Also, was tun? Not macht bekanntlich erfinderisch, und als Lee Cheadle zu Hause aus dem Fenster schaute und zufällig mitbekam, wie sich jemand im Haus gegenüber eines schäbigen Gästeklappbettes entledigte, indem er es zwischen die Mülltonnen stellte, machte es bei ihm »Klick!«.
Er strahlte, grinste und schnippte mit den Fingern. »Yeah! Das ist es?«
»Ist dir eingefallen, wie man Fort Knox knacken kann, mein Junge?«, fragte sein alter, weißhaariger, zahnloser Großvater.
Nicht Fort Knox, dachte Lee begeistert. Aber Geena Jackson - was für mich viel wichtiger ist.
Er blieb seinem unrasierten Grandpa die Antwort schuldig, stürmte aus der Wohnung und schnappte sich das Klappbett, bevor es sich ein anderer unter den Nagel reißen konnte.
Gleich um die Ecke stand ein Haus, in dem niemand mehr wohnte. In einem der Räume sollte es endlich passieren. Nicht auf dem dreckigen Fußboden, sondern auf einem richtigen Bett. Auf dem Klappbett, das er soeben organisiert hatte.
Er würde Geena davon erzählen, und sie würde bestimmt nicht Nein sagen, wenn er ihr vorschlug, sich mit ihm für ein erstes heißes Schäferstündchen in dieses Abbruchhaus, in dem sie unbeobachtet und ungestört sein würden, zurückzuziehen. Lee malte sich das Ganze in den schillerndsten Farben aus, und sein Herz schlug dabei kräftig gegen die Rippen.
Wenn Geena nicht noch so jung gewesen wäre, wenn er einen Job und eine eigene Wohnung gehabt hätte, hätte er sie auf der Stelle geheiratet.
Aber die Umstände waren vorerst noch gegen einen solchen Schritt, und so musste er wohl oder übel warten.
Nicht mehr warten wollte er jedoch auf das Glück in Geenas Armen. Während er das Klappbett um die Ecke schleppte, dachte er: Ich werde die Liege erst mal im Keller verstecken, damit es sich kein verwanzter Penner darauf gemütlich macht.
Bevor er das Abbruchhaus betrat, blieb er kurz stehen. Er schaute nach links und rechts. Niemand war in der Nähe. Prima. Rasch huschte er in das alte Gebäude, das wohl nicht mehr allzu lange hier stehen würde.
Aber Geena und ich werden noch sehr lange an dieses Haus denken, ging es ihm durch den Sinn, und ein verträumtes Lächeln glitt dabei über sein hübsches Gesicht.
Er stieg die Kellertreppe hinunter und gelangte in einen düsteren Gang. Seine Gedanken beschäftigten sich so sehr mit dem, was er hier schon bald mit Geena Jackson anstellen würde, dass er sich kaum umsah.
Doch plötzlich stutzte er.
Verdammt, was ist denn das?, schoss es ihm mit einem Mal durch den Kopf.
Er ließ das Klappbett los. Es kippte gegen die Wand.
Er eilte ein paar Schritte ohne das Bett weiter und blieb dann abrupt stehen.
Vor ihm saß eine Frau auf einem Stuhl. Sie war gefesselt. Ihr Mund war zugeklebt.
Und sie war tot...
Die Mordkommission unter der Leitung von Lieutenant Kramer war noch am Tatort, als Milo und ich eintrafen. Larry Brown, Kramers Assistent, kam uns entgegen.
Wir wechselten ein paar Begrüßungsfloskeln. Dann reichte Brown uns an seinen Vorgesetzten weiter.
Kramer informierte uns ausführlich. Dann zeigte er uns die Leiche. Man hatte Laura Holden vom Stuhl losgebunden, den Klebestreifen von ihrem Mund entfernt und sie auf den Boden gelegt.
»Wie lange ist die Frau schon tot?«, wollte ich vom Polizeiarzt wissen.
»Eine Stunde«, gab der Mediziner, der in seinem ganzen Leben noch nie gelacht zu haben schien, finster zur Antwort. »Herzschuss. Sie war auf der Stelle tot.«
»Das Werk eines Profis?«, fragte mein Partner.
Der Doc nickte. Eine tiefe V-Falte befand sich über seiner Nasenwurzel. »Davon würde ich ausgehen.«
Ich trat näher und beugte mich über die Tote. Ihr geliftetes Gesicht war wächsern. Ihre Augen waren geschlossen. In mir regte sich Mitleid.
Warum hatte sie so enden müssen? Weil sie mit Andrew Holden verheiratet gewesen war? Genauso wie Yvonne Bercone hatte sterben müssen, weil sie Holdens Sekretärin gewesen war?
»Können wir sie fortschaffen?«, fragte Larry Brown.
Ich nickte und trat zurück. Die Leiche wurde in einen schwarzen Plastiksack gelegt. Ich hörte das Ratschen des Reißverschlusses - und Laura Holden war nicht mehr zu sehen.
Ich wandte mich an Lieutenant Kramer. »Irgendwelche Spuren?«
Der Leiter der Mordkommission Brooklyn schüttelte den Kopf. »Bis jetzt noch nicht.«
»Wer hat die Frau gefunden?«, fragte ich.
»Ein junger Mann namens Lee Cheadle.«
»Ein Junkie?«, fragte ich.
»Wie kommen Sie auf so etwas?«
»Was hatte er hier unten zu suchen?«
»Das soll er Ihnen selbst erzählen«, gab Lieutenant Kramer zur Antwort. Er trug seinem Assistenten auf, den Jungen zu holen.
»Weiß Andrew Holden schon Bescheid?«, fragte ich den Chef der Homicide Squad.
Kramer schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
»Wir übernehmen das«, bot ich an.
Lieutenant Kramer nickte. »Okay.«
Larry Brown schleppte Lee Cheadle an. Der Leichensack wurde an ihnen vorbeigetragen. Cheadle presste sich an die Wand und wandte den Blick ab.
Ich sagte ihm, wer wir waren und zeigte ihm meinen Dienstausweis.
»Ich hab damit nichts zu tun, Agent Trevellian«, stieß er krächzend hervor. »Ich habe diese Frau nicht umgebracht.«
»Niemand behauptet das, Mr. Cheadle«, gab ich sanft zurück.
Er seufzte. »Wenn man einen Hund schlagen will, findet man einen Stock. Und wenn die Polizei einen Sündenbock braucht...«
»Greift sie sich den Erstbesten«, sagte ich.
»Ist es nicht so?«, fragte Cheadle.
»Nein, Mr. Cheadle. So ist es nicht. Jedenfalls nicht im richtigen Leben, sondern höchstens in einem schwachsinnigen B-Movie aus Hollywood.«
»Wissen Sie, wen Sie gefunden haben?«, fragte mein Partner.
»Man hat es mir gesagt«, antwortete Lee Cheadle.
»Kam Ihnen die Tote nicht bekannt vor?«, fragte Milo.
»Doch, schon. Aber... Es war zunächst mal ein mächtiger Hammer für mich, einer gefesselten Frauenleiche gegenüberzustehen.«
»Wieso waren Sie überhaupt hier unten?«, wollte ich wissen.
Er zögerte, es uns zu verraten, nagte verlegen an seiner Unterlippe.
»Mr. Cheadle«, sagte ich. »Haben Sie meine Frage nicht verstanden?«
»Ich hab sie verstanden, Agent Trevellian.«
»Und wie lautet die Antwort?«
Er senkte den Kopf, wurde rot und starrte auf seine Schuhspitzen. »Es ist so... Ich - ich liebe ein Mädchen...« Es dauerte sehr lange, bis er alles herausgewürgt hatte. Er brach zwischendurch immer wieder ab und wäre wohl vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Nachdem er geendet hatte, sah er mich ängstlich an. »Werde ich deswegen Ärger kriegen, Agent Trevellian?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.«
»Haben Sie hier unten außer der Toten noch jemanden gesehen, Mr. Cheadle?«, fragte Milo.
»Nein. Wen hätte ich denn...«
»Den Mörder zum Beispiel«, sagte mein Partner.
Lee Cheadle riss die Augen auf. »Großer Gott, nein. Ich bin heilfroh, dass ich den nicht gesehen habe. Der - der hätte mich garantiert nicht am Leben gelassen.«
Wir entließen ihn und vereinbarten mit Lieutenant Kramer, dass er sämtliche Unterlagen, die mit dem Mord an Laura Holden zusammenhingen, duplizieren und uns umgehend zukommen lassen würde.
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