Es gibt Momente wo die Natur eine Leidenschaft offenbart, die sich sonst unter der sorglosen Ruhe ihrer gewöhnlichen Stimmungen verbirgt – ein plötzlicher Frühling, der weiß auf Mandelblüten durch die purpurnen Wolken blitzt; ein schneeiger mondheller Gipfel mit einem einzigen Stern droben im sehnsüchtigen Blau; oder gegen die Flammen des Abendrots ein alter Eichenbaum, der als finsterer Hüter eines feurigen Geheimnisses dasteht.
Es gibt auch Momente, wo in einer Bilder-Galerie ein Werk, das als ›*** Titian – besonders bemerkenswert‹ bezeichnet ist, den Widerstand eines Forsyte durchbricht, der vielleicht besser gefrühstückt hat als seine Mitmenschen, und ihn in einer Art von Ekstase gefangen hält. Hier sind Dinge, fühlt er – Dinge die – die eben Dinge sind. Etwas Unüberlegtes, Unvernünftiges überkommt ihn; wenn er versucht, es mit der Gründlichkeit des praktischen Mannes zu erklären, entgleitet, entschlüpft es ihm, wie die Glut des Weines, den er getrunken, sich verliert, und ihn verstimmt zurückläßt und daran mahnt, daß er eine Leber hat. Er fühlt, daß er extravagant gewesen, daß er etwas verschwendet hat; sein gesunder Verstand hat ihn verlassen. Er wünschte nichts von dem zu sehen, was die drei Sternchen dieses Katalogs verhießen. Gott bewahre ihn davor, etwas von den Kräften der Natur zu wissen! Gott bewahre ihn davor, einen Augenblick zuzugeben, daß so etwas existiert! Gab er das einmal zu, wohin führte es dann? Man bezahlte einen Schilling für den Eintritt und einen zweiten für den Katalog.
Der Blick den June gesehen und den andere Forsytes gesehen, war wie das plötzliche Aufblitzen einer Kerze durch das Loch eines imaginären Vorhangs, hinter dem sie sich bewegte – schattenhaft und lockend, wie das plötzliche Aufflammen eines vagen irrenden Scheines. Es gab den Zuschauern die Gewißheit, daß drohende Mächte an der Arbeit waren. Für einen Augenblick gewährte es ihnen Vergnügen und Interesse, dann aber hatten sie das Gefühl, es gar nicht bemerken zu dürfen.
Es erklärte jedoch die Ursache von Junes spätem Kommen und Verschwinden ohne zu tanzen, ohne selbst ihren Bräutigam begrüßt zu haben. Sie sei krank, hieß es, und das war kein Wunder.
Aber schuldbewußt blickten sie einander an. Sie wollten keinen Skandal verbreiten, wollten nicht boshaft sein. Wer wollte das wohl? Und es wurde Außenstehenden gegenüber kein Wort davon verraten, ein ungeschriebenes Gesetz unter ihnen hieß sie schweigen.
Dann kam die Nachricht, daß June mit dem Großvater an die See gegangen war.
Er hatte sie nach Broadstairs gebracht, das jetzt in Aufnahme kam, nachdem Yarmouth, trotz Nicholas, an Ansehen verloren hatte, und kein Forsyte ging ohne die Überzeugung an die See, für sein Geld eine Luft zu erhalten, die seine Galle in einer Woche krank machen mußte. Die verhängnisvolle Neigung des ersten Forsyte Madeira zu trinken, hatte seine Nachkommen offenbar anfällig gemacht.
Also June ging an die See. Die Familie wartete Entwicklungen ab; sonst war nichts weiter zu tun.
Aber wie weit – wie weit waren ›jene Beiden‹ gegangen? Wie weit würden sie noch gehen? Ging wirklich überhaupt etwas vor? Es konnte sicherlich nichts daraus werden, denn sie hatten beide kein Geld. Höchstens ein Flirt, der wie all solche Beziehungen zu rechter Zeit ein Ende nahm.
Soames' Schwester, Winifred Dartie, die mit der Luft von Mayfair, wo sie wohnte, modernere Grundsätze in Bezug auf eheliches Verhalten eingesogen hatte, als, zum Beispiel, in Ladbroke Grove üblich waren, lachte bei der Idee, daß etwas daran sein sollte. Das ›kleine Ding‹ – Irene war größer als sie selbst, und es war ein wesentliches Zeugnis für den soliden Wert einer Forsyte, immer so ein ›kleines Ding‹ zu sein – das kleine Ding langweilte sich. Warum sollte sie sich nicht amüsieren? Soames war ziemlich langweilig, und was Mr. Bosinney anbetraf – nur dieser Hanswurst George hatte ihn den ›Bukanier‹ nennen können – sie blieb dabei, daß er sehr ›chic‹ war.
Dieser Ausspruch – daß Mr. Bosinney ›chic‹ war – verursachte förmlich Aufsehen, doch er wirkte nicht überzeugend. Daß er ›einigermaßen gut aussah‹, waren sie bereit zuzugeben, aber daß man einen Mann mit so ausgesprochen vorstehenden Backenknochen, den merkwürdigen Augen und weichen Filzhüten ›chic‹ nennen konnte, war nur ein weiteres Beispiel für Winifreds extravagante Art allem Neuen nachzulaufen.
Es war in jenem denkwürdigen Sommer, wo Extravaganz an der Tagesordnung war, wo selbst die Erde extravagant war, wo die Kastanien mit Blüten übersäet, die Blumen von Duft getränkt waren, wie nie zuvor; wo Rosen in jedem Garten blühten und die Nächte kaum Raum genug für das Gewimmel der Sterne hatten; wo jeden Tag von früh bis spät die Sonne in voller Rüstung ihren ehernen Schild über dem Parke schwang, und die Menschen so sonderbare Dinge taten, wie ihr Frühstück und Mittag im Freien einzunehmen. Unerhört war die Zahl der Droschken und Wagen, die über die Brücken des schimmernden Flusses strömten und den besseren Mittelstand zu Tausenden in die grüne Pracht von Bushey, Richmond, Kew und Hampton Court hinaus trugen. Beinahe jede Familie mit dem Anspruch zur Equipagen-Klasse gerechnet zu werden, sah sich einmal in diesem Jahre die Roßkastanien in Bushey an oder unternahm eine Spazierfahrt unter den spanischen Kastanien im Richmond Park. Gemächlich, wenn auch in einer Wolke von Staub, die sie selber aufwirbelten, rollten sie dahin und starrten vornehm auf die ragenden Geweihe großer träger Hirsche in einem Wald von Farren, der Herbstliebhabern eine Decke versprach, wie man sie nie zuvor gesehen. Und dann und wann, wenn der zärtliche Duft der Kastanienblüten und Farren ganz nahe herüberwehte, sagte wohl einer zum andern: »Was für ein sonderbarer Geruch!«
Und die Lindenblüten waren in diesem Jahr von seltener Pracht, beinahe honigfarben. In den Ecken der Londoner Squares strömten sie einen Duft aus wenn die Sonne unterging, der süßer war als der Honig, den die Bienen daraus gesogen – einen Duft, der ein namenloses Sehnen in den Herzen der Forsytes und ihresgleichen erweckte, wenn sie die Kühle nach dem Essen im Bereich jener Gärten genossen, zu denen sie allein die Schlüssel besaßen.
Und diese Sehnsucht trieb sie, im sinkenden Licht des Tages inmitten der vage dämmernden Blumenbeete zu weilen, trieb sie, sich wieder und immer wieder umzuschauen, als warte ein Liebhaber auf sie – warte, das letzte Licht unter dem Schatten der Zweige verlöschen zu sehen.
Ein vages, durch den Duft der Linden erwecktes Mitgefühl, der schwesterliche Wunsch sich selbst zu überzeugen, der Gedanke, die Wahrheit ihres Ausspruchs, daß ›nichts daran sei‹ zu beweisen, oder einfach nur das Verlangen nach Richmond zu fahren, dem man in diesem Sommer nicht widerstehen konnte, veranlaßte die Mutter der kleinen Darties (Publius, Imogen, Maud und Benedikt) den folgenden Brief an ihre Schwägerin zu schreiben.
»30. Juni.
Liebe Irene!
Ich höre, daß Soames morgen über Nacht in Henley bleibt. Wäre es nicht lustig, wenn wir uns in einer kleinen Gesellschaft aufmachten und nach Richmond führen. Willst Du Mr. Bosinney bitten, so bringe ich den jungen Flippard mit.
Emily (sie nannten ihre Mutter beim Vornamen – es war so ›chic‹) will uns den Wagen leihen. Ich werde Dich und Deinen Herrn um sieben Uhr abholen. Deine Dich liebende Schwester Winifred Dartie.
Montague hält das Essen in ›Scepter und Krone‹ für ganz schmackhaft.«
Montague war Darties zweiter und bekannterer Name – der erste war Moses – denn er war nichts, wenn nicht der Mann von Welt.
Die Vorsehung setzte ihrem Plan mehr Widerstand entgegen, als ein so wohlwollendes Unternehmen verdiente. Erstens antwortete der junge Flippard:
»Liebe Mrs. Dartie!
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