Zara feierte vor dem E-Commerce Erfolge im herkömmlichen Einzelhandel, tat dies aber mit Methoden, die auch für den Online-Handel richtungweisend sind:
Echtzeitauswertung, schnelle Logistiklösungen, zentral gesteuerte Agilität. Das sind alles technologiegestützte Werkzeuge, die in der DNA des Internets festgeschrieben sind .
Wo Zara zum Beispiel zunächst kleine Mengen an neuen Designs herstellt, um deren Verkauf auszuwerten, perfektionieren Google und Facebook ihre leistungsfähigen Algorithmen dadurch, dass neue Varianten erst als Beta-Version in kleinen Testgruppen eingesetzt werden. Was sich im kleinen Rahmen in der Praxis nicht bewährt, wird nicht großflächig umgesetzt: Es ist ein System fast ohne Risiko.
Und es ist ein System, das sich erst online mit voller Kraft entfaltet. Zara gelang im stationären Handel mit diesem Efficient-Consumer-Response-Ansatz so etwas wie eine Revolution. Zalando zeigt die weitere Evolution dieses Modells – und zwar in dem für das Internet charakteristischen Zeitraffer und mit dem für E-Commerce üblichen Hochdruck.
Denn: Damit dieses System aufgeht, muss ein Online-Händler wie Zalando sogar schneller zur Stelle sein als ein Hersteller wie Zara, der gefragte Ware teilweise Wochen vor seinen Konkurrenten anbietet. Bestellt ein Online-Händler zu knapp, müssen die Logistikzentren auf Nachlieferung warten – und der Kunde klickt sich währenddessen einfach zum nächsten Anbieter durch, der das Produkt gerade vorrätig hat. Kunden im stationären Einzelhandel dagegen sind noch in den Gesetzen von Zeit und Raum gefangen. Noch schlechter sieht es aus, wenn der Online-Händler den gefragten Artikel überhaupt nicht im Sortiment führt: Die nächste Webseite, auf der er käuflich zu erwerben ist, ist wieder einmal nur einen Klick entfernt.
Ganz wie Zara testet Zalando also erst Produkte in kleinen Mengen im Sortiment. Verkauft sich der Bestand schnell, so weiß dies Zalando auch in Echtzeit und kann das gefragte Produkt nachbestellen, bevor das letzte Exemplar verkauft wurde. Zudem – wieder ganz wie Zara – hat Zalando früh angefangen, eigene Marken aufzubauen: Ist doch die Marge, die sich als Händler mit eingekauften Waren einnehmen lässt, selbst bei einem Netzwerk an sehr großen, sehr günstigen Logistikzentren, sonst zu dünn. Durch die allgegenwärtige Bedrohung, dass der Kunde ein Preisgefälle schnell entdeckt und einfach zum Konkurrenten weiterklickt, ist der Preiskampf im Internet knallhart, bisweilen ruinös.
Abbildung 2.4: Schematische Gegenüberstellung von Push- und Pull-Supply-Chain
Quelle: in Anlehnung an Michael Levi et. al, Retailing Management, McGraw-Hill, 2013, S. 261
Die Eigenmarke ist aber auch deswegen eine wichtiger Evolutionsschritt bei Zalando, weil sie einen weiteren Mechanismus der Beschaffung im E-Commerce offenlegt: Wer online als Händler auftritt, sammelt massenhaft Daten über Verkaufserfolge sowie stark gesuchte Produkte. Merkt also Zalando, dass sich etwa Markenstiefel in einer besonderen Optik gut verkaufen, so kann der Händler über eine seiner Eigenmarken wie „Stups“ zum Hersteller werden und anfangen, ähnliche Stiefel zu produzieren. Noch interessanter sind gegebenenfalls die Daten über teure Markenartikel, die sich Kunden zwar oft anschauen, aber nicht kaufen. Der gewiefte Beschaffer sieht, dass Nachfrage zwar vorhanden, das bestehende Angebot jedoch wohl unerschwinglich ist – und kann selbst eine günstigere Variante in Auftrag geben. Im Frühjahr 2019 gab Zalando allerdings bekannt, sich vom Eigenmarkengeschäft zu verabschieden, da sich dieses nicht mit den strategisch übergeordneten Plattform-Plänen vereinbaren lasse. In diesem Gatekeeper-Ansatz als „Ökosystem“ für Fashion geht es dann stärker um die Vermittlung von Aufträgen an Partner, und eigene Labels sind hier möglicherweise hinderlich. 3
Amazon ist seit Jahren für solche „Rosinenpickerei“ auf seinem Marktplatz bekannt: Verkauft sich ein Artikel eines dritten Händlers dort gut, wandert er – oder ein sehr ähnlicher – bald ins Amazon-eigene Sortiment rüber. So hat sich Amazon in der Testphase die Kapitalbindung für den Einkauf gespart und steigt erst dann ein, wenn sich das Produkt nachweislich gut verkauft. Zalando ist hier aber einen ganzen Schritt weiter vorn in der Wertschöpfungskette: Verkauft sich ein Artikel gut, kann er in sehr ähnlicher Aufmachung von Zalando selbst hergestellt werden. Inzwischen beginnt auch Amazon verstärkt mit der Produktion von Eigenmarken – seien es Elektronik-Zubehörprodukte unter „Amazon Basics“ oder Heimtextilien unter der Eigenmarke „Pinzon“ (siehe auch 2.4.2 Online-Vertriebskanäle ).
Kundenorientierte Beschaffung im Netz ist also keine Frage des Gefühls, sondern der Datenlage. Der Händler, der auch mal Hersteller ist, hat als Händlergenaue Verkaufsdaten der Konkurrenz, an die man als konkurrierender Herstellerso nicht herankommen würde. Aber selbst ein reiner Händler hat im E-Commerce einen gewaltigen Datenvorteil.
2.1.3Optimierung des Angebots
Pull-Effekt: Im E-Commerce vor dem Kaufvorgang
Im stationären Einzelhandel – selbst bei einem so agilen, aktuellen Anbieter wie Zara – fängt Sortimentsoptimierung erst mit dem Kauf eines Artikels an: Erst dann zeigt sich, ob das Produkt nachgefragt wird. Im Netz sieht es anders aus, denn die Nachfrage kann vor dem Kauf vorhergesehen werden. Kunden werden dadurch transparenter, dass sie ihre Wünsche in Schriftform elektronisch äußern. Sowohl in einem Online-Shop als auch generell im Netz tastet ein Kunde sich in rückverfolgbaren Suchbegriffen an das heran, was er gerade kaufen möchte. Auch wenn der Kunde einen Artikel nicht direkt kauft, sieht man ihm im Netz unmissverständlich an, dass er sich für ein Produkt interessiert. Bei der Sortimentsoptimierung setzt man also früher an, als es im stationären Einzelhandel je der Fall sein könnte, und zieht den Prozess bis in die nachträgliche Verkaufsanalyse durch.
Im Folgenden stellen wir nun die einzelnen Werkzeuge dar, mit denen im E-Commerce Sortimente optimiert werden. Dabei unterteilen sich die verfügbaren Methoden in drei Kategorien:
Off-site:Online-Werkzeuge, die nicht auf der eigenen Webpage sind.
On-site:Online-Werkzeuge, die im eigenen Webshop angesiedelt sind.
Klassisch:die üblichen Analysen, die auch im stationären Einzelhandel verwendet werden.
Durch eine geschickte Kombination dieser Optionen gelingt es Beschaffern im E-Commerce, ein umfassendes Bild über das Abschneiden des aktuellen Sortiments sowie über die Möglichkeiten und Erfordernisse in Bezug auf das künftige Sortiment zu gewinnen.
Off-site: Die Geräuschkulisse im Netz
Wir fangen off-site an, denn da kommt der Interessent her, den es in einen Kunden zu verwandeln gilt. Vor dem Internet – und heute noch im klassischen Einzelhandel – wurde mittels Marktforschung und Umfragen versucht, herauszufinden, was sich potenzielle Kunden wünschen. Sonst war ein probates Mittel: Ausprobieren. Der Shopmanager stellte Produkte ins Sortiment und ins Schaufenster und per Ausschlussverfahren wurde festgestellt, welche Artikel Nachfrage erzeugten.
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