Es gibt eine weitere hervorzuhebende Studie, die die Schreibkompetenzentwicklung der Schüler empirisch untersucht hat, jedoch nicht im Querschnitt, sondern im Längsschnitt: Um die Textsortenkompetenz in der Schreibgenese von Schülern zu testen, untersuchten Augst, Disselhoff, Heinrich, Pohl sowie Völzing (2007) in einer Langzeitstudie Grundschüler mit den Textmustern Erzählung , Bericht , Instruktion , Beschreibung und Argumentation über mehrere Jahre. Die Frage der Textsortenentwicklung stand mit 39 Schülern und 585 Schülertexten im Fokus dieser Untersuchung, da Bereiters Schreibentwicklungsmodell bis dato nicht empirisch überprüft wurde. Jeder Schüler schrieb 15 Texte jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren: eine Erzählung nach einem Bildimpuls, einen Bericht über das Weihnachtsfest, eine Instruktion zum Lieblingssport, eine Beschreibung des Klassenraums sowie eine Argumentation mit einem Vorschlag. Im Laufe der Jahre war zu beobachten, dass die Grundschüler längere und komplexere Texte schrieben. Die Vielfältigkeit der Satzstrukturen nahmen zu. Am Ende der vierten Klasse gelingt das Erzählen am besten. Im Mittelfeld bleiben das Beschreiben und das Argumentieren sowie zum Schluss das Berichten :
Auf jeden Fall ist es für die Kinder wichtig, die Arbeit am Text als etwas Natürliches und Selbstverständliches zu erleben, das dem schriftsprachlichen Prozess eigen ist. […] Deshalb kann das Gespräch der Kinder über Texte (oder sogar eine Schreibkonferenz) sehr förderlich sein; dies auch aus einem ontogenetischen Grund: die Kinder werden auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe das ‚Schreibkind‘ erfahrungsnäher (kindgemäß) befragen und anregen, als es ein Lehrer vielleicht angesichts des normativen Musters kann (Augst et al., 2007:359f.).
Das Forscherteam hält fest, dass alle Textsorten in der Grundschule für die Entwicklung der Schreibkompetenz gefragt sind. Dabei ist auffällig, dass ein erkanntes Strukturmerkmal in einer Textsorte auf eine andere Textsorte übertragbar ist (Augst et al., 2007:358). „Einen Text mit einer bestimmten Textqualität zu produzieren ist folglich Resultat, d.h. Ausdruck, der je individuellen Schreibkompetenz von Schreibenden“ (Schmitt & Knopp, 2017:239).
Dieser Exkurs zeigt, dass Schüler einer Klassenstufe auf verschiedenen Niveaus schreibkompetent sind und die Kompetenzraster mit diversen Stufenbeschreibungen immer mehr Vorrang für die Planung des Schreibunterrichts haben müssen. Eine Lernausgangslage ist unbedingt erforderlich. Den Studienergebnissen war zu entnehmen, dass die Schreibkompetenz je nach Textsorte unterschiedlich ausfallen kann. Um Schreibkompetenz in den Klassen zu messen und zu fördern, müssten pro Textsorte mehrere Aufgaben gestellt und getestet werden (Böhme et al., 2017:70ff.). Die dadurch entstandenen Schreibprodukte sind Indikatoren der Schreibkompetenz . Des Weiteren sind der Schreiber, der Schreibprozess, die Schreibprozedur und der potenzielle Leser Parameter einer ganzheitlichen Schreibkompetenzmessung und -förderung. Diese Komplexität zeigt sich in einer Zusammenfassung von Feilke (2017:158), welche schreibdidaktische Impulse subsumiert, die für die Lehrer und Schreibforscher relevant sind. Grundlage Feilkes „Parameter schreibdidaktischer Konzepte“ (Feilke, 2017:158) ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980), jedoch wurden die Ebenen Prozess , Leser und Produkt um die Ebenen „ Prozedur“ (ebd.) und „ Schreiber“ (ebd.) ergänzt (Feilke, 2017:157). Die Anzahl der Schreibebenen lässt erkennen, wie komplex die Parameter der Schreibkompetenzentwicklung in der Schreibdidaktik sind. Allein die Kombination der Ziele, Aufgabentypen, Aufgabenmodi und der schreibdidaktischen Konzeptionen verlangt eine immense Forschungsarbeit, aber auch die Schaffung eines Freiraums vieler Unterrichtsstunden im Fach Deutsch.
Folglich beeinflussen mehrere Faktoren die Schreibkompetenz und damit verbunden die Textqualität und können somit als Prädiktor wirken, wie die folgende Definition und die dazugehörige Abbildung 4 verdeutlichen und meines Erachtens gut zusammenfassen, da sowohl die grundlegenden Schreibmodelle als auch die dazugehörigen Prädiktoren in Beziehung gesetzt werden. Die Bereiche Volition, Motivation und Metakognition verknüpfen sich mit der Schreibmotivation und Selbstregulation, die für diese Arbeit tragend sind:
Schreibkompetenz ist, wie die dargelegten Ergebnisse zeigen, ein (höchst) komplexes Konstrukt, welches sich aus zahlreichen, ensembleartig zusammenwirkenden Teilfähigkeiten aus verschiedenen Fähigkeitsbereichen zusammensetzt (konstitutioneller, kognitiv-fähigkeitsbezogener, motivational-volitionaler und metakognitiver sowie spezifisch sprachbezogener Bereich) (Schmitt & Knopp, 2017:248).
Abb. 4:
Übersicht der Kandidaten für Prädiktoren (Schmitt & Knopp, 2017: 241)
Noch wird die Schreibkompetenz vorrangig im Unterrichtsfach Deutsch vermittelt. Norwegen zeigt jedoch, dass die Basiskompetenz Schreiben in allen Fächern curricular verankert sein sollte: „Every teacher, regardless of subject, is now responsible for the teaching of writing“ (Berge et al., 2016:180). Dafür entwickelten die Skandinavier das theoriebasierte Schreibmodell „The Wheel of Writing“ in zwei Varianten (Berge et al., 2016). Alle Ringe sind gegeneinander verschiebbar (siehe Abb. 5 und 6).
Abb. 5:
Wheel of Writing I (Berge et al., 2016: 180)
Die Abbildung 5 wird wie folgt gelesen: Der äußere Ring konzentriert sich auf die sechs Schreib- bzw. Sprachhandlungen to interact, to reflect, to describe, to explore, to imagine und to convince . Der mittlere Ring fokussiert sechs Schreibzwecke: Persuasion oder Knowledge development sind nur zwei Beispiele. Das Rad wird wiederum durch die semiotische Vermittlung zusammengehalten. Es ist kulturellen und situativen Kontexten ausgesetzt und wird von diesen beeinflusst. In der folgenden Abbildung 6 des Wheel of Writing sind der äußere und innere Ring gleich, der mittlere Ring hingegen fokussiert vier tools and resources for writing .
Abb. 6:
Wheel of Writing II (Berge et al., 2016: 182)
Modalities beinhaltet einerseits die Buchstaben, aber auch die Abbildungen, Piktogramme, Tabellen und Bilder. Text structure meint die lokalen und globalen Kohäsionsmittel. Writing tools schließt die Schreibmedien ein, ob Stift oder PC sowie weitere. Vocabulary and grammar bezieht sich einerseits auf den Wortschatz und andererseits auf die Grammatik. Darin enthalten ist auch die Syntax, welche in der Schriftsprache komplexer ist als im mündlichen Gebrauch.
Zusammengefasst setzt das Wheel of Writing zunächst beim Schreiber selbst an. Dieser zielt auf eine Schreibhandlung ab, was gleichzeitig auch mit dem Schreibziel gleichgesetzt werden könnte. Für die Erreichung dieses Schreibziels stehen ihm verschiedene personale, sprachliche und mediale Ressourcen zur Verfügung, die er nutzt, um durch das Schreiben einen Schreibzweck nicht nur für sich, sondern auch im Leseinteresse eines Adressatenkreises zu erfüllen.
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