»Sie sind wütend auf mich, nicht wahr?«, sagte der Fremde.
»Aber nein«, erwiderte Gandolfini mit triefendem Sarkasmus. »Warum sollte ich? Ich liebe es, von maskierten Typen hinterrücks niedergeschlagen zu werden. Da steh ich ganz irre drauf.«
»Würde es zur Entspannung der Situation beitragen, wenn ich mich entschuldige?«
Gore Gandolfini schwieg.
»Es tut mir Leid...«, sagte der Maskierte.
»Verdammt noch mal, was soll das, Mann?«, herrschte der Killer ihn an.
Er hatte sich noch nie in einer so verrückten Situation befunden.
Langsam glaubte er, dass er von dem Kerl wirklich nichts zu befürchten hatte. Der Maskierte schien tatsächlich nur dann Gewalt anzuwenden, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ.
Dadurch bekam der Killer, für den brutalste Gewalt zur Alltäglichkeit gehörte, allmählich Oberwasser.
»Darf ich nun endlich den Grund für Ihr Hiersein erfahren?«, sagte Gandolfini energisch und bestimmt.
»Ich möchte Ihre Dienste in Anspruch nehmen.«
Gandolfini nickte. »Meine Dienste.«
»Ich weiß, womit Sie Ihr Geld verdienen.«
»Was soll ich für Sie tun?«
»Ich möchte, dass Sie jemanden für mich erschießen«, sagte der Maskierte nüchtern.
»So, so. Und wen?«
»Eine Frau.«
»Ihre Frau?«, fragte Gandolfini.
»Nein, nicht meine Frau.«
»Wessen Frau sonst?«
»Andrew Holdens Frau«, antwortete der Maskierte.
»Laura Holden?«
»Genau die.«
»Warum tun Sie’s nicht selbst?«, wollte Gandolfini wissen.
»Wenn es sich vermeiden lässt, möchte ich mir die Finger nicht schmutzig machen.«
»Da kaufen Sie sich lieber einen Profi.«
»So ist es«, bestätigte der Maskierte.
»Der den Job schnell und sauber für Sie erledigt.«
»Ich denke, Sie sind dafür der richtige Mann. Wenn ich mit Ihnen zufrieden bin, können Sie mit weiteren Aufträgen rechnen.«
Gandolfini lachte blechern. »Hey, Mann, was haben Sie vor? Soll ich die Stadt für Sie ausrotten?«
»Sind Sie interessiert?«
»Ich bin nicht billig.«
Der Maskierte griff in die Innentasche seines Jacketts, holte einen länglichen Briefumschlag heraus und klatschte ihn vor Gandolfini neben der Johnnie-Walker-Flasche auf den Couchtisch. »Reicht das für Laura Holden?«
Gore Gandolfini öffnete das Kuvert mit spitzen Fingern und zählte die Geldscheine, die sich darin befanden. Dann griente er. »Was haben Sie gegen die Frau?«
»Nehmen Sie den Auftrag an?«, wollte der Fremde wissen.
Gandolfini nickte. »Ich bin Ihr Mann. Obwohl...«
»Ja?«
»Obwohl ich noch nie unter so bizarren Umständen zu einem Auftrag gekommen bin.«
»Die Situation ist auch für mich einmalig. Das können Sie mir glauben.« Der Maskierte legte die Pistole auf den Tisch und trat zurück. Er sagte dem Killer, wo er Laura Holden finden würde, und dann ging er.
Gore Gandolfini griff nach seiner Waffe. Er betrachtete sie und das Geld, schüttelte den Kopf und murmelte: »Verrückte Geschichte. Man könnte beinahe meinen, ich hätte das alles nur geträumt.«
Er stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und schaute hinaus. Niemand war auf dem Flur. Der Spuk war vorbei.
Gandolfini stieß die Tür zu und ging zum Fenster. Er blickte auf die Straße hinunter, sah auf dem Bürgersteig eine Menge Passanten, und er fragte sich, wer von den Männern dort unten sich noch vor wenigen Augenblicken maskiert in seiner Wohnung aufgehalten hatte.
Sein Mund war trocken. Seine Zunge war pelzig. Er brauchte dringend einen kräftigen Schluck.
Er drehte sich um, ging zum Couchtisch, schnappte sich die Whisky-Flasehe und trank mit gierigen Zügen aus der Pulle.
Anschließend nahm er eine eiskalte Dusche.
Bob Verbinski war noch nicht einmal richtig kalt, da hatte er schon einen neuen Auftrag. Das Geschäft blühte...
Der Killer verließ sein Apartment, um den neuen Job zu erledigen.
Laura Holden würde nicht sein erstes weibliches Opfer sein. Er hatte keine Hemmungen, seine Waffe auch auf Frauen zu richten und abzudrücken, wenn jemand reichlich genug dafür geblecht hatte, und das hatte der große Unbekannte getan.
Gandolfini hatte keine Ahnung, warum Laura Holden sterben musste. Es war ihm egal. Manchmal kannte er den Grund, manchmal nicht.
Das beeinflusste den Ablauf seiner Tätigkeit und deren Qualität in keiner Weise. Es interessierte ihn nicht, warum jemand jemand anderen abserviert haben wollte.
Er war Geschäftsmann. Man kam zu ihm und kaufte für irgendeinen Mitmenschen den Tod. Und er brachte ihn dem Opfer dann. Prompt und zuverlässig.
Gandolfini fuhr mit dem Bus zu jenem Abbruchhaus, in dessen Keller er Andrew Holdens Frau finden würde. Niemand sah ihn, als er das schäbige Gebäude betrat.
Laura Holden hörte seine Schritte und zuckte zusammen. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn sah. Sie hielt ihn für den Mann, der sich ihr bisher nur maskiert gezeigt hatte.
Er kam den kahlen, grauen Gang entlang. Seine Schritte waren fest, seine Haltung drückte Entschlossenheit aus. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Kommt er, um mich freizulassen?, fragte sich die Frau. Hat Andrew für mich Lösegeld bezahlt? Wenn ich meine Freiheit wiederbekommen soll, wieso maskiert der Mann sich dann nicht mehr? Warum zeigt er mir sein Gesicht? Jetzt kann ich ihn doch identifizieren.
Je näher der Fremde kam, desto unsicherer wurde Laura. Kalter Schweiß rann ihr den Rücken hinunter.
Er kann mich nicht laufen lassen, dachte sie ängstlich. Das wäre viel zu riskant für ihn. Er hat kein Geld für mich erhalten. Andrew hat ihm wahrscheinlich gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Was macht ein Kidnapper mit einem Opfer, das keiner zurückhaben will? O Gott, nein...!
Laura Holden riss entsetzt die Augen auf. Sie hatte begriffen.
Gore Gandolfini blieb stehen.
Sie starrte ihn verzweifelt an. Ihr Blick flehte ihn an, es nicht zu tun, doch er hatte das Geld genommen und musste dafür seinen Job erledigen.
Mit granitharten Zügen holte er seine Waffe heraus und richtete sie ohne jede Gemütsregung auf die Frau...
Lee Cheadle war 19 und arbeitslos und unheimlich scharf auf die 17-jährige Geena Jackson. Das bildschöne Girl wuchs - zu seinem großen Bedauern - sehr behütet auf. Sie war zwar auch sehr verknallt in Lee, aber zum Liebe-Machen waren die beiden bisher noch nicht gekommen, weil sich einfach noch keine günstige Gelegenheit dazu geboten hatte.
Im Park, auf einer Bank, wo man jederzeit ertappt werden konnte, lehnte es Geena ab. Die Brooklyn Docks waren ihr nach Einbruch der Dunkelheit zu unheimlich. In ein Stundenhotel wagte sich Geena nicht. In ihrem eigenen Zimmer war es unmöglich, weil Mom und Dad so gut wie immer zu Hause waren. Und bei Lee daheim ging es schon gar nicht, weil sie zu sechst in einem Zimmmer-Küche-Loch hausten.
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