2 Theorie & Fachwissenschaftliche Grundlagen zum Forschungsstand
Im folgenden zweiten Kapitel werden der Forschungsstand sowie die fachwissenschaftlichen Grundlagen und die damit verbundenen theoretischen Begriffe eruiert. Neben dem Begriff Schreibkompetenz wird die Schreibentwicklung anhand von Modellen und Forschungsergebnissen erläutert. Danach folgt die Spezifizierung der Schreibkompetenz vor und während der beruflichen Bildung. Die Erläuterung der Textsortenkompetenz im beruflichen Feld soll die berufliche Schreibanforderung näherbringen. Im Anschluss daran wird die Theorie des Schreibprozesses dargelegt, die die Entwicklung mehrerer Modelle miteinbezieht. Anschließend folgen die Präsentation der SRSD-Methode sowie zuvor durchgeführter Untersuchungen. Nachdem der Forschungsstand zusammengefasst ist, leitet die Untersuchungsidee die Fragestellungen und Hypothesen ein.
2.1 Schreibkompetenz und ihre Entwicklung
Eine Kompetenz beinhaltet Fähigkeiten und Fertigkeiten, die eine Person innehat und in bestimmten Situationen zeigen kann, was aber nicht immer als Performanz gesehen wird. Weinert (2001:27) spezifiziert ferner, dass Kompetenzen auch erlernt werden können und die zugrunde liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten mit motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften verknüpft sind, die in Situationen variabel eingesetzt werden.
Beispiel: Ein Skifahrer wird im Sommer die Fähigkeit des Skifahrens nicht am Strand zeigen können. Es ist eine Kompetenz, die er erlernt hat und in der Situation des Winterurlaubs mit Schnee als Performanz einsetzen kann.
Kompetenz ist somit ein gesichertes Wissen und Können (Thomas, 2007:94). Die Psychologen ordnen diesen Begriff als „Dispositionen“ (Sieland & Rahm, 2007:199) oder „latente Antwortbereitschaften“ (ebd.) ein. Ein gelerntes Verhalten kann folglich im „Verhaltensrepertoire“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191) vorhanden sein, wird aber erst in der „Verhaltensperformanz“ (ebd.) sichtbar. Ob diese Performanz gezeigt wird, hängt wieder von der intrinsischen Motivation ab. Diese Symbiose wird anhand folgender Definition erklärt:
Eine Person muss motiviert sein, ein Verhalten auszuführen; das heißt, es muss ein Beweggrund zum Handeln vorliegen. Die Motivation wird von der Erwartung bestimmt, durch das Verhalten eine Belohnung zu bekommen. Diese Erwartungen werden durch Erfahrungen gelernt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191).
In der Sprachwissenschaft können die folgenden Definitionen festgehalten werden, die einerseits den Kompetenzbegriff und andererseits spezieller die kommunikativen Kompetenzen eingrenzen:
Kompetenzen sind per definitionem als kognitive Prozesse nicht direkt beobachtbar, sondern müssen anhand abgeleiteter Konstrukte untersucht werden. Sie werden dann an der (sprachlichen) Oberfläche in der Performanz sichtbar. Dieses ‚Zeigen‘ der Kompetenz muss in dem oben beschriebenen Rahmen für alle vergleichbar entsprechend initiiert und anhand gemeinsamer, festgelegter Indikatoren ausgewertet werden (Neumann, 2014:58f.).
Vor diesem Hintergrund lässt sich kommunikative Kompetenz als mehrmodulares Konstrukt in Teilkompetenzen untergliedern: in eine Sprachsystemkompetenz (grammatische Kompetenz), eine soziolinguistische Kompeten (Repertoire, Varietäten-, Registerbeherrschung und -bewusstheit, Fähigkeit zum flexiblen Code-Switching), eine pragmatische Kompetenz (zur Zielerreichung), eine Text-/Diskurskompetenz (Textstrukturierungskompetenz) sowie in eine strategische und eine soziale/soziokulturelle Kompetenz (Efing, 2015:21).
Zusammengefasst sind Kompetenzen nicht direkt beobachtbar, sondern erst in ihrer Performanz zu sehen. Unser Schulsystem wiederum beurteilt nicht die Kompetenz, sondern bewertet die Leistungsperformanz, ein Spezifikum der Performanz (von Saldern, 2011:38). Die Schreibkompetenz ist folglich ein latentes Konstrukt, da sie latente Merkmale besitzt, die nicht in Gänze beobachtbar sind (Grabowski, 2017:317). Darauf soll nun genauer eingegangen werden: Um die verborgene Schreibkompetenz zu messen, müssen manifeste Indikatoren gewählt werden: „Die Besonderheit der schreibdidaktischen Erforschung von Textkorpora besteht vor diesem Hintergrund darin, dass nicht einfach nur Texte untersucht werden, sondern Texte als Indikatoren für die Schreibkompetenz eines Individuums “ (Steinhoff, 2017:354) gelten. Schreibaufgaben können Textindikatoren durch die entstandenen Texte vorweisen: „Wie kompetent ein Schreiber oder eine Schreiberin ist, lässt sich am Schreibprozess, aber immer auch am Schreibprodukt erkennen“ (Steinhoff, 2017:352). Schreibkompetenz hängt somit mit der Textproduktion eng zusammen:
Der Begriff Schreibkompetenz fokussiert auf eine effektive, zielgerichtete und adressatenorientierte Textproduktion. Hierfür braucht es neben graphomotorischen und (meta- )kognitiven Prozessen, die den Kern des Schreibens bilden, eine gewisse Schreibmotivation, und Schreiben hat eine soziale Dimension insofern, dass man typischerweise für jemanden schreibt oder – zunehmend – mit jemandem (Philipp, 2015b: 9).
Die Schreibkompetenz ist somit der empirische Zusammenhang zwischen Textprodukt und Textproduktionsprozess (Philipp, 2015b: 33). So ist das auch beim Schreiben. Textsorten wie die Einladung, die im beruflichen Alltag weniger zum Tragen kommen, werden in der Schule oder im Elternhaus erlernt. Dennoch kann diese Kompetenz in der Situation einer Geburtstagsfeierplanung eingesetzt werden.
Die Deutschdidaktik berücksichtigt in den Bildungsstandards (KMK, 2004, 2005) neben der Förderung der Schreibkompetenz auch die Schreibentwicklung der Schüler. Diese wird wie folgt definiert:
Der Begriff Schreibentwicklung fasst die Entwicklung der Schreibfähigkeit als einen kontinuierlichen Prozess ,nach dem Erwerb‘ grundlegender Fähigkeiten in den ersten Schuljahren, welche für das Erstlesen und das Erstschreiben ausschlaggebend sind. Er umfasst die Prozesse und Entwicklungen, welche für das weiterführende Schreiben konstitutiv sind (Bachmann, 2002:59).
Ein bis heute grundlegendes Modell für die Schreibentwicklung ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980; siehe Abb. 1).
Abb. 1:
Schreibentwicklungsmodell (Bereiter, 1980: 85)
Bereiters Modell zeigt, dass die Schreibentwicklung nach dem Ende der Schulzeit nicht abgeschlossen ist. Dieses Schreibentwicklungsmodell sollte daher nicht linear aufgefasst werden, sondern fokussiert diverse Parameter wie den Prozess, das Produkt oder den Leser und setzt sie zu kognitiven Entwicklungsschreibphasen in Beziehung. Diese Orientierung initiiert diverse Schreibmodi – wie das assoziative, performative, kommunikative oder das epistemische Schreiben. Dabei werden verschiedene kognitive Aufgaben gelöst:
In der kognitiv orientierten Lern- und Gedächtnisforschung stehen statt einfacher Zusammenhänge zwischen Reizen und Reaktionen – wie im Behaviorismus – komplexe Konzepte wie Wahrnehmung, Problemlösen, Entscheidungsverhalten und Informationsverarbeitung im Mittelpunkt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:145).
Dieses Zitat kann das Modell von Bereiter in Bezug auf die kognitiven Aufgaben erklären. So kann beispielsweise der Schreiber seine Leserschaft fokussieren, dabei werden sozial-kognitive Aufgaben erfüllt, die ein kommunikativ orientiertes Schreiben hervorbringen. Bereiters Modell ist immer wieder eine Vorlage für die Schreibforschung, wie auch Fix (2000) sie aufgegriffen hat:
Fix (2000:316) bestätigt in seiner Studie, dass bei einer freien Schreibaufgabe die Schüler „epistemische Schreibfunktionen nutzen, ohne kommunikatives Schreiben zu praktizieren“. „Die einzelnen Komponenten sind prinzipiell auf allen Erwerbsstufen möglich, aber eben auf verschiedenen Niveaus“ (ebd.).
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