Noah lächelte, zog aber die Augenbrauen zusammen. „Was weißt du über Rockmusik.“
„Gar nichts“, gab ich offen zu und zuckte mit den Schultern. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Rockmusik.
Micah sah mich skeptisch an. „Wenn ich Ihnen also sagen würde, dass Sie die persönliche Assistentin von Left Turn …“
Oh wie cool, eine Position als Assistentin. Das war gar nicht schlimm. Mein Magen entspannte sich bei dieser Information. Das konnte ich. Meiner Nanna zu helfen, hatte mich zu einer Expertin im Assistieren gemacht. Das war perfekt. Ich blinzelte erst Micah und dann Noah an. Sie schienen von mir eine Aussage zu erwarten. „Das ist schön.“ Mehr konnte ich gar nicht sagen. „Ist die Band … neu?“, erkundigte ich mich zaghaft.
Mit dieser Frage erntete ich gleich zweimal einen ungläubigen Gesichtsausdruck.
Noah erstickte fast an einem Lachen. „Äh, nicht wirklich. Sie sind …“ Er dachte einen Augenblick nach. „Etabliert.“
„Cool“, war alles, was mir dazu einfiel. Ich nickte bestärkend.
Der hübsche, tätowierte Noah sah aus, als wollte er schon wieder loslachen, als er sagte: „Ich habe noch ein paar Fragen, dann sind wir fertig.“ Er setzte sich aufrecht hin. „Deine letzte Anstellung ist schon ein paar Jahre her. Was hast du neben dem Studieren in der Zwischenzeit noch gemacht?“
Die Frage traf einen Nerv, aber das war nicht seine Schuld. Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. „Meine Nanna hat Demenz. Ich habe mich die ganze Zeit um sie gekümmert.“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen.
Noah schien zu verstehen, denn sein Gesichtsausdruck wurde sanft. „Du würdest also sagen, dass du eine verantwortungsvolle und fürsorgliche Person bist?“
Ich neigte den Kopf etwas und verzog die Lippen, während ich darüber nachdachte. Das traf es perfekt. „Ja, das würde ich.“
„Und wenn es mit dieser Bewerbung nicht klappt, hast du dann einen Plan B?“, bohrte Noah nach.
Es fühlte sich an, als hätte ich einige Probleme in meinem Charakter. Ich war ein Routinemensch. Ich liebte nichts mehr, als ruhige Sonntagnachmittage, genau wie alle anderen introvertierten Menschen. Ich liebte es, zu lesen und zu schreiben. Gesellschaft zu haben war mir nicht besonders wichtig. Und letztlich war ich manchmal zu ehrlich. Genau wie jetzt gerade. „Ich habe keinen.“ Ich biss mir auf die Lippe, um nicht noch mehr von mir preiszugeben, was die Leute eindeutig nichts anging. Noah machte noch ein paar Notizen, während Micah mich neugierig betrachtete. Ich lächelte ihn an und er lächelte beinahe unsicher zurück. Dann blickte Noah kurz zu ihm.
„Ich glaube, wir haben alles, Emily“, sagte er.
Micah nickte. „Ja. Ich glaube auch, das ist alles, was wir wissen müssen.“
Oh nein. Hatte ich es versaut? Ich seufzte innerlich. Na dann.
„Vielen Dank noch mal“, sagte ich, warf mir den Rucksack über die Schulter und verließ den Raum. Im Warteraum sah ich mir die anderen Bewerber an und es versetzte mir einen Stich. Überall nur schöne Menschen. Nein. Ich würde diesen Job nicht kriegen. Und das war schon in Ordnung. Ich musste einfach versuchen, etwas anderes zu finden.
Ich rührte gerade meine kochenden Nudeln um, als das Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich zögerte. Normalerweise ging ich nicht dran, wenn ich die Nummer nicht kannte. Verflucht, ich ging normalerweise gar nicht ans Handy, aber es könnte das Krankenhaus sein, also nahm ich ab.
„Hallo?“
„Hallo, spreche ich mit Emily?“
Ich wischte mir die Hände an einem Küchenhandtuch trocken und legte mir das Handy richtig ans Ohr. „Ja? Wer ist da bitte?“
„Ich bin es, Noah, von dem Bewerbungsgespräch gestern.“
He-Man Noah!
„Oh, Hallo.“ Ich lächelte. Das war aber nett von ihm, mich persönlich über die Absage zu informieren, statt nie mehr etwas von sich hören zu lassen. „Wie geht es dir?“
„Gut, danke der Nachfrage.“ Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Ich rufe nur an, um dich etwas zu fragen.“
„Oh?“ Ich runzelte die Stirn. Ich dachte, wir hätten gestern alles Nötige besprochen. „Und das wäre?“
Noah machte eine kleine dramatische Pause. „Bist du bereit?“
Mein Herz machte keinen Satz, sondern stellte das Schlagen komplett ein. Ich ließ das Handtuch fallen.
„Wie bitte?“
Er klang leicht amüsiert. „Du hast den Job, Emily. Wenn du ihn willst, gehört er dir.“
Ich konnte es nicht glauben, lehnte mich an die Arbeitsplatte hinter mir und schluckte hart. Dann fragte ich langsam und ungläubig: „Sind die anderen Bewerber alle gestorben oder so was?“
Noah lachte. Laut und lange. „Äh, nein, sie leben noch.“ Sein Gelächter kam endlich zum Versiegen. „Wie ist deine Antwort, Emily?“
Was würde ich wohl sagen? War er verrückt geworden? „Ja“, wisperte ich. Ich legte die Hand vor den Mund und fing an zu lachen. Ich hob den Kopf und sah zur Decke, dann ließ ich die Hand sinken und stellte mich aufrecht hin. „Ja. Ich will den Job.“
Als Noah mir eröffnete, was ich verdienen würde, fiel ich fast in Ohnmacht. Ich erstickte beinahe an meiner eigenen Zunge und lachte leicht hysterisch auf. Oh Gott. Ich konnte endlich wieder frei atmen. Meine Geldsorgen waren vorüber. Ich würde Nanna fürchterlich vermissen, aber dieser Job war ein Segen.
Als Erstes rief ich im St. Judes an.
Kapitel 2
Suspicious Minds
Emily
Ich musste dreimal umsteigen und brauchte den ganzen Vormittag, um zu der Adresse gelangen, die Noah mir gegeben hatte. Mir taten die Füße weh, aber das war mir egal. Dennoch erinnerte mich das leichte Stechen beim Laufen daran, dass ich mir ein paar neue Turnschuhe kaufen müsste. Die hier waren alt und die Sohlen abgelaufen. Ehrlich gesagt, hätte ich mir längst neue gekauft, wenn ich das Geld gehabt hätte. Ich schätzte aber, dass das Leben eben so war.
Egal, wie sehr mir die Füße schmerzten, innerlich strahlte ich. Okay, vielleicht auch äußerlich. Ich konnte nicht anders. Irgendwie fing alles an, sich zu fügen und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Es war aufregend, in Los Angeles zu sein. Ich hatte noch nie etwas in West Hollywood zu tun gehabt, aber hier war ich nun. Lief über den Strip. Es war wie im Film. Mit den Daumen unter den Rucksackgurten eingehakt bestaunte ich alles um mich herum. Leider hatte ich nur ein altes Handy. Ich wollte schon gern ein Smartphone haben, aber die waren so teuer, deswegen sah ich den Nutzen nie ein. Und wirklich, die kosteten ein Vermögen. Also standen mir keine digitalen Karten zur Verfügung. Aber ich hatte einen Stadtplan, den ich mir am Busbahnhof gekauft hatte, und der tat es auch.
Nach fünfzehn Minuten Fußmarsch war ich endlich am Ziel. Das Gebäude war sehr groß, hatte drei Stockwerke und als ich auf das hohe Tor zuging und den Knopf der Gegensprechanlage drückte, atmete ich tief durch, um mich zu sammeln.
„Ja?“
„Ähm …“ Aus irgendeinem Grund lehnte ich mich näher an das kleine schwarze Gerät. „Ich habe einen Termin bei Micah.“
„Emily?“
„Ja“, rief ich viel zu laut in die Gegensprechanlage.
Ich hätte schwören können, dass der Mensch am anderen Ende lachte.
„Ich lass dich rein. Drück richtig fest gegen das Tor, okay?“
Das Tor sah schwer aus. „Okay.“
Ich hörte die Entriegelung und drückte, so fest ich konnte. Das Tor bewegte sich kaum, aber nach einem kleinen Kampf damit schaffte ich es, mich durch die schmale Lücke zu quetschen, die ich aufgedrückt hatte. Als ich das Tor losließ, knallte es laut zu und ich machte einen erschrockenen Satz. Mit der Hand auf der Brust und dem Blick auf das Tor hatte ich die Person hinter mir nicht kommen hören.
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