»Ich sag dir was, das mit dem Bad Boy-Image wird eine harte Nuss. Müsstest du nicht eher drohen, mich zusammenzuschlagen, wenn ich nicht mitmache?«
»So ein Quatsch! Wir zwei müssen doch zusammenhalten! Komm, setzen wir uns auf den Balkon und bechern uns mit dem italienischen Rotwein voll, den ich letztens gekauft habe.«
»Einverstanden.«
Als sie mit den eleganten Gläsern und der Flasche hinaustraten, bereute es Oliver sofort. Am Nachbarbalkon saßen die zwei Mädels, von denen Mario gesprochen hatte. Augenblicklich versuchte er, eine möglichst arrogante Miene aufzusetzen, nickte kühl hinüber und drehte ihnen dann den Rücken zu. Trotzdem hatte ein Blick auf die Brünette gereicht, um ihm Herzklopfen zu verursachen. Sie war genau sein Typ, sofern er überhaupt einen hatte: Die Haare trug sie lang und mit einem Pony und auf ihrer süßen Stupsnase prangten Sommersprossen, so viel hatte er erkennen können. Mario setzte sich ihm gegenüber und wandte den Frauen dadurch das Gesicht zu. Er lächelte und prostete ihnen zu. Olivers Laune wurde schlagartig noch schlechter. Was für eine bescheuerte Idee hatte er da gehabt! Viel lieber würde er sich mit seinen Nachbarinnen unterhalten. Sie schienen nett zu sein, nach den leisen Gesprächsfetzen zu schließen, die er auffing. Ein melodiöses Lachen erklang und er fragte sich, welche von den beiden es ausgestoßen hatte. Er stürzte den Wein in seine Kehle, was bei dem edlen Tropfen eigentlich eine absolute Verschwendung war und in Anbetracht seines ansonsten leeren Magens auch keine allzu gute Idee. Anja fiel ihm wieder ein. Im Grunde hatte es mit ihnen ohnehin nicht gepasst und in letzter Zeit nur noch genervt. Er merkte verwundert, dass es ihn eigentlich erleichterte, dass es vorbei war. Doch die Art, wie sie ihn abserviert hatte, und dass sie sich ausgerechnet mit seinem Halbbruder eingelassen hatte, der ihn von Kindheit an nur getriezt hatte, machte ihn wütend. Warum passierte ausgerechnet ihm so etwas immer? Das musste ein Ende haben!
»Das ist doch alles Scheiße«, zischte er seinem Freund zu. »Höchste Zeit, dass wir was ändern!«
Mario nickte beruhigend. »Das haben wir ja vorhin schon beschlossen. Hast du ein bestimmtes Fitnessstudio im Auge? Da war doch letztens ein Werbeflyer in der Post ... Ein Freunde-Abo zum halben Preis oder so. Ich schau mal, ob ich den noch finde!«
Während er im Wohnzimmer den Zeitungsstapel durchsuchte, goss Oliver die Gläser erneut voll, obwohl er jetzt schon wusste, dass er es bereuen würde. Mit schwerem Kopf überlegte er, was sie noch an Essbarem im Kühlschrank hatten. Der Räucherspeck fiel ihm ein, den ihnen die freundliche alte Dame aus dem vierten Stock als Dankeschön für ihre Hilfe mitgegeben hatte.
»Hast du auch Appetit auf Speck und Zwiebel?«, fragte er Mario, als der mit dem Flyer winkend zurückkehrte.
»Hey, ja, gute Idee. Mir steigt der Wein ohnehin schon in die Birne. Bring alles raus, wir schneiden es hier auf.«
Oliver lief das Wasser im Mund zusammen, als er eine Zwiebel schälte und mit Speck und Brot auf einem großen Brett hinaustrug.
»Es hat seine Vorteile, Single zu sein«, stellte er grinsend fest, als er sich wenig später die Zwiebelringe auf sein Speckbrot häufte.
Mario hob zustimmend den Daumen. »Genau! Niemand da, der meckert, wenn man aus dem Mund riecht.« Mit Genuss nahm auch er einen kräftigen Bissen.
Kapitel 3
Auf dem Nachbarbalkon hob Sonja schnuppernd die Nase. »Mensch, das riecht aber lecker«, flüsterte sie ihrer Freundin zu. »Da bekomme ich auch gleich Hunger.«
Carolin lachte. »Sag bloß, du willst auch Speck mit Zwiebeln essen.«
»Warum nicht? Du weißt genau, dass es bei uns nicht nur Kaviar und Champagner gibt!« Sonja mochte weder das eine noch das andere, auch wenn es hin und wieder auf Empfängen, die ihre Eltern gaben, gereicht wurde.
»Ja, klar. Ich hab noch Räucherspeck und Jausenwürstel von meinem Onkel Roman. Du weißt schon, der mit dem Bauernhof.«
»Oh, super! Gibt es vielleicht auch ein Bier dazu?«
Wieder musste Carolin lachen. »Ich hab mich extra für dich damit eingedeckt.«
Wenig später saßen auch die Mädels bei ihrem rustikalen Abendessen. »Wenn man dich so sieht, zartes Elfchen, das du bist, würde man nie vermuten, dass du Bier, Speck und Pizza liebst.«
»Urteile nie nach dem Äußeren«, stellte Sonja vergnügt und mit vollem Mund fest. »Ich bin sehr froh, dass du trotz deines Jobs nicht zur Veganerin geworden bist. Dann wäre das Schlemmen mit dir nur noch halb so lustig.«
»Deshalb achte ich wenigstens darauf, dass ich viele Lebensmittel direkt von vertrauenswürdigen Bauern kaufen kann. Wenn schon Fleisch essen, dann von Tieren, die artgerecht gehalten und human geschlachtet wurden.« Carolin fiel auf, dass der junge Mann vom Nebenbalkon ihrem Gespräch offenbar interessiert lauschte. Die Abendsonne brachte sein rötliches Haar zum Leuchten. Sie sandte ihm ein leichtes Lächeln, bevor sie sich wieder ihrer Freundin zuwandte. »Was war denn noch mit Chris? Hat Tom was gesagt?« Sie hatte ihn den restlichen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen.
»Er hat ihn rausgeschmissen, als er sich an das nächste Mädchen herangemacht hat. Obwohl Emmi gar nicht abgeneigt war.« Sonja zog die Augenbrauen vielsagend hoch. »Sie ist mit ihm abgehauen. Bin gespannt, wie lange es dauert, bis sie kommt, um sich bei mir auszuheulen.«
Carolin schüttelte den Kopf. »So ein Arsch. Aber solange er damit Erfolg hat, wird er sich nicht ändern.«
»Wozu auch? Er kriegt ja, was er will.«
»Wann kommen deine Eltern wieder?«, erkundigte sich Caro dann.
»In drei Tagen. Bis dahin müssen die letzten Spuren beseitigt sein. Tom hat versprochen, sich um den Teppich im Wohnzimmer zu kümmern, der einige Flecken abbekommen hat. Da wird er wohl eine Spezialreinigung beauftragen müssen. Mama kriegt die Krise, wenn nicht alles picobello ist.«
»Dabei putzt sie ohnehin nicht selbst«, rutschte es Carolin heraus. Der Lebensstil in Sonjas Elternhaus war ihr noch immer suspekt, obwohl sie bereits seit vier Jahren eng befreundet waren.
»Stimmt. Aber sie ist extrem pingelig. Vielleicht bin ich deshalb so eine Chaotin? Als Gegengewicht?«
»Na klar, reine Rebellion«, gab ihr Caro grinsend recht.
»Weißt du eigentlich, dass ich dich um deine Freiheit beneide?« Die Blondine wischte sich mangels einer Serviette die Finger an einem Blatt Küchenrolle ab und lehnte sich zurück. »Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich muss daheim nach Mamas Pfeife tanzen und im Job hat Papa das Sagen.«
»Dafür hast du keine Geldsorgen.«
Im selben Moment fiel Carolin ein, dass sie noch Wäsche waschen musste. Für die Anschaffung einer eigenen Waschmaschine hatte das Geld noch nicht gereicht, also ging sie mit ihrer Schmutzwäsche zu ihrer Oma.
»Sag doch, wenn du was brauchst. Ich geb es dir gerne, das weißt du! Geborgt, geschenkt, was auch immer.«
Carolin nickte, aber sie war sicher, bevor sie Geld von ihrer Freundin annähme, müsste sie schon gewaltig in der Klemme sitzen. Das Monatsende nahte und dann kam auch wieder Geld auf ihr Konto.
»In knapp zwei Monaten geht meine Kollegin in Mutterschutz. Dann kann ich ihre Stunden übernehmen und habe endlich meine Vollanstellung.«
»So bald ist das schon? Sehr gut! Machst du das Hunde-Sitting zusätzlich weiter?«
»Wenn es sich zeitlich vereinbaren lässt, dann schon. Die Besitzer verlassen sich ja auf mich. Ich muss eben in der Mittagspause mit den Wuffis spazieren gehen.«
Sonja schüttelte leicht den Kopf und griff dann nach ihrer Bierflasche. »Oh, schon leer.«
»Willst du noch eines?«
»Nein, danke, sonst werde ich noch wegen Trunkenheit auf dem Fahrrad aufgehalten«, wehrte sie lachend ab. »Wie gut, dass Mama nicht da ist. Wenn sie gesehen hätte, dass ich mich in dieser alten Jeans auf das Rad geschwungen habe! Ginge es nach ihr, dürfte ich nur top gestylt und aufgemöbelt aus dem Haus und mit meinem Smart herumdüsen. Da fällt mir ein, ich muss dann ohnehin los. Ich hab noch einen Termin.«
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