Orry und Clive hatten ihre Durchsuchung von Craig Lopez' Wohnung abgeschlossen. Unter den Telefonnummern, die sie gefunden hatten, waren eine ganze Reihe, die alten Bekannten gehörten.
Bekannte, die seit der Schießerei vor dem BIG DEAL als Dossiers in den FBI-Archiven präsent waren.
Kriminelle, die nach dem Ende des Puertoricaner-Syndikats neue Auftraggeber gesucht - und leider auch gefunden hatten. Jetzt lief eine großangelegte Verhaftungs- und Durchsuchungswelle an.
Die Scientific Research Division hatte ja inzwischen an verschiedenen Tatorten eine große Menge an Spuren sichergestellt. Vorwiegend handelte es sich um Geschosse, aber wenn die passenden Waffen dazu gefunden wurden, brachte uns das ein Stück weiter.
Orry und Clive waren gerade auf dem Weg ins Hauptquartier, als sich Agent Carter aus dem Innendienst per Handy meldete.
"Was gibt es?", fragte Orry.
"Agent Galway ist es gelungen, den Hackerangriff auf unsere Computersysteme zurückzuverfolgen. Die haben den Fehler gemacht, es noch einmal zu versuchen... Der Telefonanschluss, über den der Angriff erfolgte gehört einem gewissen Kenneth Ross. Er ist in der Hacker-Szene bekannt. Bislang allerdings eher als Spaßmacher. Seine Spezialität war es, Viren in die Datenverbundsysteme von Banken und Versicherungen einzuschleusen..."
"Eine feine Art von Humor", kommentierte Orry.
"Ross wohnt in der Lower East Side, Ecke 8.Straße/Avenue D! Ihr seid am nächsten dran! Ihr müsst ihn sofort festsetzen, bevor er den Braten riecht und jemanden warnen kann."
"Wir sind schon da!"
Clive trat das Gaspedal des Fords voll durch, Orry setzte das Blaulicht aufs Dach.
In Rekordzeit erreichten die beiden die Lower East Side.
Schon in der Houston Street fuhren sie ohne Blaulicht weiter.
Schließlich sollte niemand vorzeitig gewarnt werden.
Wenig später parkte Clive den Ford in der 8.Straße.
Vor dem Haus an der Ecke stand weißer Mitsubishi.
Die Heckklappe stand hoch.
Ein schmächtiger Mann mit dicker Brille lud ein paar Pappkartons ein. Sie waren bis zum Rand gefüllt. Aus einem der Kartons ragte eine halbe Computer-Tastatur empor.
Orry und Clive stiegen aus.
"Da hat es einer ziemlich eilig!", stellte Clive fest. Orry nahm das Handy und rief nochmal im Hauptquartier an.
"Wie sieht Kenneth Ross aus?", erkundigte er sich bei Agent Carter.
Die Beschreibung passte.
"Das ist er", sagte er dann mit Bestimmtheit.
Vorsichtig näherten sich die beiden G-men dem Gesuchten.
Ross war beinahe fertig.
Er wollte die Heckklappe schließen, hatte aber die Kartons ungeschickt gepackt.
"FBI Special Agent Medina", stellte Orry sich vor, während er den Ausweis hochhielt und die Hand am Griff seiner SIG hatte.
Der Mann mit der dicke Brille zuckte zusammen. Orry schätzte ihn auf Ende zwanzig.
"Sie sind Mister Kenneth Ross?", fragte Clive Caravaggio.
"Was wollen Sie?", presste Ross hervor. Eine dunkle Röte überzog sein Gesicht. Er war nervös.
Orry fragte: "Wollen Sie verreisen?"
"Was geht Sie das an!"
"Sie sind verhaftet und haben von nun an das Recht zu schweigen... Sollten Sie auf diese Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen..."
"Schenken Sie sich Ihren Spruch!", zischte Ross. "Was soll das denn? Ich habe niemandem etwas getan."
"Sie stehen im Verdacht, in die Computer den FBI eingedrungen zu sein und sich illegal Daten beschafft zu haben. Sie hatten doch schonmal wegen ähnlicher Delikte Ärger..."
"Hören Sie, ich..."
"Außerdem ist da noch Beihilfe zum Mord in einigen Dutzend Fällen!"
Ross wurde bleich.
Widerstandslos ließ er sich die Handschellen anlegen.
"Ich habe damit nichts zu tun!", zeterte Kenneth Ross, als er von Agent Baker auf seine Verwicklung in die Mordserie unter den Tunnelmenschen angesprochen wurde.
Orry und Clive waren bei dem Verhör auch anwesend.
Sie hatten Ross ins Hauptquartier an der Federal Plaza gebracht. Um die EDV-Ausrüstung des Computer-Freaks kümmerten sich unsere Spezialisten eine Etage höher.
"Hören Sie, Sie sollten mit uns jetzt keine Spiele mehr spielen", sagte Baker ernst. "Wenn Sie an einen Deal mit der Staatsanwaltschaft auch nur denken wollen, dann packen Sie jetzt aus - und zwar komplett!"
Kenneth Ross atmete hörbar aus.
Sein Gesicht war aschfahl geworden.
"Ich gebe ja zu, dass ich mich in Ihre Rechner eingeklinkt habe..."
"Für wen arbeiten Sie? Vielleicht sind Sie ja wirklich nur ein harmloser Handlanger..."
"Ich kann es nicht sagen..."
"Natürlich können Sie!"
"Er wird mich umbringen..."
"Von wem sprechen Sie?"
Kenneth Ross machte eine Pause. Er blickte ins Nichts. Der Adamsapfel hüpfte auf und nieder, als er schluckte.
Dann flüsterte er: "Ich spreche von meinem Bruder. Michael Ross.Ich habe ihm einen Gefallen getan..."
"Sie haben sich nichts dabei gedacht, unsere Dienstpläne downzuloaden?"
"Michael hat mich gut dafür bezahlt. Und außerdem war es eine Art Sport..."
"Wo ist Ihr Bruder jetzt?"
"Ich habe keine Ahnung."
Dr. Jameson hatte Milo und mir die Pistolen abgenommen. Er hielt die beiden SIGs in der Hand und richtete sie auf uns.
"Und jetzt vorwärts!", zischte Ross. "Und versuchen Sie keine Tricks. Wir haben nichts mehr zu verlieren..."
"An Ihrer Stelle würde ich mir schonmal einen Anwalt suchen, der sich darauf spezialisiert hat, Todeskandidaten vor der Giftspritze zu bewahren...", meinte Milo.
Ross grinste.
"Zerbrechen Sie sich mal nicht unsere Köpfe, G-man!"
"Ich hoffe für Sie, dass Sie sich auch überlegt haben, wie es weitergehen soll..."
"Man muss auch improvisieren können..."
Ich fühlte Ross' Waffe hart im Rücken. Er nahm mir die Handschellen ab, die zu meiner Ausrüstung gehörten. Einen Augenblick später steckten meine Hände darin. Milo erging es nicht besser.
Mit auf den Rücken gebundenen Händen waren unsere Chancen, der Gewalt der beiden zu entkommen, beträchtlich gesunken.
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