jünger und von großem Respekt mir gegenüber. Die Arme dicht am Körper, die Handflächen eng beieinander; sie berührten ihren Körper im Bereich des oberen Brustkorbs und das Heben und Senken der Hände geschah in einer flüssigen und langsamen Bewegung. Ich war mir nicht sicher, ob die Ehrerbietung mir galt oder aus Angst vor dem Folgmann erfolgte …
»Folgen Sie mir bitte, Herr Doktor Richter.«
Was für eine bezaubernde Stimme. Aus dem Singsang hätte man glatt einen Hitsong basteln können. War die hier wirklich nur als Türöffnerin angestellt? Oder war sie die Neue des Neureichen? Man munkelte, dass seine beträchtlich Jüngere, ihm Angetraute, des Öfteren den Hubschrauber oder einen Jet seiner Firma nahm, um kurz mal mit einem zweibeinigen Hengst in das Chalet der Familie in Davos-(am schönsten ist) zu fliegen, sich dort – sie war eigentlich ein wenig plump, hatte aber über die Jahre durchaus etwas von einer gut eingerittenen Stute vom Lande, was man nicht nur an ihren O-Beinen sah – gut durchvögeln zu lassen, um dann den Eitlen besser ertragen zu können.
»Bitte folgen Sie mir, Herr Doktor.«
Kein Hohn in der Stimme, kein Zynismus. „Herr Doktor“. Aus ihrem Mund klang das bewundernd. Vielleicht glaubte sie, mein Spitzname in der Branche wäre ein durch Universitätsabschluss erarbeiteter Titel … In dem Moment ging mir durch den Kopf, wie viele Politiker in Deutschland ein ‚Dr. Peinlich-Plagiat‘ in ihrem Namen trugen, von einem Karl Theo von Guttenberg über Annette Schavan, Jorgo Chatzimarkakis bis hin zu Silvana Koch-Mehrin – alles Betrüger …
Sein „Doktor“ kam mit einer leicht überzogenen, um nicht zu sagen starken Arroganz rüber, als er mich anrief. Aber auch Ärger und Nervosität konnte ich in seiner Stimme erkennen, die gewohnt ist, dass man ihr folgt. Nein, nicht folgt: pariert! Er glaubte allen Ernstes, dass er der tollste Mann in Grünwald, München, Bayern, Deutschland und Umgebung sei. Der „Herr Professor“, wie er sich gerne anreden ließ, obwohl er nie an einer Universität gelehrt hatte, und im Gegensatz zu mir – der ich gar keine, nicht mal eine gefälschte mein Eigen nannte – eine echte Doktorarbeit über irgendetwas total Unwichtiges geschrieben hatte, saß auf einem unglaublich hohen Thron. Das verwunderte mich nicht, war er doch eher – optisch betrachtet (und auch sonst?) – ein kleines Kerlchen …
Die asiatische Schönheit hatte mich in einen Salon geführt, der eher wie ein gut proportionierter und mit Kunst gefüllter Ausstellungsraum eines feinen Münchener Museums auf mich wirkte. Unwohnlich, aber es stank hier nach verdammt viel Kohle …
Ich erkannte einen Jeff Koons, einen Chagall und einen Gerhard Richter.
FORT Knox war gestern , ging es mir durch den Kopf, als ich das futuristische Foyer des ›Le Freeport‹ in Singapur betrat. Die Lasernetze, die das Gebäude von innen nach innen, von innen nach außen und von außen nach innen, von oben nach unten, von unten nach oben bewachten, waren Sekunden vorher ausgeschaltet worden. Meine beiden Begleiter schienen Experten für den Freeport zu sein. Jedenfalls waren wir drin, schneller als man sich eine Zigarette anzündet.
Passcode und Fingerabdruck-Scan.
Wow!
Der Singapur Freeport ist eine riesige Schatzkammer mit dicken Stahlwänden und -türen. Vibrationsdetektoren machen das Ganze selbst für Meisterdiebe praktisch unknackbar. Gehörten meine Begleiter zum Team des Freeports? Wie kommt ein Mann wie der ‚Schwebende‘ an diese Typen? Eine sicher sauwertvolle auf Hochglanz polierte riesige Stahlskulptur dominiert die beeindruckende Lobby. „Käfig ohne Grenzen“ nennt der Künstler die etwa 40 Meter lange und 30 Tonnen schwere Wabenstruktur, eine spiegelnde Schleife, die sich durch den ganzen Raum zieht. Dahinter verbirgt sich der schönste Tresor der Welt …
Man hatte mich erst vor wenigen Stunden kontaktiert. Folgmann hatte mir sein Apartment in Taipeh zur Verfügung gestellt. Er wollte jedes Aufsehen vermeiden und lehnte ein Hotel für mich ab. Zwei Männer standen vor meiner Tür im 8. Stock eines eleganten Wohnpalastes in Wenshan, der bevorzugten Wohngegend der Wohlhabenden in der Hauptstadt Taiwans, sagten nichts und doch alles. Ich zog meinen Parka über, nahm meine – immer reisebereite – Segeltuchtasche im Vorübergehen im Flur des luxuriösen Apartments auf und ging mit ihnen.
Wortlos.
Die Motoren der Cessna Citation 750X liefen bereits, als wir – drei Männer in Schwarz – die Maschine, die auf dem internationalen Flughafen ›Taiwan Taoyuan‹ auf uns wartete, betraten. Fünf Stunden später – noch immer war zwischen den Männern und mir kein einziges Wort gefallen, nur Fotos gingen durch unsere Hände und die Asiaten warfen mir bedeutungsvolle Blicke zu – landeten wir auf dem ›Changi Airport‹ in Singapur. Eine ebenfalls schwarze Tesla-Limousine wartete an der Gangway. Man hatte es offensichtlich eilig. Ich warf mir meinen schmutzig-grünen Parka über die Schulter, die Reisetasche. Andere hätten bei 34° Lufttemperatur und 98 Prozent Luftfeuchtigkeit geschwitzt, aber mir machte das nichts aus. Das letzte halbe Jahr hatten wir, Anna, Fanny und ich, fast nur in den Tropen verbracht und uns zum Abschluss, damit wir uns wieder akklimatisieren konnten, auf Capri noch ein paar Tage in einem Wellness-Paradies gegönnt. Mein Body war fitter als der von Jessica Biel und Lucy Liu – okay, das sind tolle Frauen, mein Versehen, sorry –, ich meine Jake Gyllenhaal und Matthew McConaughey zusammen!
Noch immer unbeeindruckt saß ich im Fonds des lautlos agierenden Tesla. Es waren nur knapp 1.800 Meter bis zur 32 Changi North Crescent, denn der ›Le Freeport‹ steht in der Freihandelszone des Flughafens. Ein Hochsicherheitslager der Superlative für Kunst und Wertgegenstände jeglicher Art. Nachdem ich mich noch während des Fluges – in einer von Folgmann für mich gecharterten Maschine; man gönnt sich ja sonst nichts – von München nach Taipeh so gut es ging über meinen Auftraggeber und seine Vorlieben schlaugemacht hatte, ahnte ich schon in etwa, worum es sich bei seinem ominösen Auftrag handeln könnte. Allerdings war ich irritiert, dass er mir als Ziel der Reise Taipeh angab. Gab es dort ein Museum, eine Galerie von Weltrang, die ich nicht auf dem Schirm hatte?
Es konnte sich eigentlich nur um Kunst handeln. Die sammelte Folgmann wie blöd. Das war unter den Sammlern, die nicht auf ein Milliönchen mehr oder weniger achten müssen, weltweit bekannt.
Und nun das!
Mir kam es wieder in den Sinn: Vor etwa zwei Jahren hatte ich zufällig im österreichischen Fernsehen einen interessanten Bericht über die wenigen Freeports mit der Spezialisierung auf Einlagerungen in Richtung teurer Kunstartikel gesehen. Es sind weltweit nur ein paar Logistikanlagen, die eine fachgerechte Lagerung und Verwahrung von Kunstwerken jeder Art und anderen extrem wertvollen Objekten in hochmodernen, biometrisch gesicherten Räumen und Stahlkammern bieten. Das, was dahinter steckt, hatten sich die Erfinder der Freeports sehr clever ausgedacht. Für die Dauer der Nutzung eines ‚Lagers‘ in den Freeports fallen keine Mehrwertsteuer, keine Zollgebühren an. Zudem sind alle darin erbrachten Dienstleistungen steuerfrei. Die Kunstgegenstände werden an einem quasi neutralen Ort eingesperrt, aber nicht weggesperrt. Sie verstehen? Ominöse Firmen, die meist in Steueroasen angesiedelt sind, mieten ‚Lagerraum‘ an, die diese ominösen Firmen – also Briefkastenfirmen – dann an die eigentlichen Mieter untervermieten. Verträge, die keiner einsehen kann. Freeports dieser Gattung sind letztlich Museen im Niemandsland. Die Museumsbesucher? Anwälte, Treuhänder, Superreiche. Die Kunstwerke können in den Freeports komplett zoll- und steuerfrei gehandelt werden, aber auch an private und staatliche Museen weltweit ausgeliehen und ausgestellt werden, ohne dass die Eigentümer die steuer- und zolltechnischen Vorteile einbüßen. Genf, Singapur, Peking, London und Luxemburg. Da stehen die Dinger und ich nun mitten in einem. Wow!
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