Wickelempfängerinnen und -anwenderinnen stehen bei jeder Anwendung im Gespräch miteinander. Dies beginnt bei der Auswahl der Maßnahme, reicht über die Zubereitung, die eigentliche Durchführung bis hin zur Möglichkeit des Nachruhens. Eine Anwendung kann auch an sich selbst durchgeführt und so das eigene Wohlbefinden unterstützt werden. Eingepackt sein in einen Wickel gibt Halt und vermittelt das Gefühl, »umhüllt« zu sein. Ist alles im Einklang, kommen Körper, Seele und Geist zur Ruhe.
Phytopharmakologische Wirkung (Zusatz von Wirkstoffen)
Die Wirkstoffe der Wickelzusätze verhalten sich sehr unterschiedlich. Eine Resorption durch die Haut ist sowohl von den fettlöslichen Pflanzenwirkstoffen wie auch den ätherischen Ölen her möglich. Neben der Aufnahme durch die Haut gelangen die Wirkstoffe durch die Nase zum Zwischenhirn. Die Ausscheidung geschieht über die Nieren, die Haut und die Atmung. Die Wirkung der Pflanzen beruht auf einem Zusammenspiel ihrer unterschiedlichsten Inhaltsstoffe. Informationen zu den einzelnen Wirkstoffen sind in den entsprechenden Kapiteln aufgeführt.
Wann Wärme – wann Kälte?
• Wärme unterstützt das Wohlbefinden, reduziert Spannungszustände und dient zur Krampflösung. Bei Entzündungen kann, wenn die Möglichkeit zur Sekretion besteht, ebenfalls Wärme angewendet werden (Bronchitis, Blasenentzündung, Stirn-, Kieferhöhlenentzündung). Als »warm« bis »heiß« werden Temperaturen von 36 bis 45 °C definiert (genauere Abstufungen finden Sie in den entsprechenden Kapiteln, siehe die Definitionen auf Seite 101).
• Temperierte Wärme wird bei chronischen, nichtentzündlichen Schmerzen angewendet, zum Beispiel bei Muskelverspannungen und rheumatischen Beschwerden (28 bis 35°C, siehe Seite 61).
• Kälte dient der Schmerzlinderung bei Sportverletzungen (stumpfe Traumata), Verstauchungen, Quetschungen, Prellungen sowie bei akuten Hals- und Gelenkschmerzen. Zudem wirkt Kälte entzündungshemmend (zum Beispiel bei akuten Gelenk- und Nervenentzündungen). Bei den Kneippanwendungen wird Kälte zur Anregung des Stoffwechsels und zur Wiedererwärmung (reaktive Hyperämie) eingesetzt. Als »kalt« bezeichnet man Temperaturen von 10 bis 22 °C (siehe Seite 151).
Achtung:Das Wärme- und Kälteempfinden ist bei jedem Menschen anders. Deshalb sind die Temperaturangaben nur ungefähre Richtwerte. Die Empfängerin oder der Empfänger bestimmt die ausgewählte Temperatur, nicht das Thermometer! Besteht Unsicherheit, ob eine heiße Anwendung angezeigt ist, sollte stets ein erster Versuch mit einer temperierten gemacht werden.
Grenzen und Gefahren
Bei akuten medizinischen Problemen, wie beispielsweise bei unklaren Bauchschmerzen, Herzbeschwerden oder akuter Venenentzündung (Phlebitis), muss unbedingt Rücksprache mit dem Arzt/der Ärztin oder entsprechenden Fachpersonal gehalten werden. Vorsicht ist darüber hinaus geboten bei:
• Menschen mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit,
• mit Lähmungen, Durchblutungs- und Wahrnehmungsstörungen (Sensibilitätsstörungen),
• Betagten oder geschwächten Personen,
• Menschen mit Demenzerkrankungen,
• Allergikern,
• Personen mit akuten Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
• Kleinkindern und Säuglingen,
• Schwangeren,
• Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung.
Wickel und Kompressen können die unterschiedlichsten Reaktionen hervorrufen. So kann es bei unsachgemäßer Anwendung zu Verbrennungen, zur Verschlimmerung der Symptome, zu allergischen Reaktionen oder zur Unterkühlung kommen. Ebenso können Krankheitsbilder verschleppt oder verfälscht werden.
Kinder und betagte Menschen reagieren auf Anwendungen intensiver und sensibler, deshalb sind milde Zusätze in temperierter Form anzuwenden.
Bei Allergikern sind individuelle Verträglichkeiten zu beachten. Zu empfehlen ist, vorher auf der Innenseite des Unterarms einen Verträglichkeitstest mit dem verwendeten Zusatz zu machen.
Bei akuten Gelenkentzündungen dürfen keine warmen beziehungsweise heißen Anwendungen durchgeführt werden. Im Zweifelsfall empfiehlt sich der Handtest: Wird die Auflage der warmen Hand als angenehm empfunden, wendet man eine temperierte Kompresse oder einen temperierten Wickel an. Die Verträglichkeit der Kälte kann mit einem Waschlappen geprüft werden.
Grundsätzlich gilt: Bei Verschlechterung der Symptome oder bei Unwohlsein entfernen Sie den Wickel oder die Kompresse sofort. Dies gilt auch dann, wenn die Anwendung zu kalt oder zu heiß ist. Anwendungen mit Wickeln und Kompressen müssen grundsätzlich immer als angenehm empfunden werden!
Dauer und Zeitpunkt einer Anwendung
Grundsätzlich richtet sich die Dauer einer Anwendung nach dem Empfinden der Empfangenden und dem Zweck der Anwendung. Eine heiße Anwendung mit dem Ziel der allgemeinen Wärmezufuhr wird so lange belassen, wie sie als angenehm empfunden wird. Eine kalte Anwendung mit dem Zweck der lokalen Wärmeableitung bleibt so lange auf der betreffenden Stelle liegen, wie sie als kühlend empfunden wird.
Im Tagesverlauf reagiert der Körper verschieden auf die einwirkenden Wärme- oder Kältereize. Physiologisch ist der Körper von 3.00 bis 15.00 Uhr in der »Aufheizphase«. Kältereize werden intensiver empfunden. Von 15.00 bis 3.00 Uhr ist der Körper in der »Entwärmungsphase«. Dann ist genügend Wärme vorhanden, kalte Anwendungen werden als angenehmer empfunden. 1
Informationen für Fachleute
In den klassischen Naturheilverfahren werden Wickel und Kompressen der Wärme-/Thermotherapie und der Wassertherapie nach Kneipp allgemein der Hydrotherapie zugeordnet.
Die Wirkungsweise der Wickel und Kompressen wird grundsätzlich über die Beeinflussung der körpereigenen Regulationsmechanismen und somit einer verstärkten Wirkung der Selbstheilungskräfte erklärt. Der thermische Reiz wirkt nervös-reflektorisch über den kutiviszeralen Reflex der Head’schen Zonen. Geruchsimpulse wirken über die Nase und die Siebbeinplatte auf das limbische System und führen weiter über den Hypothalamus zur Ausschüttung von Hormonen. Ein weiterer positiver Effekt ist die Anregung der biografischen Erinnerung, dies im Speziellen bei an Demenz erkrankten Menschen.
Die Reizwirkung resultiert aus der Konstitution der Empfangenden, der Auswahl der Anwendung, dem Temperaturreiz, der Anwendungsdauer und der gewählten Auflagefläche. Bei postoperativen Anwendungen muss Rücksprache mit dem Arzt/der Ärztin genommen werden. In Spitälern, Heimen, Kliniken und in der häuslichen Pflege (Spitex) empfiehlt es sich, für die Umsetzung betriebsinterne Standards zu erarbeiten.
Aus naturheilkundlicher Sicht betrachtet, wirken Wickel und Kompressen über die Haut entgiftend und zielen darauf ab, eine natürliche Ausscheidung zu verstärken. Durch die Anwendung wird zum anderen ein Impuls auf den ganzen Körper gesetzt (zum Beispiel eine Zwiebelkompresse auf den Fußsohlen). Die Reflexzonen stehen in Verbindung mit dem ganzen Körper. Somit kann eine Zwiebelkompresse, auf die Fußsohlen aufgelegt, einen beginnenden grippalen Infekt durch die Anregung der Selbstheilungskräfte reduzieren oder sogar beenden. Andererseits wirken Wickel und Kompressen ableitend auf die Haut, indem sie die lokale Durchblutung fördern und sich anregend auf die Hautatmung auswirken. 2
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