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Da die Einwilligung letztlich eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen darstellt, wird diesen Rechten somit nur dadurch Rechnung getragen, wenn der Betroffene in eine Datenverarbeitung freiwilligund bewussteingewilligt hat. Dies beinhaltet jedenfalls, dass sich die Einwilligung explizit auf die Verarbeitung der sensiblen Daten beziehen muss und daher ein erhöhtes Maß an Bestimmtheit und Genauigkeit erforderlich ist.[229] Das Freiwilligkeitserfordernis unterstreicht, dass die Einwilligung frei von Zwang oder Täuschung oder ähnlichen Mitteln sein muss, die die Willensfreiheit des Betroffenen beeinflussen können.[230] Der Prüfung der Freiwilligkeit kommt dabei gerade im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen große Bedeutung zu.
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Gleichwohl ist zu beachten, dass Art. 9 Abs. 2 lit. a kein Formerfordernisenthält. Insofern ist auch eine ausdrücklich mündlich erteilte Einwilligung ausreichend.[231] Gleichwohl ist in der Praxis bereits vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2(Rechenschaftspflicht)[232] eine geeignete Dokumentation ratsam.[233] Zudem sind in der praktischen Anwendung gegebenenfalls einschlägige spezialgesetzliche Regelungen zu beachten, die ein zwingendes Formerfordernis für eine Einwilligung vorsehen.
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Praxisrelevanz hat die Ausnahme des Art. 9 Abs. 2 lit. aetwa bei der Entbindung von der beruflichen Schweigepflicht. Da die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht mit der Entbindung identisch ist, muss aus Gründen der Rechtssicherheit erkennbar sein, dass die von der Einwilligung erfassten Daten auch einem Berufsgeheimnis unterliegen.[234] Dies kann etwa durch zwei getrennte Erklärungen erfolgen, in denen zum einen in die Verarbeitung der sensiblen Daten und zum anderen in die Entbindung der Schweigepflicht eingewilligt wird.[235] Sofern also Fitness-, Lifestyle- und Gesundheits-Apps Gesundheitsdaten verarbeiten, ist daher die ausdrückliche Einwilligung (gerade hinsichtlich einer Weiterverarbeitung der Daten) der betroffenen Person nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 2 lit. aerforderlich. Problematisch ist in der Praxis insbesondere die Ausgestaltung einer Einwilligungserklärung im Rahmen von Big Data-Anwendungen. Denn den Anforderungen hinsichtlich der Bestimmtheit der Einwilligungserklärung kann nicht hinreichend Rechnung getragen werden, wenn der Verantwortliche zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten selbst noch nicht alle Verarbeitungszwecke benennen und die betroffene Person entsprechend informieren kann.[236]
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Eine Rechtfertigung der Verarbeitung über eine Interessenabwägung entsprechend Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f und Abs. 4scheidet bei Art. 9aus (dazu Rn. 21). Insofern sind Verantwortliche angehalten, die Zwecke der Verarbeitung so genau zu bestimmen wie möglich, sofern kein gesetzlicher Erlaubnistatbestand im Rahmen von Abs. 2einschlägig ist. Ggf. muss eine nachträgliche Information und eine erneute Einwilligung der betroffenen Person erfolgen.[237] Die von der Bundesregierung einberufene Datenethikkommission (DEK) empfiehlt daher den Einsatz eines broad consentsund die Entwicklung von Musterverfahren zur Einholung von Einwilligung bei der Verarbeitung von sensiblen Daten.[238] Daneben regt sie den Einsatz von dynamic consentsan, damit die betroffene Person auch nach Abgabe der Einwilligung die Kontrolle und Souveränität über die Datenverarbeitung ausüben kann.[239] Dies könnten zukunftsfähige Lösungsansätze sein, um das Instrument der Einwilligung bei der Verarbeitung von sensiblen Daten im Rahmen von Big Data-Anwendungen nicht auszuklammern, sondern so auszugestalten, dass den datenschutzrechtlichen Anforderungen hinreichend Rechnung getragen werden kann. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang insbesondere ErwG 33, der im Rahmen von Datenverarbeitungen zu wissenschaftlichen Forschungszwecken Erleichterungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Einwilligungserklärungen vorsieht. Vgl. dazu Art. 89 Rn. 30 ff.
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Darüber hinaus ist das Freiwilligkeitskriterium insbesondere im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen(wie etwa Arbeitsverhältnissen) und bei der Verarbeitung von Beschäftigtendatenrelevant. Hier sind insbesondere die Vorgaben nach Art. 88zu beachten.[240]
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Ferner wird das Instrument der Einwilligung zukünftig insbesondere bei der Verarbeitung sensibler Daten zu Werbezweckenden Verantwortlichen mit den hohen Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 lit. akonfrontiert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Zuge der Werbung Gesundheitsdaten verarbeitet werden. So werden Gesundheitsunternehmen auch im Rahmen von Gesundheits-Apps, aber auch Optiker oder Orthopäden (sofern diese personalisierte Werbung unter Auswertung von Gesundheitsdaten an Kunden übersendet) den Anforderungen von Art. 9 Abs. 2 lit. aRechnung tragen müssen.[241] Insofern ist stets sorgsam zu prüfen, ob Daten zu allgemeinen Werbezwecken (z.B. Übersendung der neuen Sonnenbrillen-Kollektion durch den Optiker) oder ob Daten unter Auswertung von Gesundheitsdaten (z.B. Übersendung der neuen Kollektion von Gleitsichtbrillen durch den Optiker) zu Werbezwecken verarbeitet werden. Nur in Letzterem greift Art. 9.
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Zu beachten ist ferner Art. 9 Abs. 2 lit. a Hs. 2 : Danach kann die Einwilligung als Erlaubnistatbestand ausgeschlossen sein, wenn das Verbot des Art. 9 Abs. 1gem. unionsrechtlicher oder spezieller mitgliedstaatlicher Normen nicht durch die Einwilligung aufgehoben werden kann. Insofern besteht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit die Anforderungen des Art. 9im Sinne einer Abweichung „nach oben“zu verschärfen. So können etwa Verarbeitungsverbote statuiert werden, ohne dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, dieses durch seine Einwilligung aufzuheben. Ein Beispiel dafür ist etwa § 20 Abs. 2 PAuswG.[242]
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Zur Eindämmung der Infektionsgefahren im Zuge der COVID-19-Pandemie werden derzeit (Stand: Juni 2020) die Modalitäten zur Nutzung von Corona-Apps[243] diskutiert (dazu bereits Rn. 92).[244] Da die Feststellung einer Infektion eines Nutzers eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach Art. 9 Abs. 1darstellt, ist eine Rechtfertigung nach Art. 9 Abs. 2erforderlich. Im Rahmen einer vorrangigen Freiwilligkeit der Nutzung sind dabei insbesondere die Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 2 lit. azu beachten (dazu auch Rn. 92und 202).[245] Zum Ganzen vgl. auch Art. 4 Nr. 5 Rn. 109.
b) Arbeitsrecht und Sozialrecht ( Art. 9 Abs. 2 lit. b)
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Nach Art. 9 Abs. 2 lit. bgilt das Verarbeitungsverbot nicht, wenn die Verarbeitung erforderlich ist, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die ihm bzw. ihr aus dem Arbeitsrecht oder dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben bzw. Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder eine Kollektivvereinbarung nach dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht.
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Inhaltlich knüpft Art. 9 Abs. 2 lit. ban Art. 8 Abs. 1 lit. b DSRL an.
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Zu beachten ist hierbei, dass Art. 9 Abs. 2 lit. bzwei Voraussetzungen enthält: Die Verarbeitung der sensiblen Daten muss zum einen nach Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaates zulässigsein. Der Arbeitnehmerdatenschutz bleibt damit im Wesentlichen eine Materie, die den Mitgliedstaaten übertragen wird und ihnen einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnet.[246] Zum anderen muss die Verarbeitung im o.g. Sinne erforderlichsein.[247] Hierbei ist insbesondere auf die beispielhafte Aufzählung des ErwG 52 S. 1 zu verweisen. Dieser nennt etwa die Sicherstellung und Überwachung der Gesundheit und Gesundheitswarnungen sowie die Prävention und Kontrolle von Krankheiten oder anderer Gesundheitsgefahren.
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