Dann kam über Funk die Meldung, die wir gefürchtet hatten.
"Wir haben ihn verloren!"
"Wo?", fragte ich.
"Ecke 117. Straße Ost/ Second Avenue. Vielleicht ist er auf der Hundertsechzehnten!"
"Sollte das der Fall sein, kommen wir ihm entgegen", sagte Milo.
Mit Blaulicht und Sirene raste unser Chzevy in den dichten Verkehr auf der 116. Straße Ost. Wagen fuhren zur Seite, wichen uns aus.
Die Leute waren ziemlich vernünftig.
Angestrengt glitt mein Blick über die Blechlawine.
Ein gelbes Taxi stach hervor.
Und dann sah ich es!
Es parkte am Straßenrand im Halteverbot.
Wir mussten auf die andere Straßenseite. Wagen stoppten. Es dauerte trotzdem etwas, bis wir mit dem Chevey die Fahrbahn gegen jede Fahrtrichtung überquert hatten.
Wir mussten uns vorsichtig hinübertasten, um keinen Massenunfall zu provozieren.
Endlich hatten wir es geschafft.
Ich sprang aus dem Wagen, noch ehe Milo den Chevy richtig gestoppt hatte. Mit der P226 in der Faust rannte ich auf den Wagen zu.
Das Innere des Taxis lag im Schatten.
Man konnte kaum sehen, was sich im Inneren abspielte.
Ich hielt meinen Ausweis hoch. "FBI! Gehen Sie zur Seite!", rief ich den Passanten zu, von denen einige stehenblieben und wie gebannt auf das Geschehen blickten.
Ich pirschte mich an das Taxi heran. Milo war mir gefolgt. Ich hatte mit halbem Ohr mitgekriegt, dass er unsere Leute verständigt hatte.
Ich sah den Taxi-Fahrer starr hinter dem Steuer sitzen.
Ich riss die Hintertür auf. Lopez war nicht mehr im Wagen.
Blutspuren befanden sich auf dem Sitz.
"Verdammt", sagte Milo und senkte die SIG. "Er hat den Taxi-Fahrer einfach erschossen..."
"Von hinten durch den Sitz", murmelte ich.
Ich atmete tief durch.
Lopez hatte seine Rücksichtslosigkeit unter Beweis gestellt. Er war äußerst gefährlich. Und in seinem gegenwärtigen Zustand war er bereit, buchstäblich über Leichen zu gehen. Er glaubte wohl, nichts mehr zu verlieren zu haben.
Mein Blick suchte den Boden ab.
Auf dem Asphalt entdeckte ich ein paar kleinere Blutspuren.
"Er kann nicht weit kommen", meinte Milo.
Ich blickte auf, sah zu dem Schild hin, das auf die Subway-Station 116.Straße/Lexington Avenue hinwies.
Milo und ich hatten denselben Gedanken und setzten zu seinem kleinen Spurt an.
Wir liefen die Stufen hinunter.
Währenddessen verständigte ich per Handy die Kollegen. Die Züge, die hier in den letzten Minuten gehalten hatten, mussten kontrolliert werden, bevor sie das nächste Mal anhielten.
Vielleicht war das schon zu spät.
Wir erreichten den Bahnsteig.
Es waren nur wenige Leute da.
Ein Obdachloser schleppte ein paar Plastiktüten daher.
Er sah mich an und ich fragte mich, ob ich ihm vielleicht schonmal begegnet war.
Während unserer Zeit bei den Tunnelmenschen.
Ich wusste es nicht mehr.
Sid und Brett hatten uns eine Reihe ihrer Freunde vorgestellt.
Überwachungskameras folgten jeder unserer Bewegungen.
Vielleicht konnte man später anhand der Bänder feststellen, ob Lopez hiergewesen war. Aber bis dahin war er über alle Berge.
Ich nahm nochmal das Handy und erkundigte mich nach dem neuesten Stand der Dinge. Die nächsten Subway-Stationen Richtung Süden lagen an der 110., der 103. und der 96. Straße. NYPD-Beamte hatten an den Ausgängen Kontrollen durchgeführt. Lopez war nicht unter den Passanten gewesen.
Und angesichts der Tatsache, da er mit seiner Verletzung alles andere als unauffällig war, konnte man es wohl ausschließen, dass er den Cops der City Police einfach durch die Lappen gegangen war.
In Richtung Norden und Westen waren die nächsten Stationen auch kontrolliert worden.
Keine Spur von Lopez.
Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Milo deutete in den finsteren Tunnel hinein, in dem sich die Schienenstränge verloren.
"Vielleicht ist er dort", meinte er. "Schließlich dürfte er sich inzwischen in diesem unterirdischen Labyrinth bestens auskennen..."
Mein Handy schrillte.
Clive Caravaggio war am Apparat.
"Hallo Jesse, wir haben hier etwas gefunden."
"Einen Arzt?"
"Unter den Telefonnummern war keiner. Aber wir haben bei Lopez' Unterlagen einige Arztrechnungen und Rezepte gefunden... Er geht offenbar regelmäßig zu verschiedenen Ärzten, leidet unter Bluthochdruck und häufigen Virusinfektionen."
"Ist unter seinen Ärzten ein Chirurg?", fragte ich.
"Dr. Jason Jameson, 70. Straße Ost, Hausnummer 1237."
"Ich wette, er ist auf dem Weg dorthin..."
"Ist doch irgendwie merkwürdig, Jesse... Lopez hat sich von einem Chirurgen Antibiotika und Grippemittel aufschreiben lassen."
"Vielleicht ein guter Bekannter von ihm", vermutete ich. "Jemand, mit dem er auch sonst zusammenarbeitet..."
Lopez taumelte in den Raum hinein. Er ließ sich in einen der weichen Sessel fallen und keuchte. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er presste die rechte gegen die Schulter. Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Seine Augen glänzten.
"Sind Sie wahnsinnig, Lopez?", fragte eine kalte, schneidende Stimme.
Sie gehörte einem grauhaarigen Mann mit spitzem Kinn und eisblauen Augen.
"Dr. Jameson...", keuchte Lopez. Seine Stimme klang entsetzlich schwach. "Ich brauche ihre Hilfe..."
"So sehen Sie aus, Lopez..."
"Mir steht das Wasser bis zum Hals."
"Ihre Wunde macht einen üblen Eindruck. Sie werden sich eine Infektion holen."
"Sie werden tun, was Sie können, um mich wieder auf die Beine zu kriegen..."
Jamesons Blick wirkte abweisend.
Er musterte Lopez.
"Was ist passiert?"
"Das FBI sitzt mir im Nacken. Und Sanders. Dieser Narr!"
"Wieso Sanders?"
"Er will, dass geliefert wird. Ohne Rücksicht auf Verluste. Er begreift einfach nicht, dass die Cops was gerochen haben..."
"Wie weit steht Ihnen das Wasser?"
"Die G-men haben auf mich vor meiner Wohnung gewartet. Ich konnte sie nur mit Mühe abhängen..."
"Sie und Ihre Leute waren immer die Männer fürs Grobe. Für die Drecksarbeit. Jetzt stecken Sie selbst im Dreck!"
"Reden Sie nicht so mit mir!", kreischte Lopez. "Sie haben Billy Estevez auch geholfen, als dieser G-man ihn angeschossen hat!"
"Sie sind wahnsinnig, hierher, in meine Privatwohnung zu kommen, Lopez. Damit bringen Sie mich in Gefahr. Es könnte Sie jemand gesehen haben. Früher oder später steht das FBI vor meiner Tür, weil Sie eine Spur direkt hier her gelegt haben..."
"Hören Sie..."
"Sie können nicht erwarten, dass mir das gefällt, Lopez!"
Lopez griff unter die Jacke, riss den 22er heraus. Seine Hand zitterte leicht, als er die kurzläufige Waffe in Jamesons Richtung hielt.
"Sie holen mir jetzt die Kugel aus dem Körper! Fangen Sie an!"
Ein dünnes, zynisches Lächeln erschien auf Jamesons Gesicht.
"Ich hatte immer gedacht, Sie wären ein Profi, Lopez. Aber offenbar sind Sie trotz des kleinen Vermögens, das Sie mit ihrer schmutzigen Arbeit inzwischen verdient haben dürften, immer noch der Straßenschläger, als der Sie mal angefangen haben. Ich habe Sie offenbar überschätzt..."
"Ich warne Sie, Jameson!"
Dr. Jameson deutete auf die Waffe. "Stecken Sie das Ding weg, Sie werden sich nur selbst verletzen. Ich werde tun, was ich kann. Haben Sie schon überlegt, wie Sie außer Landes kommen?"
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