Die elterliche Suggestionsmethodikelterliche DidaktikSuggestionsmethodik, Soufflierkunst
Wodurch wird ein Schrei, wodurch werden absichtslose, spielerische Lautungen des Kindes kommunikativ? Indem Eltern so tun, als ob ihnen ihr Kind damit etwas sagen wollte. Sie machen aus dem ungerichteten Ausdruck einer Befindlichkeit eine MitteilungsabsichtMitteilungsabsicht. Sie machen aus einem Unlustschrei den Ruf nach Abhilfe und selbst noch aus einem Hust- oder Prustlaut einen absichtgetragenen Akt. Sie unterstellen quasi dem Kind eine Mitteilungsabsicht, geben ihm ein Ziel und zeigen ihm so, wie es seine Stimmproben oder auch eine Geste als Kommunikationsmittel einsetzen kann.
Vater: |
Na, wollen wir denn gar nicht lachen? ( kitzelt Kind; Kind verzieht das Gesicht ) |
Vater: |
(verzieht ebenfalls das Gesicht) Oh, wir sind ungnädig heute. ( Kind guckt zur Tür. ) |
Vater: |
(guckt ebenfalls zur Tür) Ja, Mutti kommt gleich. |
Kind: |
Wawawa. |
Vater: |
Meinst du, es wäre schon Essenszeit? |
Kind: |
Wawa. |
Vater: |
Ja, du hast recht, wir warten auf Mama. |
Hier wird ein DialogDialog durchgespielt und quasi vorexerziert, der eigentlich noch gar keiner ist. Das Lautgebaren des Säuglings ist ja erst dann Kommunikation, wenn er es bewußt und willentlich einsetzt, um den Partner zu dirigieren. Aus einem bloßen Anzeichen muß ein Zeichen werden, hinter dem ein Wille, eine Intention steht.
Indem aber schon ein Anzeichen als Dialogbeitrag bestätigt wird, entsteht eine Zweieinigkeit im Wechsel, und Kinder lernen, noch bevor sie ein Wort sagen können, wozu Sprache eigentlich da ist: ein Stück des eigenen in ein fremdes Bewußtsein einpflanzen. Es lernt auch schon »antworten«, es genügt gewissermaßen seiner Antwortpflicht. Später erst merkt es, daß man noch mehr tun muß, weil in einer Frage noch mehr steckt, als es bisher in seiner Antwort zurückgegeben hat.
Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Aufmerksamkeit der Forscher ganz dem Kinde, dessen Äußerungen sorgfältig in Tagebüchern notiert wurden. Man betrieb »Kindersprachforschung« und übersah dabei den Part, den die Eltern spielten. Beim Studium moderner Tonband- und Videoaufnahmen, die das Gesamtereignis festhalten, war die Mitwirkung der Eltern jedoch nicht mehr zu übersehen.
Am auffälligsten ist, daß die Mutter in das Konzert des Kindes einstimmt und seine Lautgebilde nachahmt, bevor das Kind seinerseits die Mutter nachahmt. Dabei
versetzt sie sich in die Gefühlslage des Babys, d.h. sie reagiert jeweils anders auf Äußerungen des Wohlbehagens und des Mißbehagens,
zeigt sie ihm, wie man gemeinsam etwas (mit der Stimme) tut,
bestärkt sie das Kind in seinen Vokalisationen,
gibt sie ihm Vergleichsmöglichkeiten des Hörens, liefert also akustische Modelle,
zeigt sie ihm zugleich, wie das aussieht; z.B. was man mit den Lippen macht, ob man sie schließt, ganz wenig oder weit öffnet, rundet oder spreizt.
Voraussetzung für gelingende vorsprachliche Kommunikation ist somit das seelische Einsseinseelisches Einssein von Mutter und Kind, die intime seelische Symbiose, die bei der stillenden Mutter auch eine körperliche ist. Eltern spiegeln dem Kind bis in feine Nuancen hinein seine eigenen Stimmungen wider. Wie genau sich die Eltern dabei auf die Lallgebilde ihrer Säuglinge einstimmen und sie dabei fortentwickeln, haben erst neueste Forschungsmethoden zutage gebracht, die sich Videotechnik (Wiederholung in Zeitlupe), Sonagramme und akustische Analyseprogramme, d.h. Computeranalysen von Grundfrequenz, Intensität und Zeitstruktur, zunutze machen. Mit solchen Instrumentarien haben die Münchner Pädiater und Kindersprachforscher Mechthild und Hanus PapousekPapousek, Mechthild und Hanus u.a. interaktive Lautspielchen beschrieben, in denen die Eltern signalisieren: Jetzt bin ich dran und jetzt bist du dran. Sie haben auch die Asymmetrie in der Steuerung der frühen Dialoge hervorgehoben.1
Wie sehr unsere Babys auf die gemeinsamen Lautspielchen eingestellt sind, zeigt eindrucksvoll das sog. »still face« Experimentstill face-Experiment des amerikanischen Entwicklungspsychologen E. Tronick, das wie folgt abläuft: Das Einjährige sitzt der Mutter in einem Kindersitz gegenüber. Die beiden »unterhalten« sich stimmlich, mimisch, gestisch. Dann wendet sich die Mutter kurz ab. Wenn sie sich danach dem Baby wieder zuwendet, schaut sie das Baby ruhig an, bleibt aber völlig still, ausdrucks- und bewegungslos. Das Baby versucht sofort, die Mutter wieder ins »Gespräch« zu ziehen, lächelt sie an, zeigt auf etwas: »da«; doch die Mutter guckt nicht hin (Was ist denn da los?). Es klatscht in die Hände, kreischt kurz auf, versucht dann der Situation zu entkommen, indem es sich wegwendet, blickt dann wieder zurück und fängt schließlich an zu schreien, verstört und frustriert. Bis die Mutter endlich wieder mitmacht und seine Welt wieder in Ordnung ist.2
Eltern machen also weit mehr als ein Sprachangebot. Gelernt wird der Dialog, wie man sich dabei abwechselt: daß erst der eine das Wort (genauer: die Stimme) führt, dann der andere; daß man sich möglichst nicht ins Wort oder in die Stimme fällt; daß und wie man sich darüber abstimmt, ob man weitermacht oder Schluß macht. Das alles hört sich so einfach an und ist doch komplizierter, als man denkt. Es kommt natürlich ebenso vor, daß beide vor freudiger Erregung gemeinsam babbeln, gewissermaßen im Duett vokalisieren. Das Baby lernt schnell, seinen Part richtig mitzuspielen, und wird seinerseits initiativ. Das Animieren, das frühe Andichten oder Suggerieren einer AbsichtAbsicht, Redeabsicht, Sprechintention, das gezielte Abwarten einer Antwort, die prompte Reaktion (wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne des Säuglings sehr wichtig) und die Einübung des Wechselns gehen jedoch anfangs von den Eltern aus.
Einstimmung, Übereinstimmung und Wechselseitigkeit
Dies ist der Trieb zum Mitgefühl und zur Nachahmung. O eine treffliche Einrichtung unserer geistigen Natur, die das erste Erziehungsgeschäft für wirklich gute Eltern so leicht, so simpel macht!
(Joachim Heinrich CampeCampe, Joachim Heinrich 1785)
Das Verständniß war da vor der Mittheilung.
(Hermann Steinthal 1881)
Menschliches Leben, auch schon tierisches, ist ausdrucksvoll: Es teilt sich mit. Der Urgrund allen Verstehens ist genetisch vorgegeben. Es sind Gefühle wie Freude, Wut und Ärger, Ekel und Abscheu, Traurigkeit, Angst, Überraschung und die damit verbundenen Ausdrucksbewegungen wie Lächeln oder Weinen. Wir haben sie mit allen Menschen gemeinsam, so auch die Mutter mit ihrem Kind: den Ausdruck der Augen, die Mimik der Brauen, der Lider, der Nase, des Mundes. Am Ausgangspunkt herrscht eine Art »prästabilierter Harmonie«. Bestimmte Sprechmelodien wie ein tröstender, beruhigender Ton sind für den Säugling keine Geräusche unter vielen anderen, sondern werden von Anfang an gefühlsmäßig richtig verstanden, brauchen also nicht erst erlernt werden.1 Ursprüngliches Sprechen heißt Übereinstimmen, nicht: Sich-Auseinandersetzen. Noch vor dem Verständnis der Laute und Worte versteht das Baby unmittelbar den emotionalen Grundton, vernimmt die liebevolle Zuwendung der Mutter im Zugesprochenen. Es ist die emotionale Aufladung der Wörter, die das Kind zuerst vernimmt und aufhorchen lässt.
So erlernen wir das Sprechen unter starker Beteiligung der Affekte. Die Mutter versucht nämlich, die »Seelensituationseelisches Einssein« (wie es MauthnerMauthner, Fritz so eindrucksvoll formulierte) für sich und ihr Kind gemeinschaftlich zu machen. Das Baby erfährt den liebevollen Zuspruch von jemandem, der zurück geliebt werden will. Die gemeinsame »Seelensituation« im BlickkontaktBlickkontakt, dreieiniger (referentieller) ist das erste Moment; gemeinsame Aufmerksamkeit das zweite. Der Mutter gelingt es, den flüchtigen Blick des Säuglings zu halten. Bei den RoutinenRoutinen des Wickelns, Waschens und Anziehens usw. merkt sie, wie sehr das Kind bei der Sache ist, und versucht, es bei der Stange zu halten, seinen Blick zu führen und Szenen der gemeinsamen Aufmerksamkeit zu gestalten. Wo schaut es hin? Ah, der Vorhang bauscht sich im Sommerwind. Es schaut nach oben: Na klar, die Sonne malt Muster vom bewegten Wasser der Badewanne an die Decke. Die Mutter spricht dabei und bereitet eine wesentliche Funktion des Sprechens vor: die Kunst der wechselseitigen Bewußtseinssteuerung, die Herstellung von Intersubjektivität. Lateinisch communicatio ist wörtlich das Gemeinsam-Machen des Neuen.
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