Er war kein Orientalist alten Schlages, der, so gelehrt er sein mochte, nie einen Fuß in das Land gesetzt hat, dem seine Forschung galt. Der achtjährige Aufenthalt in Indien hatte Horovitz geprägt und ihm jene Weltoffenheit und Weltläufigkeit und jene Einsicht in die Fragen der Weltpolitik gegeben, die man an ihm schätzte. Sein Buch über Indien unter britischer Herrschaft, das beste seiner Art, zeigt bei aller Verständnisinnigkeit und Umsicht jene nüchterne Klarheit, durch die sein Denken und Urteilen sich auszeichneten, diese Eigenschaften auch seiner übrigen wissenschaftlichen Arbeit. Sie imponiert im übrigen durch ihre Vielseitigkeit. Er war der beste Kenner besonders des indischen Islams, ihn beschäftigte die altarabische Dichtung ebenso wie das ältere jüdische Schrifttum. Er widmete sich dem antiken Lustspiel im islamischen Schattenspiel. Sein Lebenswerk sollte der große wissenschaftliche Kommentar des Korans werden, ein Werk, das er nun unvollendet hinterlassen muss. Er war eine internationale Größe und Berühmtheit seines Faches. Man weiß, dass ihm die Einrichtung des orientalischen Instituts der Universität Jerusalem verdankt wird und dass es von ihm inspiriert wurde.42
Seine Schüler, wie Shlomo Dov Goiten (1900-1988) oder Johann Fück (1894-1974), haben einen entscheidenden Einfluss auf die jüdische Islamwissenschaft ausgeübt. Posthum ist sein Artikel „Islam“ in Enzyklopädia Judaica 43 erschienen und die Ausgabe des Al-Baladhuri44 wurde erst 1936 von Shlomo Dov Goiten angefangen, „published for the first time by the School of Oriental Studies, Hebrew University.“45 Goiten war 1949-1956 der Direktor der School of Oriental Studies in Jerusalem, bevor er nach Amerika ging!
Goitens Vertretung wurde von Martin Plessner46 (WS 1931/32) übernommen. In Breslau geboren, Urenkel vom berühmten orthodoxen Prediger Solomon Plessner (1797-1883), wurde Plessner Assistent von Hellmut Ritter in Hamburg und arbeitete danach am Berliner Institut für Geschichte der Wissenschaften (1927-1929). 1933 ging er nach Palästina, unterrichtete in Beit sefer reali in Haifa und schrieb die erste arabische Grammatik in modernem Ivrit. Mitarbeiter der jüdischen Nationalbibliothek wurde er 1952 Assistent ( Marzeh ) und 1955 Professor an der Hebräischen Universität. „Die Islamwissenschaft, genauer: die Geschichte der politischen, kulturellen und geistigen Entwicklung der islamischen Welt als eines Ganzen sowie der einzelnen Völker, die sich zur Religion Muhammads bekannten oder bekennen, ist einer der jüngsten Zweige am Baume der morgenländischen Studien“ schrieb er in seiner Antrittsvorlesung, die am 21. Februar 1931 in Frankfurt stattfand. „Die Wissenschaft ist im Islam von allem Anfang an als ancilla theologiae aufgetreten; und schon weil sie in Übereinstimmung mit Glaube und Pflichtenlehre bleiben musste, konnte von Freiheit ebensowenig die Rede sein wie in Europa vor dem 19. Jahrhundert.“ Nachdem er sein Programm beschrieben hatte, sagte Plessner zum Schluss: „Und vielleicht wird gerade die Kenntniss des ganz Andersartigen dazu beitragen, Gesichtspunkte für die Beurteilung unserer eigenen Verhältnisse zu gewinnen, die übrigens mit den islamischen, als dem Gegenstück zu denen des mittelalterlichen Abendlandes, viel mehr Beziehungen verknüpfen, als uns auf den ersten Blick scheinen möchte.“47
Nachfolger von Horovitz war der Berliner Gotthold Weil (1882-1960), der auch an den Balhaduri-Projekten entscheidend mitgearbeitet hat. Geboren in Berlin, war er der Urenkel von Simha Weil, dem Großrabbiner von Berlin am Ende des 18. Jahrhunderts. Er hat an der Universität studiert sowie an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Schüler des Arabisten Eduard Sachau, dessen Festschrift er herausgab,48 wurde Weil nach seiner Dissertation (1905) Bibliothekar an der Kaiserlichen Bibliothek in Berlin (1906), wo er 1918 die Orientalische Abteilung mitgründete und leitete. 1920 war er Privatdozent für Semitische Philologie und Islam in Berlin. Sehr früh kam er als Professor für die noch zu eröffnende Hebräische Universität ins Gespräch:
Im Namen des Herrn Dr. J. L. Magnes gestatten wir uns, Ihnen anbei einen Bericht über die kürzlich in London stattgefundene Universitätskonferenz zu überreichen. Die Konferenz beschloss, an mehrere jüdische Gelehrte heranzutreten und sie zur Übernahme von Lehrstühlen an dem zu gründenden judaistischen Institut einzuladen. Sie beschloss u.a. auch einen Lehrstuhl für die arabische Sprache zu schaffen und Herrn Prof. Mittwoch einzuladen, diesen zunächst für die Dauer eines Jahres, zu übernehmen. Da er Dr. Magnes, der von der Konferenz mit der Vorbereitungsarbeit für das Institut betraut worden ist, sehr in Zweifel ist, ob Prof. Mittwoch im gegenwärtigen Zeitpunkt bereit sein wird, das ihm angetragene Lehramt zu übernehmen, so hat er uns, entsprechend den ihm von der Konferenz erteilten alternativen Instruktionen ersucht, Sie zu befragen, ob Sie bereit wären, für den Fall, dass Herr Prof. Mittwoch nicht imstande ist, der Einladung zu folgen, das erwähnte Lehramt zu übernehmen.49
1931 wurde Weil Nachfolger von Horovitz an der Universität Frankfurt. Im selben Jahr bekam er folgenden Brief von Judah Magnes:
You will be glad to know that the meetings of the Board of Governors and the Academic Council have passed off satisfactorily and I am very happy to be able to inform you that you were unanimously elected a member of the Board of Governors and that you are to be invited by unanimous vote to become the Visiting Director of the School of Oriental Studies in place of the late Professor Horovitz. You know how happy this makes me and how happy also Schloessinger50 will be, and you will be pleased also to know that the members of the School of Oriental Studies in Jerusalem ware unanimous in urging us to have this invitation extended to you. I have heard about the possibility of your going to Frankfurt and I want to extend to you my very best wishes for fruitful scientific work in your new position. This will also give us the opportunity of being in closest touch with you and I hope that conditions may sometimes shape themselves in the not too distant future to enable us to bring you to Jerusalem, where I think you could perform a great service.51
Die Zukunft kam viel schneller, als Magnes dachte: 1933 stand Weil unter Berufsverbot und etablierte sich in Jerusalem; kurz vorher wurde ihm die Redaktion der berühmten Zeitschrift der deutsche Morgenländische Gesellschaft angeboten: „Dass eine solche Zeitschrift notwendig ist und dass es trotz der Schwere der Zeiten möglich sein muss, sie durchzuhalten und ihr weitere Bedeutung zu verleihen, erscheint mir zweifellos. Gewisse organisatorische Gaben scheinen mir für die Leitung einer solchen Zeitschrift notwendig zu sein, aber dass Sie diese zu Genüge besitzen, haben Sie ja in Ihrer früheren Tätigkeit bewiesen.“52 Weil war auch am Anfang, zwischen 1931-1935, visiting Director . In diesem Jahr ersetzte er Shmuel Hugo Bergmann als Direktor der Universitäts-und Nationalbibliothek (bis 1946). Übrigens dank des in Jerusalem geborenen Gelehrten Abraham Shalom Yahuda und des in Collège de France lehrenden Louis Massignon wurde die Bibliothek von Ignaz Goldziher von der Bibliothek der hebräischen Universität gekauft. Weil hat bis 1952 regelmäßig mit Erfolg im Gebiet der semitischen Linguistik and arabischen Sprache und Literatur (so wurde sein Lehrstuhl genannt) gelehrt. Sein Spezialgebiebt war die türkische Sprache.53 Ein Blick in seinen Aufsatz Zum Verständnis der Methode der moslemischen Grammatiker: Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in Islam 54 zeigt den Unterschied zu unserer heutigen Auffassung der islamischen Kultur, was ihre Beziehungen zu der griechischen anbelangt:
Sahen die Griechen das Allgemeine, von dem sie ausgegangen waren, stets hinter dem Einzelnen, so rangen sich die Muslime von dem gegebenen Einzelnen nur schwer zum Allgemeinen durch. Schufen die Griechen daher eine Theorie von der Sprache im Allgemeinen, die wegen ihrer formalen Gültigkeit auf alle Sprachen anwendbar ist, so ist die Terminologie der islamischen Grammatiker nur auf die Grammatik der arabischen Sprache anwendbar, weil sie nur aus ihr heraus abstrahiert ist.55
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