„Unser oberstes Ziel ist es, für die Kinder alles so normal wie möglich zu gestalten. Die Kinder hier kommen aus ganz prekären und schwierigen Verhältnissen. Sie haben einen andauernden hohen Stresspegel“, erklärt Diana.
Acht bis zehn Betreuer*innen – zur Hälfte Betreuer, zur Hälfte Betreuerinnen, denn je nach ihrem Erlebten haben die Kinder und Jugendlichen einen besseren oder schlechten Zugang zu Frauen oder Männern – sind in wechselnden Diensten rund um die Uhr für die Kinder da. Sie versuchen ihnen Stabilität, Sicherheit und Normalität zu vermitteln. „Es ist wichtig, den Kindern das Gefühl zu geben, dass wir es durch den Tag schaffen. Komme, was wolle“, sagt Diana überzeugt. Die Betreuer*innen gestalten den Alltag für die Kinder. Sie bereiten das Mittagessen vor, dann werden die Hausaufgaben gemacht und Termine wahrgenommen, seien es Arztbesuche, Sportvereinsveranstaltungen oder Behördengänge. Außerdem wird darauf geschaut, dass die Kinder möglichst viel in der Natur sind. „Dabei hat Corona uns massiv eingeschränkt. Das Haus wurde den Kindern zu eng und zu geballt“, erzählt Diana. Als die Corona-Maßnahmen erlassen wurden, wurden die Kinder damit vertraut gemacht, und es wurde viel über das Virus gesprochen. „Für die Kinder war Corona ein Highlight, etwas Besonderes. Sobald jemand krank wurde, wurde sofort gefragt: Ist es Corona?“
„Es ist wichtig, den Kindern das Gefühl zu geben, dass wir es durch den Tag schaffen. Komme, was wolle.“
Nachdem ich beim Spazieren von einem kleinen Kind mit dem Fahrrad angefahren worden bin, flüchten Diana und ich zu einer abgelegenen Bank im Park.
„In einem Haushalt mit vielen Menschen herrscht eine höhere Ansteckungsgefahr, zwei Kolleg*innen hatten bereits Corona“, erzählt sie. In der WG gab es auch Verdachtsfälle, die zum Glück schnell durch Testungen geklärt werden konnten. „Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn wir ganze zwei Wochen oder zehn Tage mit den Kindern so richtig in Quarantäne hätten gehen müssen. Das packen die Kinder und auch die Betreuer*innen nicht.“ Diana lacht und hebt die Augenbrauen. Für die Wohngemeinschaft gibt es die Empfehlung, dass alle Mitarbeiter*innen im Dienst Maske tragen sollten. Es wurde ausprobiert und dann von den Betreuer*innen abgelehnt. „Für die Kinder ist es ihr Zuhause, bei uns zu Hause läuft auch niemand mit Maske herum“, meint Diana. Mitte März 2021 wurde sie geimpft.
Sie selbst lässt sich von Corona nicht leicht abschrecken, sie passt auf, so gut es geht. „Wenn Corona mich trifft, kann ich entweder leben oder sterben. Es ist so, auch wenn das hart klingt.“ Dianas Opa jedoch wurde mit dem Virus infiziert und ist an den Symptomen verstorben. „Mein Opa war sehr alt, es ist ur schirch. Aber der Tod gehört zum Leben.“ Ich staune über ihre furchtlose Einstellung zu Leben und Tod, trotz ihres jungen Alters.
Dass Mitte März 2020 die Schulen geschlossen wurden, war für die Wohngemeinschaft eine besondere Herausforderung. Die Betreuer*innen waren mit dem Home Schooling für sechs Kinder gleichzeitig überfordert. „Es ist anders als Hausaufgaben machen. Wir hatten keinen Plan, vor allem die Koordination war schwer. Wir sind sozusagen ein 8-Eltern-Haushalt. Da fließen auch nicht alle Informationen weiter.“ Glücklicherweise ist Dianas WG, anders als viele Haushalte, was das Equipment betrifft, gut aufgestellt. So konnten die Kinder während des Lockdowns dem Unterricht online folgen.
Mit dem Wegfall des Schulbesuchs wurde aber auch die gewohnte Routine durchbrochen, und gerade für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen kann das zum Problem werden. Bei einem der Jugendlichen in der Wohngemeinschaft spiegelte sich das in seinem Verhalten wider: Er wurde aggressiv, depressiv und zog sich zurück.
„Ihm gab die Schule Struktur, und er braucht die Interaktion mit gesunden Kindern“, erklärt Diana. Nach Absprache mit der Schulleitung durfte er während der Lockdowns für einige Tage pro Woche in die Schule. Normalerweise dürfen manche Kinder und Jugendliche ihre Eltern am Wochenende besuchen oder treffen. Doch seit Anfang der Pandemie sind diese Besuche schlecht planbar und haben ihre Regelmäßigkeit verloren. Die Betreuer*innen halten zu den Sozialbetreuer*innen der Eltern Kontakt, gemeinsam wird die Zusammenführung angestrebt.
Um mit der oft auch psychisch fordernden Arbeit zurechtzukommen, haben die Betreuer*innen der WG regelmäßig Gruppensupervision und können Einzelsupervision in Anspruch nehmen. „Es ist eine Arbeit, die unter die Haut geht. Man kann die Arbeit nicht immer in der Arbeit lassen. Manche Situationen triggern etwas in dir, was in deiner eigenen Geschichte vorkommt. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man besser damit umgehen“, erzählt Diana.
Von Menschen in sozialen Berufen wird erwartet, dass sie ihre Emotionen im Griff haben und immer richtig handeln. „Ich bin aber nur ein Mensch, der auch mal einen schlechten Tag hat“, sagt Diana.
Von der Gesellschaft wünscht sich Diana mehr Verständnis für die Kinder und Jugendlichen in der WG. „Auf ihre Geschichte und ihr Erlebtes wird keine Rücksicht genommen. Es wird erwartet, dass sie in der Gesellschaft funktionieren!“ Diese Erwartungshaltung setzt die Kinder massiv unter Druck. Diana würde sich ein Bildungssystem wünschen, das den Kindern und Jugendlichen, die sie betreut, mehr Raum bietet, sodass sie sich nicht als Außenseiter fühlen müssen.
Es wird kurz still, und wir gehen eine Runde im Park.
„Es ist eine Arbeit, die unter die Haut geht. Man kann die Arbeit nicht immer in der Arbeit lassen.“
Christopher, 33
Postbeamter
Seit über einem Jahr bin ich nicht mehr so früh unterwegs gewesen. Durch meine Jacke spüre ich die frische Morgenluft. Sie rüttelt mich auf und gibt mir einen Motivationsschub. Für das Interview fahre ich zur Postfiliale im 4. Bezirk. Um 7.30 Uhr empfängt mich Christopher vor dem Haupteingang.
Christopher arbeitet seit 16 Jahren bei der Post, war lange im Zustelldienst tätig und wurde dann Teamleiter. Er ist für acht bis 13 Zusteller*innen verantwortlich. Er ist dem Gebietsleiter unterstellt, der die Zustellung von zwei bis drei Bezirken verwaltet und im Überblick hat.
„Egal ob kalt oder warm, ob es schneit oder regnet, ob Corona oder nicht: Wir gehen arbeiten. Das liegt uns im Blut“, sagt Christopher. Die Post zählt zu den kritischen Infrastruktureinrichtungen, so waren die Postfilialen auch in allen Lockdowns durchgehend geöffnet. „Es war ein gewisser Stolz da, für die Gesellschaft da sein zu dürfen, indem man den Leuten eine Freude macht, wenn man das Packerl zustellt“, fügt er hinzu.
Dienstbeginn ist normalerweise um 6 Uhr Früh, wobei die Mitarbeiter*innen durch die Corona-Pandemie in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Während die einen ihre Schicht um 6 Uhr beginnen, starten die anderen um 9 Uhr. So kommen weniger Mitarbeiter*innen miteinander in Kontakt. Nachdem der Lkw mit der Post um 5.30 Uhr angekommen ist, werden Briefe und Pakete vom Amtsdienst auf die Bewohner*innen aufgeteilt und sortiert. Dann werden sie in ein Wagerl gepackt. „Im 4. Bezirk gehen wir alles zu Fuß und stellen die Post zu“, erzählt Christopher.
Am Arbeitsalltag hat sich trotz Corona nicht viel verändert. Was zu bemerken war, ist jedoch, dass vor allem im ersten Lockdown ab März 2020 viele Menschen auf Online-Shopping umgestiegen sind. Sei es Kleidung, Elektronisches Zubehör oder Büroartikel; von Socken bis zu Wohnungseinrichtungen, über Bleistifte und Spielzeug: Von allem war etwas dabei. Während der Paketversand boomte, gingen Brief- und Werbepost zurück. Auch Geschäftspost hatte abgenommen, da viele Unternehmen auf Homeoffice umgestellt hatten und versuchten, diese elektronisch zu verschicken.
Читать дальше