Jesus Christus
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Jens Schröter
Jesus Christus
Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
|1|Einführung
Jens Schröter
Der vorliegende Band nimmt bereits in seinem Titel »Jesus Christus« das Grundbekenntnis des christlichen Glaubens und das Zentrum christlicher Theologie auf: »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzform des Bekenntnisses »Jesus ist der Christus«, aramäisch: »der Messias«, deutsch: »der Gesalbte«. Dieses Grundbekenntnis wird in den einzelnen Disziplinen der christlichen Theologie mit je eigenem Schwerpunkt entfaltet: Die Wissenschaft vom Neuen Testament befasst sich mit denjenigen Schriften, die das Bekenntnis zu Jesus von Nazareth als der letztgültigen Offenbarung des Gottes Israels bezeugen. Die im – erst christlich so genannten – »Alten Testament« versammelten israelitisch-jüdischen Schriften gewinnen angesichts dieses Bekenntnisses eine neue Bedeutung. Die alttestamentliche Wissenschaft als Teil der christlichen Theologie lenkt hierauf ihr Augenmerk. Die Kirchengeschichte lässt sich als Nachvollzug eben jenes Bekenntnisses in Theologie und Frömmigkeit des Christentums auffassen. Die Systematische Theologie kann als Durchdringung dieses Bekenntnisses mit Hilfe philosophischer Begrifflichkeit – etwa in der Christologie und der Trinitätslehre – sowie als hermeneutische Reflexion des Zusammenhangs von einmaligem historischem Ereignis (nämlich von Wirken und Geschick Jesu von Nazareth) und seiner für das Heil jedes Menschen grundlegenden Bedeutung beschrieben werden. Die Praktische Theologie befasst sich damit, wie dieses Bekenntnis in kirchlichen Vollzügen – in der Predigt, der Seelsorge, im diakonischen Handeln – sowie in der Bildung, vor allem im Religionsunterricht, unter den je aktuellen Bedingungen zur Geltung zu bringen ist. Die Religionswissenschaft bzw. die Interkulturelle Theologie schließlich betrachtet das Bekenntnis zu Jesus Christus im Horizont anderer religiöser |2|Überzeugungen und fragt nach deren Verhältnis zur Bedeutung Jesu innerhalb des Christentums.
Was hat es mit dem Bekenntnis »Jesus (ist der) Christus« auf sich? Grundlegend lässt sich formulieren: In dieser Aussage verdichtet sich die Überzeugung, dass in dem Menschen Jesus von Nazareth die heilvolle Nähe und rettende Kraft Gottes endgültig und unüberbietbar Gestalt gewonnen hat. An diese Bestimmung knüpft sich jedoch sofort eine Reihe von Fragen, denen sich die christliche Theologie zu stellen hat: Wer war bzw. ist dieser Jesus von Nazareth? Was macht ihn so einzigartig, dass die Überzeugung, es handle sich nicht um einen gewöhnlichen Menschen, sondern um denjenigen, der als Repräsentant Gottes auf der Erde gewirkt hat, plausibel erscheinen kann? Handelt es sich dabei lediglich um eine kühne Behauptung, die seine ersten Anhänger – aus welchem Grund auch immer – in die Welt gesetzt haben, oder lassen sich Gründe benennen, die diese Überzeugung glaubhaft machen und sie auch für spätere Zeiten und Menschen, die Jesus nicht unmittelbar begegnet sind, bedeutsam werden lassen? Liegen diese Gründe im Wirken und der Lehre Jesu von Nazareth selbst, so dass dessen Inhalte und historische Umstände möglichst genau zu erforschen wären? Oder beruht das Bekenntnis zu ihm in erster Linie auf Vorstellungen seiner frühen Anhänger, die ihre Erwartungen und Hoffnungen nachträglich auf seine Person projiziert haben? Wie verhalten sich also der »historische Jesus« und der »geglaubte Christus« zueinander?
Zu bedenken ist weiter das Verhältnis des Glaubens an Jesus Christus zu den Schriften Israels und des Judentums. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus selbst galiläischer Jude war, der fest im Glauben an den Gott Israels stand, in der Tora, der Weisung Gottes für sein Volk, unterwiesen war und sich mit seiner Botschaft an sein Volk Israel gesandt wusste. Was aber bedeutet dies für die verbindlichen Schriften Israels, für das Gesetz, für die Erwählung des Volkes? Bestand dies alles unverändert weiter oder musste es angesichts des Auftretens Jesu grundlegend neu durchdacht werden? Sind die Schriften und Traditionen Israels angesichts des Bekenntnisses zu Jesus Christus überhaupt noch verbindlich oder treten die Schriften des Neuen Testaments an deren Stelle |3|und machen sie fortan für die Christen überflüssig oder zumindest zweitrangig?
Das Bekenntnis zu Jesus Christus hat demnach nicht zuletzt auch Konsequenzen für den Glauben an den Gott Israels. Glauben Juden und Christen an denselben Gott – nur eben mit dem Unterschied, dass sich Christen außerdem noch zu Jesus Christus bekennen? Oder verändert der Glaube an Jesus Christus auch den Glauben an den Gott Israels in grundlegender Weise? Christen wie Juden sind davon überzeugt, dass der Gottes Israels der einzige Gott ist, Schöpfer des Himmels und der Erde. Wird dieses Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes nicht durch dasjenige zu Jesus Christus verletzt? In welchem Verhältnis steht schließlich dieses Bekenntnis zu denjenigen anderer Religionen? Gibt es zwischen der christlichen und der muslimischen Sicht auf die Bedeutung Jesu Konvergenzen oder bestehen hier unüberbrückbare Widersprüche?
Was folgt schließlich aus dem Bekenntnis zu Jesus Christus für die Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens? Gibt es ein spezifisches Ethos und verbindliche Lebensregeln für die an Jesus Christus Glaubenden? Können Weg und Lehre Jesu als Grundlage einer Ethik der christlichen Kirche dienen oder gehören sie in eine spezifische historische Situation, aus der sich keine unmittelbaren Konsequenzen für das christliche Leben späterer Zeiten herleiten lassen? Was aber könnte dann als Maßstab christlichen Lebens dienen?
Überblickt man dieses Spektrum von Fragen, kann kein Zweifel daran bestehen: Bei der Entstehung und Bedeutung des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus geht es um die grundlegenden Inhalte des christlichen Glaubens, um die Gestaltung des Lebens in den christlichen Kirchen, und darum, was das christliche Bekenntnis von anderen Bekenntnissen und Überzeugungen unterscheidet. Das wird in den Beiträgen des vorliegenden Bandes, die das christliche Grundbekenntnis aus Sicht der verschiedenen theologischen Disziplinen in den Blick nehmen, auf je eigene Weise deutlich.
Markus Witte beleuchtet in seinem Beitrag die Bedeutung des Alten Testaments für das Bekenntnis zu Jesus Christus. Er setzt dazu nicht bei den sogenannten »messianischen Weissagungen« an – also denjenigen Texten aus den Schriften Israels, die bereits im |4|frühen Christentum als Vorausverweise auf Jesus Christus gedeutet wurden –, aber auch nicht bei anderweitigen Rekursen auf das Alte Testament im Neuen. Statt dieses oft beschrittenen Weges zeichnet sein Artikel vielmehr Grundstrukturen alttestamentlicher Rede von Gott als einen Rahmen nach, den das Urchristentum auf eigene Weise gefüllt hat. Grundlegend dafür seien zum einen die »Namen Gottes« – etwa Herr, König, Hirte, Herrscher –, die auf je eigene Weise für das Reden von Jesus Christus fruchtbar gemacht wurden. Zum anderen lasse sich in den großen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments – den Schöpfungstexten, der Vätergeschichte, der Exodus- und Sinaiüberlieferung, den Heiligkeitsvorstellungen, der Geschichtstheologie sowie den Weisheitstexten – ein Gottes-, Welt- und Menschenverständnis erkennen, das im Urchristentum im Horizont des Glaubens an Jesus Christus aufgegriffen und fortgeschrieben wurde. Die zentralen Traditionsbereiche und Überlieferungsstränge Israels und des Judentums erweisen sich damit als offen für eine Rezeption im Horizont des Glaubens an Jesus Christus. Der Beitrag zeigt eindrücklich, dass die entsprechenden Traditionen und Überlieferungen dadurch nicht nur in ein neues Licht rücken, sondern selbst wichtige Potentiale für eine christliche Theologie des Alten Testaments in sich bergen. Jesus Christus erscheint auf diese Weise als »die entscheidende Verbindung zwischen beiden Testamenten«.
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