Er tat sich viel darauf zugute, Frauen gegenüber eine sehr freidenkende Haltung einzunehmen, denn er sah nicht ein, warum sie nicht Bilder malen oder Lieder, ja selbst Bücher schreiben sollten, namentlich, wenn es ihnen einen nützlichen Groschen einbrachte; warum auch nicht – es hielt sie von dummen Streichen ab; ein ander Ding, wenn sie Männer wären!
›Klein Francie‹, wie sie gewöhnlich mit gutmütiger Herablassung genannt wurde, war eine bedeutende Persönlichkeit, wenn auch nur als stehende Illustration für das Verhältnis der Forsytes zur Kunst. Sie war eigentlich nicht ›klein‹, sondern ziemlich groß; ihr Haar, (für eine Forsyte) ziemlich dunkel, gab mit den grauen Augen ihrem Aussehen etwas ›Keltisches‹, wie man es nannte. Sie machte Lieder mit Titeln, wie ›Heimliche Seufzer‹ oder ›Küß mich Mutter, eh ich sterbe‹, mit einem Refrain wie ein Anathema:
»Küß' mich, Mutter, eh' ich sterbe;
Küß' mich – küß' mich, Mutter, oh!
Küß', oh, küß' mich e–eh' ich –
Küß' mich, Mutter, eh' ich st–e–erbe!«
Sie dichtete den Text dazu selbst, und auch andere Gedichte. In froheren Augenblicken schrieb sie Walzer, von denen einer, die ›Kensington-Weise‹, in Kensington fast volkstümlich war und einen einschmeichelnden Rhythmus hatte:
Er war sehr originell. Dann waren da noch ihre ›Lieder für die Kleinen‹, zugleich erzieherisch und witzig, vor allem ›Großmütterchens Goldfisch‹ und ein beinahe prophetisch von der künftigen Stimmung des Landes erfülltes Liedchen mit dem Titel: »Haut ihm nur ›ein blaues Auge‹.« Jeder Verleger war bereit sie anzunehmen, und Zeitschriften wie ›Hohe Ziele‹ und ›Frauenhort‹ waren entzückt von »jedem neuen von Miß Francis Forsytes geistvollen, glänzenden, pathetischen Liedchen. Wir waren zu Lachen und zu Tränen bewegt. Möchte Miß Forsyte so fortfahren«.
In dem sichern Instinkt ihrer Rasse war es Francie ein Leichtes die richtigen Leute kennen zu lernen – Leute, die über sie schrieben und sprachen, auch Leute aus der Gesellschaft – sie hatte eine Liste solcher im Kopf, bei denen sie ihre Vorzüge zur Geltung bringen konnte und ließ die Stufenfolge steigender Preise, die für sie die Zukunft bedeuteten, nicht aus dem Auge. Auf diese Weise gelang es ihr sich allgemeine Achtung zu erwerben.
Einmal, zu einer Zeit als ihre Gefühle durch eine Neigung aufgepeitscht waren – denn Rogers ganze Lebensführung mit seinen eifrigen Häuserspekulationen hatte bei seiner ältesten Tochter einen Hang zur Leidenschaft hervorgerufen – wandte sie sich einer größeren ernsteren Aufgabe zu und wählte die Form einer Sonate für die Violine. Dies war die einzige ihrer Produktionen, die die Forsytes beunruhigte. Sie fühlten sofort, daß sie sich nicht verkaufen würde.
Roger, der sich freute eine talentvolle Tochter zu haben und oft auf das Taschengeld anspielte, das sie sich selbst erworben hatte, war durch diese Violinsonate ganz aufgebracht.
»Solch ein Schund!« sagte er davon. Francie hatte den jungen Flageoletti, Euphemias Geiger, aufgefordert, sie bei ihr zu Haus, in Prince's Gardens zu spielen.
Was die Sache an sich betraf, so hatte Roger recht. Es war Schund, aber – sehr ärgerlich! Eine Art von Schund, der sich nicht verkaufte. Wie jeder Forsyte weiß, ist Schund, der sich verkauft, durchaus kein Schund – keineswegs.
Und doch, trotz des gesunden Menschenverstands, der den Wert der Kunst nach dem bestimmt, was sie einträgt, konnten die Forsytes, Tante Hester zum Beispiel, die sehr musikalisch war, nicht umhin zu bedauern, daß Francies Musik, ebenso wie ihre Gedichte nicht ›klassisch‹ waren. Aber wie Tante Hester sagte, gab es heutzutage gar keine Dichtkunst mehr, alle Gedichte wären ›kleine unbedeutende Dinger‹. Niemand konnte mehr ein Gedicht schreiben wie das ›Verlorene Paradies‹ oder ›Childe Harold‹, bei denen man wirklich das Gefühl hatte, etwas gelesen zu haben. Immerhin aber war es nett für Francie etwas zu haben, womit sie sich beschäftigen konnte. Während andere Mädchen mit Einkäufen Geld ausgaben, erwarb sie es! Und sowohl Tante Juley wie Tante Hester waren immer bereit zu hören, wie Francie es wieder angefangen ihre Preise zu steigern.
Sie hörten jetzt zusammen mit Swithin zu, der sich den Anschein gab es nicht zu tun, denn diese jungen Leute sprachen so schnell und verschluckten so viel, daß er nie verstehen konnte, was sie sagten!
»Und ich kann nicht begreifen,« sagte Mrs. Septimus, »wie du das machst. Ich hätte das nie gewagt!«
Francie lächelte leise. »Ich habe viel lieber mit einem Manne zu tun als mit einer Frau. Frauen sind so streng!«
»Mein Kind,« rief Mrs. Small, »wir sind es sicher nicht.«
Euphemia brach in ihr leises Lachen aus, das mit Quietschen endete, und sagte, als würgte sie jemand: »Ich sterbe noch vor Lachen, Tantchen.«
Swithin sah keine Veranlassung zum Lachen; er verabscheute Leute, die lachten, wenn er selbst keinen Scherz merkte. Übrigens verabscheute er Euphemia überhaupt und erwähnte sie nur als »Ricks Tochter, wie heißt sie doch, die Blasse?« Er wäre beinahe ihr Pathe geworden – ganz sicher, wenn er nicht energisch gegen diesen ausländischen Namen aufgetreten wäre. Er haßte es Pathe zu stehen. Jetzt sagte Swithin voll Würde zu Francie: »Schönes Wetter – hm – für diese Jahreszeit.« Aber Euphemia, die wohl wußte, daß er sich geweigert hatte ihr Pathe zu werden, wandte sich zu Tante Hester und fing an ihr zu erzählen, wie sie Irene, Soames' Frau, im Kaufhaus gesehen.
»Und Soames war mit ihr?« fragte Tante Hester, denn Mrs. Small hatte noch keine Gelegenheit gefunden ihr den Vorfall zu erzählen.
» Soames mit ihr? Natürlich nicht!«
»Aber war sie ganz allein in der Stadt?«
»O nein! Mr. Bosinney war mit ihr. Sie war wundervoll angezogen.«
Aber als Swithin den Namen Irenens hörte, blickte er Euphemia streng an, die allerdings nie gut in einem Kleide aussah, was sie auch tragen mochte, und sagte:
»Wie eine vornehme Dame sicher. Es ist ein Vergnügen sie zu sehen.«
In diesem Augenblick wurden James und seine Töchter gemeldet. Dartie, der sich nach einem Trunk sehnte, hatte eine Verabredung beim Zahnarzt vorgeschützt, sich, nachdem er am Marble Arch abgesetzt worden, eine Droschke genommen, und saß jetzt bereits in der Fenstertür seines Klubs in Piccadilly.
Seine Frau, erzählte er seinen Freunden, hatte einige Besuche mit ihm machen wollen. Das wäre aber nicht sein Fall – ganz und gar nicht!
Er rief nach dem Kellner und schickte ihn hinaus um nachzusehen, wer das 4.30 Rennen gewonnen hatte. Er sei hundemüde, sagte er, und das war Tatsache, denn er war mit seiner Frau den ganzen Nachmittag von einer ›Schau‹ zur andern herumgefahren. Schließlich hätte er sich aus dem Staube gemacht. Ein Mann müsse doch auch sein eigenes Leben leben.
In diesem Augenblick sah er durch die Glastür – er liebte diesen Platz, wo er jeden Vorübergehenden sehen konnte – und erblickte unglücklicherweise oder vielleicht glücklicherweise Soames, der mit der offenbaren Absicht hereinzukommen, von der Parkseite her langsam die Straße kreuzte, denn er gehörte auch zu dem ›Iseeum‹.
Dartie sprang auf, ergriff sein Glas, stammelte etwas über ›das Rennen‹ und zog sich schnell ins Spielzimmer zurück, wohin Soames niemals kam. Hier lebte er in vollkommener Einsamkeit, bei trübem Licht sein eigenes Leben bis halb acht, zu welcher Zeit Soames, wie er wußte, den Klub sicher verlassen haben mußte.
Es war nicht ratsam, so wiederholte er sich jedesmal, wenn der Drang an den Unterhaltungen in der Fenstertür teilzunehmen zu stark in ihm wurde – es war absolut nicht ratsam, mit so geringen Einkünften wie er sie hatte, und wo der ›Alte‹ (James) seit der Geschichte mit den Öl-Aktien, an der er gar keine Schuld hatte, noch immer so muffig war, einen Streit mit Winifred zu riskieren.
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