UTB 8712
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Christina von Braun, Micha Brumlik (Hg.)
Handbuch Jüdische Studien
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN · 2018
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Irene Bollag-Herzheimer, Basel, sowie des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (ZJS).
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über https://portal.dnb.deabrufbar.
Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.
Umschlagmotiv: El Lissitzky, „Und dann kam das Feuer und verbrannte den Stock“,
entnommen aus: Jüdischer Kulturbund Kiew, 1919; Farblithographie auf Papier,
The Jewish Museum New York, USA. Foto John Parnell.
© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar
Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.comAlle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.
Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Lektorat: Adina Stern
Korrektorat: Ulrike Weingärtner, Gründau
Satz: büro mn, Bielefeld
EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim
UTB-Band-Nr. 8712 | ISBN 978-3-8252-8712-2 | eISBN 978-3-8463-8712-2
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Grundsatzfragen
Die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft
Christina von Braun
Gab es in der griechisch-römischen Epoche ein „Judentum“?
Daniel Boyarin
Die rabbinische Literatur
Elisa Klapheck
Diaspora
Liliana Ruth Feierstein
Sephardim und Aschkenasim
Sina Rauschenbach
Das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, zueinander. Ein historisch systematischer Querschnitt
Joachim Valentin
2. Theologie
Oralität und Literalität. Mündliche Überlieferung und ihre Verschriftung
Stefan Schreiner
Ritual
Charlotte Elisheva Fonrobert
Jüdische Mystik
Karl E. Grözinger
Memorialkulturen („Gedächtnis und Erinnerung“)
Rainer Kampling
Das jüdische Recht
Walter Homolka
Ökonomie
Nathan Lee Kaplan
Männlichkeit, Weiblichkeit, Körperlichkeit und Sexualität im Judentum
Tamara Or
Religiöse Strömungen im Judentum
Michael A. Meyer
3. Kultur/Moderne
Aufklärung
Julius H. Schoeps
Die „Wissenschaft des Judentums“ (WdJ)
Norbert Waszek
Jüdische Philosophie
Christoph Schulte
Jüdisches Gesetz und Staatsbürgerrecht im Übergang zur Moderne
Werner Treß
Jüdische Bildung und Erziehung
Micha Brumlik
Antijudaismus/Antisemitismus
Stefanie Schüler-Springorum
Zionismus/Antizionismus/Postzionismus
Micha Brumlik
Literatur
Irmela von der Lühe
Die bildenden Künste
Inka Bertz
Film
Gertrud Koch
Jüdisches Leben im Film
Werner Schneider-Quindeau
Jüdische Musik
Jascha Nemtsov
Glossar
Abkürzungen
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Literaturverzeichnis
Studien-, Lehr- und Forschungsbereiche
Personenregister
Einleitung
Die „Jüdischen Studien“ – ein Begriff, der in Analogie zu den Jewish Studies des anglophonen Raums entstand – umfassen die Gesamtheit aller Lehrfächer und Forschungsprojekte, die für die Erforschung der jüdischen Geschichte, Philosophie und Religion von Bedeutung sind. Sie beinhalten mithin auch Fragen des Antijudaismus, der Nichtjuden betrifft, aber die jüdische Geschichte immer wieder und tiefgehend geprägt hat. Zu den Jüdischen Studien gehören auch Gebiete wie Memorialkultur, Recht, Ökonomie und Geschlechterrollen, die allesamt in den jüdischen Traditionen spezifische Ausprägungen erfuhren. Auch das Verhältnis von Schrift und Oralität ist Teil dieses Forschungsfelds. Die gesprochene und die geschriebene Sprache hatten einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung der jüdischen Religion und Kultur. Weil zu den Jüdischen Studien auch viele „säkulare“ Gebiete gehören – wie etwa Philosophie und Literatur, Zionismus und Diaspora – haben sie sich neben der traditionellen Judaistik etabliert, die, wenn nicht ausschließlich, so doch weitgehend, von den Fragen der Religion bestimmt ist. Die Jüdischen Studien bilden gewissermaßen das Ende einer historischen Entwicklung, die mit der Haskala, der jüdischen Aufklärung, begann, sich über die – vor allem in Berlin und Breslau entwickelte – „Wissenschaft des Judentums“ fortsetzte, bevor der Nationalsozialismus dieser religiösen wie auch bekenntnisneutralen Tradition „des Jüdischen“ ein brutales Ende setzte. Die Flucht vieler deutscher intellektueller Jüdinnen und Juden in die USA, nach Palästina oder nach Lateinamerika führte in diesen Regionen zur Weiterentwicklung dieses Gedankenguts des deutschen Judentums und trug in einigen Ländern schließlich zur Entstehung der Jewish Studies bei. Die sich seit ca. 1980 allmählich auch im deutschsprachigen Raum etablierenden Jüdischen Studien stellen einen Re-Import dieses aus Deutschland und Europa vertriebenen Gedankenguts dar.
Allerdings lässt sich im Land der Täter das Wort „jüdisch“ kaum ohne den Begriff der „Shoah“ denken. Insofern eignet den Jüdischen Studien des deutschen Sprachraums eine Dimension, die auch die Reflexion über die nichtjüdische deutsche Geschichte voraussetzt – mit einem Rückblick nicht nur in die nationalsozialistische, sondern auch die davorliegende Vergangenheit. Die „Wissenschaft des Judentums“ etablierte sich in einem historischen Zeitalter, in dem an den deutschen Universitäten das Fach Geschichte seinen Einzug hielt – mit dem impliziten und oft auch expliziten „Auftrag“, ein Bewusstsein und die psychologische Basis für die „deutsche Nation“ zu schaffen. In Deutschland entwickelte sich der Nationalgedanke zunächst in akademischen Kreisen, bevor er auch bei anderen Bevölkerungsschichten Fuß fasste. Eines der Mittel, dem Nationalismus breite Zustimmung zu verschaffen, bestand darin, das „Jüdische“ zu einem Synonym für „undeutsch“ zu erklären. Gleichzeitig verlangte die Aufklärung nach Rationalität und nach neuen Kriterien der „Wissenschaftlichkeit“ in der akademischen Forschung und Lehre. Die Entstehung der „Wissenschaft des Judentums“ entsprach dem Versuch, sowohl dem Anspruch an Vernunft und Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden als auch einen Rahmen zu entwickeln, der die Bewahrung jüdischer Traditionen innerhalb eines neuen antijüdischen Nationalismus zuließ. Die modernen Jüdischen Studien versuchen, an diese Tradition anzuschließen, doch angesichts des Zivilisationsbruchs durch die Shoah kann nur von einem Versuch die Rede sein. Vor allem aber werden sie – anders als ein Teil der Jewish Studies des anglophonen Raums – notwendigerweise immer die nichtjüdische Geschichte explizit oder implizit mitreflektieren.
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