„Das weißt du“, erwiderte er schließlich. „Du weißt, wie es in mir aussieht.“
Ja, richtig. „Dann sag es mir noch einmal, Lomond. Wie sieht es denn aus, tief in dir drin?“
Es waren Lomonds Worte. Sie hatte sie zum ersten Mal in einem Traum in Valland gehört.
„Lass mich dein Lakai sein.♫“
Chara stöhnte auf. „Was soll das überhaupt heißen?“
Sein Helm streifte über ihre Wange. Diesmal bewegte sie sich keinen Deut weit. Wich nicht, wie sonst, zurück, schaffte es, die diabolische Mischung aus kalter Angst und heißer Leidenschaft auf den Boden nüchterner Berechnung hinunterzupeitschen. Lomond war gefährlich. Für sie, für ihre Ziele, für diese Mission …
Der MacDragul war sich wiederum seiner Sache sicher. Das war Chara mehr als bewusst. Er wusste, dass ihr diese Art von Wortwechsel, dieses Rätsel raten, dieses Mein Traum, dein Traum, unser Traum-Gerede unter die Haut ging. Es war ihre kleine Welt. Niemand war dort, abgesehen von ihr und dem MacDragul. Und dann war da noch die Tatsache, dass Lomond wusste, was sie brauchte. Nicht nur den Kampf, den sie mit ihm ausfechten konnte, das Kräftemessen, das Ringen … Niemand war Charas Lakai. Sie war ein Lakai für jemanden. Lomond bot ihr an, ihr zu gehören. Das war ein reizvolles Angebot. Selbst für jemanden wie sie.
„Ich will auf dich achtgeben, dir nahe sein, dich riechen, dich …“ Das Lächeln unter seinem Visier wurde erneut spürbar. „… schmecken.“
„Mein Blut retten …“
„Wenn du so willst.“
Genau das war es. Seine seltsame Art, ihr nahezutreten und doch wieder nicht. Nah und fern, zu nah, zu wenig nah …
Seine Hände wollten sie greifen. Warum taten sie es nicht? Warum diese halbherzigen Berührungen, dieses tänzelnde, spielerische Hin und Her? Mal heiß, dann wieder kalt, mal Tier, dann wieder Mensch … tot und lebendig, liebend und hassend, getrieben und stoisch.
Chara blickte zurück unter die Zeltplane, wo die anderen Vampire saßen und sich der Nachmittagssonne entzogen. Sie konnte spüren, wie sie sie anstarrten, wie sie Lomond und sie unter ihren Helmen aus Metall studierten. Wie sie nach dem Blut seiner Beute lechzten. Doch Nok und Iti schirmten sie ab, als wäre das Sandkorn in akuter Lebensgefahr. Dabei hätte Lomond niemals einen seiner Brüder oder auch Schwestern an sie rangelassen. Das wusste sie. Er war soviel Tier wie er ein Mensch war. Seine Beute teilte er nicht. Er erlegte und genoss sie alleine. Die Dad Siki Na gingen trotzdem auf Nummer Sicher.
Im gegenüberliegenden Zeltausgang stand Irwin MacOsborn. Er stand da schon eine ganze Weile und starrte die neunzehn MacDragul an. In seinem Gesicht spiegelte sich eine vertraute Mischung aus Furcht und Leidenschaft wider. Er war sichtlich hin- und hergerissen, zwischen dem Wunsch, näherzutreten, und dem Selbsterhaltungstrieb, der ihn dringend davor warnte. Da ging es ihm also nicht viel anders als ihr.
Warum musste ausgerechnet der MacDragul alle Karten in der Hand haben, um sie ins Wanken zu bringen? Seelisch, körperlich, geistig. Anders als Lindawen. Sicher. Nicht so nachhaltig – eher plötzlich, intensiv, umfassend für den Augenblick. Damit gefährdete er aber nichtsdestotrotz das Verhältnis zwischen dem Lichtjäger und ihr. Und das ging nun mal über ein kleines Techtelmechtel hinaus. Lindawen und sie hatten eine Beziehung in vielerlei Hinsicht – privat und professionell. Auch darum konnte sie es sich nicht leisten, dem Vampir die Tür zu öffnen. Heute weniger denn je.
Das Kommandoschiff rückte langsam näher. Das Platschen der Ruder hatte etwas Beruhigendes. Rings um die Meerjungfrau dümpelten die anderen Schiffe der dritten Flotte im Sonnenglast auf dem Wasser und erinnerten Chara daran, wieso sie alle hier waren.
„Wieso hat Mordo Haugan MacDragul sich mit seinem Clan der Allianz angeschlossen?“ Die Frage brannte ihr schon länger auf der Zunge. Und sie erlaubte es ihr, über etwas Unverfängliches zu sprechen.
Lomond schien darüber nachzudenken, ihr eine Antwort schuldig zu bleiben.
„Blut …“, antwortete er schließlich doch.
„Bei euch dreht sich alles um Blut, was?“
In der Dunkelheit seines Helms blitzte ein gelbliches Glimmen auf. „Im Grunde … ja.“ Sein Kopf kam wieder näher. „Und nein.“
Ein leises Zähnefletschen erinnerte sie an das Tier im Mann. Und es erinnerte sie an ihre Nacht mit beidem – dem Tier und dem Mann. Eine Nacht, die sie heimgeholt hatte. Eine Nacht, die sie nie vergessen würde.
Während ich schlafe, ändert Liebe ihre Tonart. Ich leere meinen Geist, und eine Erinnerung verblasst. … Nahm Lomond ihr übel, dass sie dieser Nacht irgendwie den Rücken gekehrt hatte?
„Egal, wer diesen Krieg gewinnt – wir oder die andere Seite – es wird immer Blut geben, von dem ihr euch ernähren könnt“, hielt sie dagegen.
„Wenn die andere Seite gewinnt, wird keine Nahrung für uns mehr da sein.“
„Dieser Krieg mag ein Weltkrieg sein, aber irgendjemand wird ihn überleben. Diejenigen, die den Krieg gewinnen.“
„Nicht nach diesem Krieg. Nicht, wenn das Chaos siegt.“
Chara versteifte sich. Lomonds übliche Ironie hatte sich gerade verabschiedet. Es sah ganz danach aus, als meinte der Vampir es ernst.
Sein von Stahl ummantelter Körper rückte wieder näher. Kurz fuhr ihr die wohlvertraute Angst in die Eingeweide. Dann war da plötzlich ein Panzer, einer wie der Lomonds, nur unsichtbar – einer, der ihr neu und fremd war.
Chara drängte ihre Sinne, ihre Seele in den Panzer und fühlte, wie sich dieser um ihre aufgestachelten Gefühle schloss. Endlich konnte sie wieder frei atmen. Endlich konnte sie ihm durch das Visier seines Helms in die Augen sehen. Das Glimmen war verschwunden. Seine Augen waren so schwarz, wie sie es von dem MacDragul gewohnt war.
„Was willst du von mir?“, flüsterte sie.
„Was willst du von ihm? Diesem … Elf?“ Es klang wie ein Schimpfwort.
Und plötzlich war alles klar.
„Schlaf schön, Lomond.“ Chara ließ ihn einfach stehen und hielt durch das Zelt voller Vampire auf MacOsborn zu. Lomond hatte sie schnell eingeholt. Mit seinen Blicken hielt er seine Brüder und Schwestern davon ab, sich ihr auf mehr als zwei Schritte zu nähern. Sie gehorchten alle ihrem Anführer. Ihre Nähe, ihr Geflüster und Gemurmel nahm Chara nur rudimentär wahr. Sie hatte ihren Panzer. Und langsam begann sie zu begreifen, woraus er gemacht war.
Es war bedeutungslos, was Lomond wollte. Bedeutungslos, wonach es den Vampir verlangte. Es ging einzig und alleine darum, was sie wollte, wonach es sie verlangte.
„Während ich schlafe, geht mein einz’ger Wunsch verloren. Einmal gebraucht, wird ein neues Spielzeug alt. Während ich schlafe, verliert ein Name seine Wirkung. Ohne Worte wird ein warmes Lächeln kalt.“
Der Panzer wurde fester. Chara fühlte, dass sie nicht sein wollte, was die MacDragul waren. Untotes Leben, seelenlose Kreatur … Das ist das Ding, das durch den Wind geht …
Gleichzeitig fühlte sie sich von ihnen angezogen, von ihrer Verdammnis, ihrer Nacht, ihrer Kälte, ihrer … Lust.
Ich bin ein Krieger der Nacht, bin ohne Tagtraum geboren. Ich geh dem Licht aus dem Weg, in dunklem Schatten verloren …
Richtig, die MacDragul hatten ihr aus der Seele gesungen. Und doch, heute wollte sie kein Teil von Lomonds Welt sein. Heute hatte sie andere Pläne. Und ihr Panzer bewahrte sie davor, von jenem Vampir kontrolliert zu werden, der sie einst aus einem anderen Panzer befreit hatte.
Chara brachte den Weg durch das Zelt hinter sich. Es stand ihr glasklar vor Augen: Der Panzer bestand aus vier Worten und der Entschlossenheit in den schmalen Augen jenes Mannes, der alles über sie wusste. Jenes Mannes, der sogar ihre größte Angst kannte. Der diese Angst selbst fühlte, doch besiegt hatte …
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