Ich habe nochmals darüber nachgedacht und festgestellt, daß ich im Verlaufe meiner Auseinandersetzung mit der Literatur oft Gedanken anderen zugeschrieben hatte, zu deren Suche jene mich angeregt hatten; und in vielen anderen Fällen war ich der Meinung, ein bestimmter Gedanke stamme von mir, während ich doch beim Nachsehen in einem Buch, das ich viele Jahre vorher gelesen hatte, feststellte, daß der Gedanke, oder jedenfalls sein Kern, von einem anderen Autor stammte. Eine (nicht bestehende) Schuld, die ich dem Vallet gegenüber zu haben glaubte, machte mir klar, wie viele Schulden ich zu bezahlen versäumt hatte …
Ich glaube, daß der Sinn dieser Geschichte, die durchaus zu den anderen Ausführungen meines Buches paßt, darin liegt, daß das Abenteuer Forschung geheimnisvoll und begeisternd ist und viele Überraschungen bereithält. Bei ihm geht es nicht um eine Einzelperson, sondern um eine ganze Kultur, und manchmal machen sich Gedanken von allein auf den Weg, wandern, verschwinden, erscheinen wieder, und es geht ihnen wie manchen Witzen: sie werden mit jedem Erzählen besser.
Ich habe darum beschlossen, dem Abbé Vallet meine Dankbarkeit zu bewahren, und zwar gerade deswegen, weil [xiii] er wirklich ein Wunderspender war. Darum habe ich ihn – der eine oder andere Leser hat es vielleicht bemerkt – als Hauptperson in meinem Roman ›Der Name der Rose‹ eingeführt und ihn in der zweiten Zeile der Einleitung erwähnt, diesmal wirklich als eine Person, die etwas gibt, voller Geheimnisse und Rätsel, ein verlorenes Manuskript nämlich, und als das Symbol einer Bibliothek, in der die Bücher miteinander sprechen.
Ich weiß nicht, was aus dieser Geschichte alles zu folgern ist, aber eines weiß ich, und das ist sehr schön. Ich wünsche den Lesern, sie mögen im Laufe ihres Lebens viele Abbé Vallets finden, und ich wünsche mir selbst, für jemand anders der Abbé Vallet zu werden.
Mailand, Februar 1985«
In meiner Einleitung hatte ich davon gesprochen, daß das Buch einen Blick in die Werkstatt Ecos gestatte. Ein weiteres Fenster zu dieser Werkstatt hat sich aufgetan.
[xiv] Vorwort zur 6. Auflage
Kaum ein Jahr nach der fünften Auflage ist eine weitere Neuauflage des Buches von Umberto Eco erforderlich. Das zeigt, daß sich weiterhin viele Studenten (und vielleicht nicht nur solche) den Ratschlägen des Buches anvertrauen. Dies wird wohl damit zusammenhängen, daß im Mittelpunkt der Ausführungen die Sache »Wissenschaftliches Arbeiten« steht, daß sie zeigen, wie wissenschaftliches Arbeiten (bei aller Mühe) auch Spaß machen kann und daß sie ein wichtiges Stück Bildung vermitteln. Es ist zu hoffen, daß das Buch weiterhin vielen eine Hilfe sein kann. Für die Neuauflage wurde der deutsche Text ganz durchgesehen. Dabei konnten auch Anregungen aus dem Benutzerkreis berücksichtigt werden.
Vorworte des Übersetzers
Nachtrag zur 2. Auflage
Vorwort zur 6. Auflage
Einleitung
I. Was ist eine wissenschaftliche Abschlußarbeit und wozu dient sie?
I.1. Warum muß man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreiben und was ist sie?
I.2. Für wen dieses Buch von Interesse ist
I.3. Was eine Abschlußarbeit auch nach dem Universitätsabschluß nützt
I.4. Vier Faustregeln
II. Die Wahl des Themas
II.1. Monographische oder Übersichtsarbeit?
II.2. Geschichtliche oder theoretische Arbeit?
II.3. Historische Themen oder aktuelle Themen?
II.4. Wieviel Zeit braucht man, um eine Abschlußarbeit zu schreiben?
II.5. Muß man Fremdsprachen können?
II.6. »Wissenschaftliche« oder »politische« Arbeit?
II.6.1. Was ist Wissenschaftlichkeit?
II.6.2. Historisch-theoretische Themen oder »lebendige« Erfahrungen?
[xvi]
II.6.3. Wie man einen aktuellen Gegenstand zu einem wissenschaftlichen Thema macht
II.7. Wie man verhindert, daß man vom Betreuer ausgenutzt wird
III. Die Materialsuche
III.1. Die Zugänglichkeit der Quellen
III.1.1. Was sind Quellen einer wissenschaftlichen Arbeit?
III.1.2. Quellen erster und zweiter Hand
III.2. Die Literatursuche
III.2.1. Wie man eine Bibliothek benützt
III.2.2. Wie man die Bibliographie anpackt: die Kartei
III.2.3. Das bibliographische Zitat
III.2.4. Die Bibliothek von Alessandria: Ein Experiment
III.2.5. Aber muß man denn immer Bücher lesen? Und in welcher Reihenfolge?
IV. Der Arbeitsplan und die Anlage der Kartei
IV.1. Das Inhaltsverzeichnis als Arbeitshypothese
IV.2. Karteikarten und Notizen
IV.2.1. Die verschiedenen Arten von Karteikarten und wozu sie dienen
IV.2.2. Das »Verzetteln« der Primärquellen
IV.2.3. Die Lektüre-Karten
IV.2.4. Die wissenschaftliche Bescheidenheit
V. Das Schreiben
V.1. An wen man sich wendet
V.2. Wie man sich ausdrückt
V.3. Die Zitate
V.3.1. Wann und wie man zitiert: zehn Regeln
V.3.2. Zitat, sinngemäße Wiedergabe, Plagiat
V.4. Die Fußnoten
[xvii]
V.4.1. Welchen Zweck die Fußnoten haben
V.4.2. Die Zitierweise Zitat – Fußnote
V.4.3. Das System Autor – Jahr
V.5. Hinweise, Fallen, Gebräuche
V.6. Der wissenschaftliche Stolz
VI. Die Schlußredaktion
VII. Abschließende Bemerkungen
Anmerkungen
1. Früher war die Universität nur für eine Elite da. Es besuchten sie nur die Kinder von Leuten, die selber studiert hatten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnte jeder, der studierte, über seine Zeit frei verfügen. Die Universitätsausbildung war so angelegt, daß man sie in Ruhe absolvieren konnte – mit ein wenig Zeit zum Studieren und ein wenig für die »gesunden« Ablenkungen des Studentenlebens, vielleicht auch für Aktivitäten in Vertretungsorganen.
Die Vorlesungen waren anspruchsvolle Vorträge. Waren sie absolviert, so zogen sich die interessierten Studenten mit Professoren und Assistenten in ausgedehnte Seminare zurück, zehn bis fünfzehn Personen höchstens.
Noch heute nehmen an vielen amerikanischen Universitäten nicht mehr als zehn oder zwanzig Studenten an den Veranstaltungen teil (sie zahlen einen üppigen Preis und haben darum das Recht, den Unterrichtenden zu »gebrauchen«, wenn sie mit ihm diskutieren wollen). An einer Universität wie Oxford kümmert sich ein Dozent, Tutor genannt, um die Forschungsarbeit einer ganz kleinen Gruppe von Studenten (es kann vorkommen, daß er nur einen oder zwei im Jahr betreut) und verfolgt ihre Arbeit Tag für Tag.
Wäre die Lage heute so, es wäre nicht nötig, dieses Buch zu schreiben – auch wenn einige der in ihm enthaltenen Ratschläge für den oben beschriebenen »idealen« Studenten nützlich sein könnten.
Aber die Universität von heute ist eine Massenuniversität. An ihr studieren Studenten aller Bevölkerungsgruppen, mit Abschlüssen der verschiedensten Art höherer Schulen. Sie wollen [2] vielleicht Philosophie oder klassische Literatur studieren, kommen aber von einer technischen Fachschule, wo sie kein Griechisch und vielleicht nicht einmal Latein gelernt haben. Und so richtig es sein mag, daß Latein für viele Tätigkeiten kaum gebraucht wird – für ein geisteswissenschaftliches Studium ist es sehr nützlich.
In manchen Lehrveranstaltungen sind Tausende eingeschrieben. Der Professor kennt vielleicht dreißig von ihnen, die interessiert mitarbeiten, mehr oder weniger gut. Mit Hilfe seiner Mitarbeiter (Stipendiaten, Zeitangestellten, Übungsassistenten) gelingt es ihm vielleicht, hundert zu einem gewissen Engagement zu bewegen. Unter ihnen sind viele, die in guten Verhältnissen leben, in einer gebildeten Familie aufgewachsen sind, mit einer kulturell lebendigen Umgebung Kontakt haben, sich Bildungsreisen leisten können, künstlerische Veranstaltungen und Theaterfestspiele besuchen, fremde Länder besuchen. Dann sind da noch die anderen Studenten, die vielleicht gleichzeitig einer Arbeit nachgehen, die auf dem Einwohnermeldeamt einer Stadt mit zehntausend Einwohnern arbeiten, in der es statt einer Buchhandlung nur Schreibwarengeschäfte gibt, die auch Bücher führen. Studenten, die, enttäuscht von der Universität, sich der Politik zugewandt haben und sich auf andere Weise ausbilden wollen, die sich aber dennoch früher oder später der Abschlußarbeit stellen müssen. Sehr arme Studenten, die sich ihre Examensfächer nach dem Preis der vorgeschriebenen Bücher und Unterlagen auswählen müssen und die sagen: dieses Examen kostet 12.000 Lire und die, wenn sie die Wahl haben, das billigere Examen wählen. Studenten, die manchmal zur Vorlesung kommen und sich abmühen müssen, im total überfüllten Hörsaal einen Platz zu finden; und die am Ende der Vorlesung gerne mit dem Dozenten sprechen würden, aber es warten schon dreißig, und sie müssen auf den Zug, weil das Geld für eine Übernachtung nicht reicht. Studenten, denen kein Mensch je erklärt hat, wie man ein Buch in der Bibliothek sucht und in welcher Bibliothek; oft wissen sie nicht, daß sie [3] Bücher auch in der Bibliothek ihrer Heimatstadt finden können und wie man einen Leihschein ausfüllt.
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