1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Es ist unmöglich, in einem relativ schmalen Buch alle Aspekte der Masseninhaftierung und ihrer Folgen für die Rassengleichheit zu behandeln, und ich erhebe gewiss nicht den Anspruch, dies hier geleistet zu haben. Das Buch ist eher eine grobe Skizze, sodass viele wichtige Themen nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient hätten, zum Beispiel die speziellen Erfahrungen von Frauen, Latinos und Einwanderern mit der Strafjustiz, obwohl gerade diese Gruppen besonders betroffen sind und unter den schlimmsten Übergriffen zu leiden haben. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt jedoch auf dem, was afroamerikanischen Männern im neuen Kastensystem widerfährt. Ich hoffe, andere Wissenschaftler und Anwälte werden dort weitermachen, wo dieses Buch endet, und die Kritik weiter ausführen oder die hier skizzierten Themen auf andere Gruppen und andere Kontexte übertragen.
Was mit diesem Buch erreicht werden soll – das Einzige, was damit erreicht werden soll –, ist, einen dringend gebotenen Diskurs darüber anzuregen, welche Rolle dem Strafjustizsystem bei der Schaffung und Erhaltung der Rassenhierarchie in den Vereinigten Staaten zukommt. Das Schicksal von Millionen Menschen – ja, die Zukunft der Afroamerikaner an sich – hängt vielleicht davon ab, ob diejenigen, die für Rassengleichheit eintreten, bereit sind, ihre Meinung zum Strafjustizsystem in unserer Gesellschaft einer Prüfung zu unterziehen. Dass zurzeit in vielen amerikanischen Großstädten mehr als die Hälfte der jungen schwarzen Männer unter dessen Kontrolle stehen, ist nicht nur – wie viele behaupten – ein Symptom der Armut oder eines Mangels an Wahlmöglichkeiten, sondern Beweis für die Existenz eines neuen rassischen Kastensystems.
Kapitel 1 gibt einen kurzen historischen Abriss der rassistischen sozialen Kontrolle in den Vereinigten Staaten und beantwortet die grundlegende Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Es beschreibt die Herrschaft über die Afroamerikaner durch die Sklaverei und Jim Crow, die offiziell abgeschafft wurden, dann aber in neuer Form wieder auferstanden, in einer Form, die auf die Bedürfnisse und Beschränkungen der neuen Zeit zugeschnitten war. Wie wir sehen werden, folgen Geburt und Tod der rassischen Kaste in Amerika einem bestimmten Muster. Immer wieder gelingt es den fanatischsten Verfechtern der Rassenhierarchie, ein neues Kastensystem zu schaffen, indem sie quer durch das politische Spektrum jeden Widerstand dagegen brechen. Diese Meisterleistung beruht vor allem darauf, dass sie an den Rassismus der weißen Unterschicht appellieren und deren prekäre Lage ausnutzen, also die einer Bevölkerungsgruppe, die verständlicherweise darum ringt, nicht am untersten Ende der amerikanischen Gesellschaftshierarchie zu landen. Und mit dieser bis auf die Sklaverei zurückgehenden Methode haben sie jetzt einem neuen rassischen Kastensystem zur Geburt verholfen: der Masseninhaftierung.
Die Struktur der Masseninhaftierung wird in Kapitel 2 genauer beschrieben, wobei der Schwerpunkt auf dem Krieg gegen die Drogen liegt. Die Polizei unterliegt in diesem Krieg kaum gesetzlichen Einschränkungen, und enorme finanzielle Anreize sorgen dafür, dass sie Menschen mithilfe quasi militärischer Taktiken massenhaft wegen Drogendelikten festnimmt. Wer einmal in die Mühlen der Strafjustiz gerät, hat fast keine Chance mehr, jemals wieder wirkliche Freiheit zu genießen. Angeklagten wird in der Regel ein echter Rechtsbeistand verweigert, man drängt sie durch Androhung einer langen Haftstrafe zu einem Schuldeingeständnis und einem Deal mit dem Gericht, um sie dann unter institutionelle Kontrolle zu stellen – im Gefängnis oder durch eine Bewährungsstrafe. Nach der Entlassung werden ehemalige Täter mit Billigung des Gesetzes ihr Leben lang diskriminiert, und die meisten landen irgendwann erneut im Gefängnis. Sie gehören zu Amerikas neuer Unterkaste.
In Kapitel 3 steht die Rolle des Konzepts Rasse im amerikanischen Strafjustizsystem im Mittelpunkt. Es beschreibt die Methoden, mit denen es einem offiziell rasseneutralen Strafrechtssystem gelingt, eine außerordentlich hohe Zahl schwarzer und brauner Männer zu verfolgen, festzunehmen und zu inhaftieren, obwohl People of Color nicht mehr Drogendelikte und andere Gesetzesverstöße begehen als Weiße. In diesem Kapitel wird die Behauptung widerlegt, die Rate der Inhaftierung Schwarzer sei mit deren Kriminalitätsrate zu erklären, und benennt das je nach Hautfarbe enorm unterschiedliche Vorgehen in jedem Stadium des Strafrechtsverfahrens – bei Durchsuchungen, bei der Festnahme, beim Aushandeln der Strafe mit dem Gericht und bei der Verurteilung. Kurz, in diesem Kapitel wird erklärt, wie die gesetzlichen Regeln, nach denen das System funktioniert, zwangsläufig zur Diskriminierung führen. Diese gesetzlichen Regeln garantieren, dass die Unterkaste überwiegend aus People of Color besteht.
Kapitel 4 zeigt, wie das Kastensystem nach der Entlassung aus dem Gefängnis funktioniert. Die Entlassung aus dem Gefängnis bedeutet in vieler Hinsicht nicht den Beginn der Freiheit, sondern vielmehr eine grausame neue Phase der Stigmatisierung und Kontrolle. Unzählige Gesetze, Vorschriften und Regeln diskriminieren die ehemaligen Straftäter und verhindern praktisch ihre echte Reintegration in die normale Arbeitswelt und die Gesellschaft. Ich behaupte, dass die mit dem »Gefängnisetikett« verbundene Scham und das Stigma in mehrfacher Hinsicht der afroamerikanischen Gemeinde mehr Schaden zufügen als einst Jim Crow. Die Kriminalisierung und Dämonisierung schwarzer Männer spaltet ihre Community, bringt die Familien auseinander, zerstört das Netz gegenseitiger Unterstützung und verstärkt die Scham und den Selbsthass der heutigen Parias.
Die vielen Parallelen zwischen der Masseninhaftierung und Jim Crow, deren wichtigste die gesetzlich gebilligte Diskriminierung ist, werden in Kapitel 5 nachgezeichnet. Wie Jim Crow marginalisiert die Masseninhaftierung große Teile der afroamerikanischen Gemeinde, segregiert sie physisch (in Gefängnissen und Gettos) und durch die Diskriminierung beim Wählen, im Arbeitsleben, bei der Wohnungssuche, in der Bildung, bei Sozialleistungen und beim Dienst in Geschworenengerichten. Die Bundesgerichte haben das gegenwärtig System praktisch gegen den Vorwurf rassistischer Vorurteile abgeschirmt, so wie frühere Kontrollsysteme vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten geschützt und verstärkt wurden. Aber das ist noch nicht alles. Wie Jim Crow trägt die Masseninhaftierung zur Definition dessen bei, was »Rasse« in Amerika bedeutet und welchen Stellenwert sie hat. Das Stigma der Kriminalität wirkt ganz ähnlich wie einst das Stigma der Rasse. Es rechtfertigt eine gesetzliche, soziale und ökonomische Grenzziehung zwischen »uns« und »ihnen«. In Kapitel 5 werden aber auch Unterschiede zwischen Sklaverei, Jim Crow und Masseninhaftierung erläutert, vor allem die Tatsache, dass die Masseninhaftierung dazu dient, einen ganzen Bevölkerungsteil, der für überflüssig erklärt wird, wegzusperren, weil er in der neuen globalisierten Wirtschaft nicht benötigt wird, während frühere Kontrollsysteme dazu dienten, schwarze Arbeiter auszubeuten und auf ihren Platz zu verweisen. Außerdem widmet sich dieses Kapitel den Auswirkungen des neuen Kastensystems auf Weiße: Auch wenn sie nicht das vorrangige Ziel des Kriegs gegen die Drogen sind, werden sie dennoch davon beeinträchtigt – eine beeindruckende Illustration dessen, wie ein rassistischer Staat Menschen jeder Hautfarbe beschädigt. Und schließlich ist das Kapitel auch eine Antwort auf Kritiker, die behaupten, die Masseninhaftierung könne schon deshalb nicht als rassisches Kastensystem bezeichnet werden, weil das »harte Durchgreifen gegen Kriminalität« auch von Afroamerikanern gutgeheißen werde. Aber das überzeugt heute so wenig wie vor hundert Jahren, als Schwarze und Weiße sagten, die Rassentrennung spiegele lediglich die »Wirklichkeit« wider, nicht aber rassistische Feindseligkeit, und die Afroamerikaner täten besser daran, an sich selbst zu arbeiten, statt Jim Crow zu bekämpfen. In unserer Geschichte hat es immer Afroamerikaner gegeben, die aus verschiedenen Gründen das herrschende Kontrollsystem verteidigten oder sich damit gemein machten.
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