In Frankreich der Grund und Boden in zahlreichen Händen (7 846 000 bei einer Bevölkerung von 38 Millionen) zersplittert; Kleinbetrieb des Ackerbaues; die Bauern durchschnittlich verschuldet; nicht Lohn-, aber Hypothekensklaven, indirekte Sklaven des Kapitals, der großen Mehrzahl nach in den jämmerlichsten Verhältnissen lebend; infolge Kapitalmangels irrationelle Bewirtschaftung des Bodens, geringe Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 215 Francs auf den Kopf, Männer, Frauen und Kinder der ackerbautreibenden Bevölkerung zusammengerechnet – nicht der dritte Teil dessen, was in England auf den Kopf kommt) und bei unsinniger Arbeitsvergeudung karger Bodenertrag (sieben französische Bauern verrichten die Arbeit von zwei englischen Landarbeitern, und der Acre in Frankreich ergibt 18 Bushel Hohlmaß. 1 Bushel = 36,35 Liter.gegen 30 in England) – der französische Parzellenbauer sich plackend für seinen Gläubiger, wie der englische agricultural labourer für den Pächter und Landlord.
In England der Grund und Boden in wenigen Händen (30 000 bei einer Bevölkerung von 30 Millionen) konzentriert; kapitalistischer Großbetrieb des Ackerbaues; der unabhängige Bauernstand bis auf die letzte Spur ausgetilgt; statt freier Bauern unglückliche Lohnsklaven, die selbst unter den Komfort des Workhouses herabgedrückt sind; dagegen vergleichungsweise rationelle Bewirtschaftung, mit Benutzung – natürlich nur, soweit es das Interesse des Landlords und Farmers erheischt – der durch Wissenschaft und Kapital gebotenen Vorteile; infolgedessen intensive Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 715 Francs per Kopf, die gesamte ackerbautreibende Bevölkerung, Weiber und Kinder eingerechnet, und reichlicher Bodenertrag) zum ausschließlichen Nutzen der Landlords und Pächter.
Das französische System ruiniert den Staat; ruiniert das Land; ruiniert den Bauer; führt, wenn eine vernünftige, das Volkswohl erstrebende Politik nicht vorher eingreift, zum allgemeinen Bankrott und muß schließlich durch Anheimfallen der kleinen Höfe an die kapitalistischen Gläubiger oder durch Versteigerung an den Meistbietenden und Meisthabenden in das englische Landsystem übergehen.
Und das englische Landsystem? Es ermöglicht zwar eine relativ rationelle Bewirtschaftung des Bodens, raubt aber dem arbeitenden Volke die Früchte derselben und wirft sie den wenigen Monopolisten in den Schoß; es verurteilt die sich abschindenden Bebauer des Bodens zur hoffnungslosen Armut und häuft auf die müßiggängerischen Eigentümer unermeßliche Schätze, die sie teils in wüster Immoralität verprassen, teils unter Anwendung der korruptesten Mittel zur Befestigung ihrer ökonomischen und politischen Herrschaft benutzen. Es führt dahin, daß in nicht ferner Zeit eine Koalition von wenigen Familien, ja daß eine Familie den ganzen Grund und Boden in ihrem Besitz vereinigt und das Land nach Belieben aushungern kann.
Das ist der Stand der Grund- und Bodenfrage in den zwei ökonomisch fortgeschrittensten Kulturländern. Und nun zur Heimat.
In Deutschland haben sich die Grund- und Bodenverhältnisse infolge der Vielstaaterei und der Abwesenheit einer einheitlich gleichförmigen politischen Entwicklung nach keinem einheitlich gleichförmigen System ausgebildet. Wir begegnen in den verschiedenen Staaten und Landesteilen den verschiedensten und mannigfaltigsten Arten und Abarten des Grundbesitzes und entsprechend vielgestaltigen Zuständen der Landbevölkerung. Während wir im östlichen Teile Preußens und in Mecklenburg den englischen Großackerbau haben, herrscht am Rhein und überhaupt in Westdeutschland das französische Parzellensystem vor. Zwischen dem englischen und französischen System bewegen sich unsere deutschen Grundeigentumsverhältnisse: hier das eine, dort das andere mehr oder weniger entfaltet, häufig, ja wohl in den meisten Landstrichen, beide nebeneinander bestehend, ineinander überspielend. Um ein Beispiel zu wählen: in Hessen-Darmstadt haben wir vorwiegend das französische System, aber zwischen die kleinen Bauerngütchen haben sich die Großgüter der Standesherren, der Fürsten von Solms-Lich, Solms-Laubach, Grafen von Erbach usw. eingeschoben, die vollständig englisch bewirtschaftet werden und von Jahr zu Jahr mehr anschwellen durch die unaufhörliche Aufsaugung der kleinen Bauerngütchen. Diese großen Gutsherren sind richtige Hechte im Karpfenteich. Die armen Karpfen, das heißt die Kleinbauern, sind bloß dazu da, um die vornehmen Hechte zu mästen. Fürsten brauchen dies nicht zu sein, nicht einmal Adlige; ein guter Bürgerlicher, der sich für »sein« aus dem Mark des arbeitenden Volkes geschlagenes Geld ein »Rittergut«, oder was sonst die Bezeichnung sei, kauft, wird ein ebenso guter Hecht wie ein reichsunmittelbarer Fürst oder Landjunker mit ellenlangem Stammbaum. Wenn man Hechtszähne und einen Hechtsmagen hat und Karpfen in der Nähe, so lernt sich der Karpfenfang und das Karpfenfressen gar rasch. Mitunter hat der Hecht philanthropische Anwandlungen; er sucht das Bäuerchen, welches zu den verspeisten Äckern gehörte, wenigstens vor unmittelbarem Verderben zu retten. So ist es im Odenwald vorgekommen, daß ein ganzes Dorf von dem Grafen von Erbach gekauft und die Einwohnerschaft samt dem Bürgermeister und Dorfpolizeidiener dann hübsch fürsorglich nach Amerika geschickt wurde, wo die Leute nun die Segnungen republikanischer Freiheit genießen. Das war gewiß »liberal«, in doppelter Beziehung, und – der Herr Graf hat unzweifelhaft seine Rechnung dabei gefunden.
Man kann zugeben, daß die Lage unserer Landbevölkerung in manchen Gegenden Deutschlands nicht so schlimm ist wie in England und Frankreich; auch unsere industriellen Zustände, für welche die gleichen ökonomischen Gesetze gelten, sind noch nicht so auf die Spitze getrieben wie in den beiden genannten Ländern, was aber nicht hindert, daß sie, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit, genau in der nämlichen Richtung vorwärts drängen. Mag hier und da auf dem Lande der Bauer und Landarbeiter sich noch vergleichungsweise eines idyllischen Daseins erfreuen – nach den ehernen Gesetzen der heutigen Gesellschaftsorganisation eilen wir unaufhaltsam im Norden und Osten englischen, im Süden und Westen zunächst französischen, schließlich aber, wenn nicht beizeiten die Entwicklung in andere, heilsame Bahnen geleitet wird, ebenfalls durch die notwendige Aufsaugung der kleinen Bauerngüter englischen Zuständen zu. Der mecklenburgische und ostpreußische Bauernknecht ist schon jetzt nicht besser dran als der englische agricultural labourer (Landarbeiter); ja in mancher Beziehung noch schlimmer, denn er vereinigt in seiner Person das Elend des modernen Lohnsklaven und die Rechtlosigkeit des mittelalterlichen Leibeigenen. Der deutsche Ackerknecht steht unter dem Stock, kann von seinem Gutsherrn zum Krüppel, ja totgeschlagen, wenn er sich muckst, niedergeschossen werden, ohne daß ein Hahn danach kräht. Das wenigstens kann dem englischen Landarbeiter nicht geschehen. Aushungern darf ihn der Pächter oder Gutsherr, ihm das Mark aussaugen, ihn ins Armenhaus werfen, nachdem er den letzten Rest von Arbeitskraft aus ihm herausgepreßt hat, aber ihn schlagen! Nimmermehr. Abgesehen davon, daß kein englischer Landarbeiter es sich ungestraft gefallen ließe, würden auch die eigentumstollsten englischen Friedensrichter und Geschwornen dem Pächter oder Gutsherrn, der einen Arbeiter, ohne von ihm angegriffen zu sein, körperlich mißhandelte, zu einer empfindlichen Strafe verurteilen.
Es fehlt uns für Deutschland jene Fülle des statistischen Materials, die für die ländlichen Verhältnisse Englands vorhanden ist; hat man doch vor einer die sozialen Zustände beleuchtenden Statistik bis jetzt in unserem Vaterlande eine heilige Scheu. Wenn Kinder vor etwas Unangenehmem die Augen zukneifen, vermeinend, daß das nicht Gesehene auch nicht existiere, so können wir ob solch kindlicher Naivität lachen. Wenn aber Staatsmänner, wenn Regierungen dasselbe tun, so ist das sicherlich nicht zum Lachen und verrät jedenfalls, abgesehen von der törichten Handlungsweise, ein sehr schlechtes Gewissen. Indes ermangeln wir doch nicht aller statistischen Anhaltspunkte. Nach einer Berechnung in den »Landwirtschaftlichen Annalen« des Mecklenburger patriotischen Vereins betrug 1865 die jährliche Gesamteinnahme einer wohlsituierten Landarbeiterfamilie, einer Familie von Dienst- oder Instleuten 283 Taler, wovon jedoch 100 Taler für sogenannte »Scharwerker« abzuziehen sind, so daß sich die Einnahme auf 183 Taler, das ganze Jahr hindurch, für die Arbeit von Mann, Frau und Kindern, beläuft. Und wohlgemerkt: diese Berechnung ist von Gutsbesitzern gemacht, die ein Interesse daran haben, die Dinge in rosigem Licht erscheinen zu lassen. Mit den »Scharwerkern« aber hat es folgende Bewandtnis: Unter den ländlichen Arbeitern gibt es verschiedene Abstufungen; die höchste und relativ am günstigsten gestellte Klasse sind die eben erwähnten »Dienstleute« oder »Instleute«, ehemalige Leibeigene oder Abkömmlinge von Leibeigenen. Dieselben stehen zu dem Gutsherrn in einem dauernden Dienstverhältnis, welches sich von der Leibeigenschaft nur durch den Namen unterscheidet; sie sind verpflichtet, das ganze Jahr hindurch mit Frau und Kind gegen Tagelohn und Naturalemolumente [Naturaleinkommen] zu arbeiten. Der Tagelohn bewegt sich zwischen 2 und 5 Silbergroschen, und die Naturalemolumente sind: eine Wohnung, die der des englischen Landarbeiters an Komfort ungefähr gleich ist, die Nutznießung von œ bis 3 Morgen Landes, welches für den Gutsherrn den mindesten Wert hat, Futter für eine Ziege, wenn's hoch kommt für eine Kuh. Dafür haben die »Dienstleute« jahraus, jahrein an allen Werkeltagen, im Sommer auch am Sonntag, im Winter durchschnittlich elf, im Sommer sechzehn Stunden den Tag zu arbeiten. Der Drescherlohn wird meistens in Getreide verabfolgt und beträgt »in guten Jahren« für die Familie 30 bis 36 Scheffel. Wie wir gesehen haben, wird der Gesamtwert dieser Vergütungen in Geld und Naturalemolumenten von den Gutsherren auf zirka 283 Taler pro Familie veranschlagt. Um die geheischte Arbeit verrichten zu können, ist nun aber jede Familie kontraktlich verpflichtet, auf ihre Kosten einen oder zwei »Scharwerker« zu halten, junge Personen männlichen oder weiblichen Geschlechts, meist des letzteren, die als Untersklaven dieser Sklaven die Arbeit des Gutsherrn zu tun haben.
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