La poésie, pour peu qu’on veuille descendre en soi-même, interroger son âme, rappeler ses souvenirs d’enthousiasme, n’a pas d’autre but qu’elle-même; elle ne peut pas en avoir d’autre, et aucun poème ne sera si grand, si noble, si véritablement digne du nom de poème, que celui qui aura été écrit uniquement pour le plaisir d’écrire un poème.11
Baudelaire negiert nicht die Möglichkeit, dass die Dichtung den Menschen letztlich besser machen könne, wohl aber, dass dies ihre Aufgabe sei. Ja, er stellt fest, dass ein Dichter, der solches anstrebt, seine poetische Kraft schwächt, so dass zu wetten stehe, dass sein Werk schlecht sei:
La poésie ne peut pas, sous peine de mort ou de défaillance, s’assimiler à la science ou à la morale; elle n’a pas la Vérité pour objet, elle n’a qu’elle-même.12
Laster und Ungerechtigkeit verstoßen jedoch gegen die universale Ordnung und Harmonie und verletzen so den Schönheitssinn des Dichters13. Dieser Sinn für das Schöne ist es, der den Menschen die universalen Zusammenhänge begreifen und die Erde als eine Entsprechung des Himmels verstehen lässt; er ist Beweis unserer Unsterblichkeit und ein Ausdruck unserer Sehnsucht nach den himmlischen Freuden:
C’est cet admirable, cet immortel instinct du Beau qui nous fait considérer la terre et ses spectacles comme un aperçu, comme une correspondance du Ciel. La soif insatiable de tout ce qui est au delà, et que révèle la vie, est la preuve la plus vivante de notre immortalité. C’est à la fois par la poésie et à travers la poésie, par et à travers la musique que l’âme entrevoit les splendeurs situées derrière le tombeau; et quand un poème exquis amène les larmes au bord des yeux, ces larmes ne sont pas la preuve d’un excès de jouissance, elles sont bien plutôt le témoignage d’une mélancholie irritée, d’une postulation des nerfs, d’une nature exilée dans l’imparfait et qui voudrait s’emparer immédiatement, sur cette terre même, d’un paradis révélé. (S. 334)
Baudelaire gibt die Worte Poes hier kaum verändert wieder:
An immortal instinct, deep within the spirit of man, is thus, plainly, a sense of the Beautiful. […] We have still a thirst unquenchable […] This thirst belongs to the immortality of Man. It is at once a consequence and an indication of his perennial existence. […] It is no mere appreciation of the Beauty before us – but a wild effort to reach the Beauty above. […] And thus when by Poetry – or when by Music, the most entrancing of the Poetic moods – we find ourselves melted into tears – we weep then – not […] through excess of pleasure, but through a certain, petulant, impatient sorrow at our inability to grasp now, wholly, here on earth, at once and for ever, those divine and rapturous joys, of which through the poem, or through the music, we attain to but brief and indeterminate glimpses.14
Das Ringen um einen wenn auch nur kurzen Blick auf die höhere Schönheit hat nach Poe der Welt alles das beschert, was als poetisch empfunden wird:
The struggle to apprehend the supernal Loveliness […] has given to the world all that which it (the world) has ever been enabled at once to understand and to feel as poetic. (S. 274)
und so stellt er schließlich fest, dass sich das Poetische stets in einer erhebenden Erregung der Seele manifestiere:
It has been my surpose to suggest that, while this [Poetic] Principle itself is, strictly and simply, the Human Aspiration for Supernal Beauty, the manifestation of the Principle is always found in an elevating excitement of the Soul […] (S. 290)
Auch diese Formulierung übernimmt Baudelaire fast wörtlich:
Ainsi le principe de la poésie est, strictement et simplement, l’aspiration humaine vers une beauté supérieure, et la manifestation de ce principe est dans un enthousiasme, une excitation de l’âme […].15
Die Wendung „une excitation de l’âme“ wird er zwei Jahre später noch durch das eindeutigere „un enlèvement de l’âme“16 ersetzen, wenn er den ganzen Passus im Artikel über Théophile Gautier wiederholt und ihn dabei als Selbstzitat ankündigt17. Valéry hat dieses „Poe-Plagiat“ Baudelaires im Sinne seiner Aneignungsthese als Beleg dafür verstanden, wie sehr sich die Positionen beider Autoren deckten18.
Baudelaire ist also mit Poe der Überzeugung, dass die Dichtung – und mit ihr die anderen Künste19 – dem Menschen ekstatische Momente bescheren können, die ihm einen Blick auf höheres Glück gewähren. Mit dem Zusatz der „erhebenden“ seelischen Erregung („an elevating excitement of the Soul“) geht Poe dabei über die Feststellungen seiner angelsächsischen Vorgänger wie etwa Coleridges hinaus, der nur vom „(pleasurable) Excitement“ gesprochen hatte und davon, dass der Dichter die menschliche Seele ganz allgemein in Erregung versetze: „The poet […] brings the whole soul of man into activity […]“20. Baudelaire folgt dagegen Poes Ansicht vom Streben nach der „Supernal Beauty“, für dessen Verwirklichung in Dichtung und Kunst er seinerseits den Begriff „surnaturel“ bzw. „surnaturalisme“ bereithält.
Das „Poetic Sentiment“, wie Poe die ekstatische Erregung der Seele durch die Betrachtung der Schönheit genannt hat21, war für Baudelaire ein besonderer Fall des „état exceptionnel de l’esprit et des sens“, der zu seinen anthropologischen Grundüberzeugungen zählte. In den Journaux intimes charakterisiert er den außergewöhnlichen Zustand des Geistes und der Sinne mit knappen Worten:
Il y a des moments de l’existence où le temps et l’étendue sont plus profonds, et le sentiment de l’existence immensément augmenté.22
Im ersten Kapitel des Poème du hachisch findet sich seine ausführliche Beschreibung. Der „état exceptionnel“, heißt es dort, sei eine Erfahrung, die jedermann zugänglich und vertraut ist:
Il est des jours où l’homme s’éveille avec un génie jeune et vigoureux. Ses paupières à peine déchargées du sommeil qui les scellait, le monde extérieur s’offre à lui avec un relief puissant, une netteté de contours, une richesse de couleurs admirables. Le monde moral ouvre ses vastes perspectives, pleines de clartés nouvelles. L’homme gratifié de cette béatitude, malheureusement rare et passagère, se sent à la fois plus artiste et plus juste, plus noble, pour tout dire en un mot.23
In diesem Zustand zeigt sich die Welt dem Menschen in einem neuen und klareren Licht. Zur äußeren Vielfalt der Formen und Farben gesellen sich unbegrenzte innere Perspektiven und Einsichten. Die seelischen Kräfte sind im Gleichgewicht („toutes les forces s’équilibrent“), die Phantasie ist auf wunderbare Weise mächtig („l’imagination […] merveilleusement puissante“), sinnliche und geistige Wahrnehmung sind geschärft („une sensibilité exquise“, „[c]ette acuité de la pensée“)24. Alle Fähigkeiten sind gesteigert und der Mensch ist im schönsten Einklang mit sich selbst:
[…] cette condition anormale de l’esprit [est] comme […] un miroir magique où l’homme est invité à se voir en beau, c’est-à-dire tel qu’il devrait et pourrait être; une espèce d’excitation angélique, un rappel à l’ordre sous forme complimenteuse. (Ebd.)
Unglücklicherweise ist dieser „paradiesische“25 Zustand selten und von kurzer Dauer26; auch lässt er sich, wie eine Gnade („comme une véritable grâce“), nicht vorhersehen und durch kein noch so wohl überlegtes Vorgehen erzwingen. Doch ist er den Menschen immer erstrebenswert erschienen, weil er sie, und sei es nur für kurze Zeit, aus ihrem „habitacle de fange“ und den „lourdes ténèbres de l’existence commune et journalière“ befreit. Daher haben sie seit jeher ihre Zuflucht zu allerlei Mitteln genommen, um ihn auf künstliche Weise zu erzeugen:
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